»Wann wird es so weit sein?«
»Ich weiß nicht. Sie haben den Termin schon zweimal verschoben. Ich fange allmählich an, mir Sorgen zu machen, wie lange es noch dauert.«
»Wie ich höre, haben Sie selbst auch bei der Auswertung geholfen.«
»Nur die Arbeit der anderen koordiniert. Offen gesagt, ich war zu beschäftigt, um mich mit den Daten eingehender zu befassen, ich habe lediglich mitbekommen, dass Donnerschlag definitiv am 17. Juli mit Luna kollidieren wird. Direktor Fusaka hat sich um das Gesamtbild gekümmert, während ich nur damit beschäftigt bin, einen neuen Film in die Kamera einzulegen.«
»Haben Sie in letzter Zeit mit Fusaka gesprochen?«
»Nicht während der letzten drei Tage. Er ist nach Den Haag geflogen, zu irgendeiner großen Konferenz, die vom Systemrat veranstaltet wird. Warum? Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«
Smith schnitt eine Grimasse. »Constance Forbin hat gestern angerufen. Offenbar hat Avalon Donnerschlag nicht exakt so getroffen, wie wir uns das erhofft hatten. Verstehen Sie mich nicht falsch! Es war ein verdammt guter Schuss, alles mit eingerechnet. Aber der Komet wird anstatt beim Korolew-Krater nahe dem Hertzsprung-Krater niedergehen. Der Aufschlagpunkt hat sich ein paar Hundert Kilometer nach Osten verschoben.«
»Das tut es doch genauso!«
»Zugestanden«, sagte neben ihm Barbara. »Der Systemrat ist jedoch besorgt darüber, dass ein nicht genau frontales Auftreffen im Vergleich mit dem zentrierten Aufschlag beim Korolew-Krater bedeutend mehr Trümmer produzieren könnte, die in Richtung Erde geschleudert würden. Sie haben Halver gebeten, ihnen bei der Korrektur von Donnerschlags Flugbahn zu helfen.«
»Und wie?«, fragte Thorpe.
Smith blickte ihn mit einem düsteren Gesichtsausdruck an. »Sie wollen den Felsen mit dem Kern zusammenstoßen lassen, so wie wir es mit Avalon getan haben.«
»Das ist Blödsinn! Der Felsen ist zu leicht, und wir würden Donnerschlag nicht weit genug vor Luna abfangen können, um etwas zu erreichen. Ich bezweifle, dass wir Donnerschlag mehr als eine Tagesstrecke entfernt würden abfangen können.«
»Anderthalb Tage, vielleicht auch zwei«, verbesserte Smith. »Der Systemrat wird uns die allerletzten Antimateriereserven zur Verfügung stellen, deshalb wäre Energie kein Problem. Wenn wir es schaffen, den Felsen unter der Belastung zusammenzuhalten, können wir Donnerschlag von hier aus fünf Millionen Kilometer in Richtung Sonne den Weg verstellen.«
Thorpe verstand plötzlich den Ausdruck in den Augen seines Vorgesetzten. Den Felsen in eine Erdumlaufbahn zu bringen, hatte für ihn die Krönung seines Lebens bedeutet. Jetzt verlangte man von ihm, alles zu zerstören, wofür er gearbeitet hatte, bloß um für den Mond ein paar wertvolle Sekunden zu gewinnen, in denen er die Flugbahn des Kometen würde kreuzen können.
»Und werden Sie es tun?«
»Bleibt mir eine andere Wahl?«, erwiderte Smith. »Ich war derjenige, der Carlos Sandoval gesagt hat, er werde Avalon opfern müssen, erinnern Sie sich daran? Sollte ich weniger tun als er?«
»Das ist etwas anderes. Der Komet war im Begriff, die Erde zu zerstören. Jetzt reden wir lediglich von ein paar Hundert Kilometern Unterschied, wo er auf Luna landen wird.«
»Wozu ist eine Eisenmine am Himmel gut, wenn alle ihre Kunden tot sind? Und dazu könnte es kommen, wenn das Meteoritenschutzsystem von den Trümmern überfordert wird, die beim Zusammenstoß von Donnerschlag mit Luna hochgeschleudert werden, das wissen Sie.«
»Aber SierraCorp geht bankrott ohne den Felsen.«
»Es bleiben immer noch die Kompensationszahlungen der Nationen«, sagte Barbara. »Constance Forbin wird uns das Gleiche garantieren, was sie Sandoval garantiert hat.«
»Was, wie wir alle wissen, nicht die Magnetzeichen wert ist, mit denen es festgehalten wurde.«
»Selbst wenn die Nationen ihr Wort brechen sollten, werden wir das alles wenigstens lebend überstehen«, sagte Smith. »Solange man das noch sagen kann, ist noch nicht alles verloren.«
Thorpe zuckte mit den Achseln. »Es geht um Ihr Geld. Ich bin froh, dass ich das nicht mitansehen muss.«
»Ich hatte gehofft, Sie würden mehr tun als nur zuzuschauen, Thomas. Ich möchte, dass Sie die Leitung übernehmen. Uns bleiben weniger als fünfundsiebzig Tage, und das Rendezvous mit dem Kometen muss so weit entfernt von der Erde wie möglich stattfinden.«
Thorpe kaute auf der Unterlippe und rieb seine Fingerspitzen langsam aneinander. »Tut mir leid, aber ich kann nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich werde als Ihr persönlicher Repräsentant zum Felsen gehen, aber Eric Lundgren wird die Operation leiten müssen. Ich werde abreisen, sobald der Komet das Perihel erreicht hat.«
»Was haben Sie dann vor?«
»Dann möchte ich nach Luna gehen und Amber wegholen. Ich werde sie an Bord eines Evakuierungsschiffes bringen, und wenn ich sie vorher bewusstlos schlagen muss!«
Der Himmel über dem Felsen zeigte das ewige Schwarz des Raumes, doch über den rückseitigen Horizont lugte ein schwaches Leuchten. Das Leuchten stammte von ionisierten Partikeln, die aus dem Magnetfeld der Konvertermündung austraten und Acorn’s Cap überfluteten. Das Leuchten war heller, als Thorpe es früher je beobachtet hatte, ein Hinweis auf die Menge von Antimaterie, die sich in die Konversionskammer ergoss. Der Asteroid hatte einen Moment lang mit einem vollen Zehntausendstel g beschleunigt und dabei wertvolle Antimaterie und seine eigene weißglühende Substanz rücksichtslos in den Raum verschleudert. Auf dieser Reise zählte rohe Gewalt mehr als Raffinesse.
Nachdem sie die Erde hinter sich gelassen hatten, hatten sie mit der Absicht, Donnerschlag abzufangen, den Felsen die Planetenumlaufbahn schneiden lassen. Der Zusammenstoß würde sich in genau neununddreißig Tagen ereignen, ganze einundsiebzig Stunden, bevor Donnerschlag mitten auf Farside herabstürzen würde.
Thorpe blickte über die dem Untergang geweihte Landschaft und schüttelte traurig den Kopf. Er dachte an all die Menschen, die für dieses Stück kosmischen Treibguts ihr Leben geopfert hatten. Der unbekümmerte Perry Allen hatte einen plötzlichen Tod gefunden, und Lars Bolton war nach Tagen der Agonie mit einem eingedrückten Brustkasten gestorben. Da waren jene, die nur wenig mehr Glück gehabt hatten; Walt Sewell war arbeitsunfähig zur Erde zurückgekehrt, mit einer Krankheit, die den Ärzten immer noch Rätsel aufgab. Garrett Timcox war mit einem Herzen, das nie wieder volle Schwerkraft würde aushalten können, ins Weltraumexil geschickt worden. Diese Männer und Hunderte wie sie hatten geschuftet, um den Felsen in ein Füllhorn zu verwandeln, in eine unerschöpfliche Eisenmine am Himmel. Wie zuvor Avalon, würde der Felsen in einer weißglühenden Explosion vergehen und in Vergessenheit geraten.
Thorpe schauderte in seinem Raumanzug und schalt sich selbst dafür, dass er sich in diese Stimmung hineinbegeben hatte. In Wahrheit, erinnerte er sich, hatten all diese Anstrengungen und Opfer der Menschheit ihre einzige Chance eröffnet, die größte Naturkatastrophe in ihrer Geschichte zu überleben. Hätten sich Perry Allen und all die anderen nicht geopfert, dann hätte die Erde keine Zukunft mehr. Aus dieser Perspektive betrachtet, erschien das Einfangen des Felsen beinahe wie vorherbestimmt.
»Woran denkst du gerade?«, fragte eine Stimme in seinen Ohrhörern.
Thorpe wandte sich zu Nina Pavolev um, die ihn aus ihrem Helm heraus beobachtete. Er lächelte. »Tut mir leid, ich hab nur an alles gedacht, was passiert ist, seitdem ich das erste Mal auf diesen zu groß geratenen Eisenbrocken kam.«
Ihr Nicken hob sich vor der Sonne ab, die im Hintergrund auf die Eisen-Nickel-Ebene herunterbrannte. »Ich kenne das Gefühl. Ich werde diesen Ort auch vermissen. Er ist länger meine Heimat gewesen als jeder andere Ort, wo ich gelebt habe.«