»Das hat es auch«, sagte ich. »Da bin ich mir sicher.«
Den Körper des Reptiloiden durchlief ein Schauder. Allmählich fing ich an zu erkennen, wer sich als Nächstes zu Wort melden würde, Karel oder mein Großvater.
»Ich bitte um Verzeihung, dass ich Sie unterbreche, Andrej Valentinowitsch«, sagte der Zähler. »Aber das ist die einzige uns offenstehende Form der Kommunikation …«
»Du lügst.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin überzeugt davon, dass du seine Gedanken liest. Und ihm deine überträgst.«
»Das könnte ich zwar, aber ich unterlasse es«, entgegnete der Zähler scharf. »Das haben wir so vereinbart.«
Vielleicht sagte er die Wahrheit.
»Ja, ich wusste, auf welche Weise die Geometer sich durch den Raum bewegen«, fuhr der Zähler fort. »Aber das ist eine Information von zweitrangigem Wert, die wenig ändert. Deshalb habe ich es nicht für nötig gehalten, sie zu erwähnen.«
Der Körper des Reptiloiden fiel leicht in sich zusammen.
»Zweitrangig!«, krächzte mein Großvater. »Diese Information ist absolut erstrangig!«
Am ehesten erinnerte das Ganze noch an eine Persönlichkeitsspaltung.
»Die Triebwerke der Geometer würden also für die Aliens taugen? Sie würden dann nicht wahnsinnig werden? Habe ich dich da richtig verstanden, Petja?«
»Ja, ich glaube, so ist es. Die Geometer haben schließlich ihr Sternsystem, in dem drei intelligente Rassen leben, auf diese Weise durch den Raum bewegt. Außerdem ist der Jump im Subraum nicht mit unserem Jump zu vergleichen. Die Euphorie fehlt dabei völlig.«
»In Zukunft wird es also allen Rassen des Konklaves möglich sein, sich schnell im Kosmos fortzubewegen? Und wir werden nicht länger gebraucht?«
Der Reptiloid schoss hoch, die Vorderpfoten verhakten sich, und er plumpste auf den Bauch. Aber mein Großvater hielt sich nicht damit auf, dass er in seiner Aufregung versucht hatte, sich in dem fremden Körper zu bewegen.
»Das ist unser Tod, Karel! Allein, dass eine Rasse auftaucht, die dem Konklave feindlich gesonnen ist und absolut identisch mit den Menschen ist, reicht als Grund, uns zu töten! Wenn wir obendrein noch unseren einzigen Vorteil verlieren …«
Der Zähler übernahm nun wieder die Kontrolle über den Körper und setzte sich bequemer hin. »Ich habe von Anfang an darauf hingewiesen, Andrej Valentinowitsch, dass die Situation für die Menschen eine tödliche Bedrohung darstellt«, sagte er. »Wenn die Starken Rassen von der Technologie der Geometer hören, werden sie die Menschen vernichten, ohne mit der Wimper zu zucken.« Er machte eine kurze Pause. »Aber falls das ein Trost ist: Uns erwartet das gleiche Schicksal. Wir sind für die Starken Rassen nur lebende Computer. Und wir sind nur deshalb interessant, weil es als gefährlich gilt, intelligente Maschinen zu entwickeln. Dieses Problem haben die Geometer nun gelöst.«
»Wer muss sonst noch mit Schwierigkeiten rechnen?«, wollte mein Großvater wissen.
»Viele Rassen. Das Konklave macht sich nun einmal die starken Seiten seiner Mitglieder zunutze. Das bedeutet für die Schwachen Rassen eine Gefahr, gleichzeitig aber auch ihre Rettung. Denn diese Situation führt einerseits zu einer negativen, einseitigen Entwicklung, andererseits garantiert sie ihre Sicherheit, denn ihre Fähigkeiten werden mit der Zeit einzigartig. Die Geometer dagegen sind komplex entwickelt.«
»Das ist sehr seltsam.« Anscheinend hatte mein Großvater sich wieder ein wenig beruhigt. »Sie sind aus dem Kern gekommen. Die Entfernung zwischen den einzelnen Sternen im Kern ist weitaus geringer als bei uns. Da hätte man doch damit rechnen müssen, dass die Zahl der intelligenten Rassen wesentlich größer ist und es viel häufiger zu Kontakten zwischen den einzelnen Zivilisationen kommt … Es hätten … Strukturen entstehen müssen, die mit dem Konklave zu vergleichen sind.«
»Was wissen wir schon über die Gesetze zur Entstehung von Leben?«, warf der Zähler ein.
»Wir nicht sehr viel«, giftete mein Großvater.
»Wir noch weniger.«
Ich hatte den Eindruck, der Zähler hatte etwas ausgesprochen Wichtiges sagen wollen. Leider war das meinem Großvater jedoch entgangen, der sich darüber ärgerte, sich mit Karel beim Sprechen abwechseln zu müssen.
»Uns sind nur zwei Zivilisationen im Kern bekannt«, sagte er. »Die Geometer, ein Zusammenschluss von drei Rassen, in dem bei äußerlicher Gleichberechtigung die Menschen dominieren. Und der Schatten, von dem wir nichts wissen. Nicht einmal, wie seine Bewohner aussehen.«
»Ich glaube, sie sind ebenfalls humanoid«, mischte ich mich nun in ihr Gespräch ein.
»Wie kommst du darauf?«
»Das … das ist ein Gefühl von mir, Großpapa. Wie sie über den Schatten geredet haben … So reden wir nicht über Aliens – sondern eher über einen anderen Staat auf der Erde, der uns zwar missfällt, aber zu uns gehört.«
»Die Geometer leiden viel weniger an Xenophobie als wir.«
»Gerade deswegen glaube ich das ja, Großpapa. Sie sprechen den Kleinen und den Wendigen Freunden das Recht auf jede Merkwürdigkeit zu. Sie verhalten sich wie … wie ein großer Bruder. Aber mit dem Schatten ist es etwas ganz anderes.«
Mein Großvater schwieg.
»Karel«, sagte ich leise, »beantworte mir bitte eine Frage. Warum sind wir den Geometern so ähnlich? Nicht nur äußerlich, sondern auch vom genetischen Code her. Das kann doch kein Zufall sein!«
»Richtig«, stimmte mir der Zähler widerwillig zu.
»Also?«
Ich war mir fast sicher, dass ich, wenn er mir das erklären würde, sofort eine Antwort wüsste. Eine seltsame, universelle Antwort auf alle Rätsel und Probleme. Warum die Starken Rassen stark waren, warum die Schwachen Rassen schwach waren, was der Schatten war und wie wir die Geometer davon abhalten konnten, alle mit ihrer Freundschaft zu beglücken …
»Ich weiß die genaue Antwort nicht.«
»Genaue Antworten existieren sowieso nicht«, sagte ich sanft zu Karel. »Aber man kann immer etwas vermuten, spekulieren. Und du hast dich ja nicht darüber gewundert, dass wir den Geometern ähneln. Also musst du eine Hypothese haben, warum das so ist. Oder nicht?«
»Es ist nur eine Hypothese. Und die möchte ich nicht mitteilen.«
»Warum nicht?«
»Ihr würdet sie akzeptieren – und aufhören, selbst nach einer Antwort zu suchen. Nein, ihr solltet lieber unvoreingenommen und eigenständig nach einer Antwort suchen.«
Das ließ ich mir durch den Kopf gehen.
»Karel, wenn du meinst … wenn du glaubst, wir würden deine Hypothese akzeptieren, heißt das, sie schmeichelt den Menschen?«
»In gewissem Sinne …«, antwortete der Reptiloid widerwillig.
»Zum Beispiel so, dass sowohl wir wie auch die Geometer Nachfahren einer alten mächtigen Hyper-Zivilisation sind, die früher einmal die gesamte Galaxis besiedelt hat …«, tastete ich mich vor.
Der Reptiloid brach in leises Gelächter aus. »Solche Träume sind für junge, unreife Rassen typisch, Pjotr. Und zu denen habe ich die Menschen bisher eigentlich nicht gezählt.«
»Dann vielleicht weil …«
»Ich könnte dir zehn Hypothesen anbieten, Petja«, ergriff mein Großvater das Wort. »Dass die Geometer die Realität gewordene Frucht unserer Phantasie sind, dass wir die Folge eines verunglückten Experiments von ihnen sind oder die Nachfahren einer Expedition, die sich verirrt hat …«
»Die Frucht der Phantasie? Warum eigentlich nicht? Schließlich hast du selbst gesagt, dass dich ihre Gesellschaft an eine Utopie von uns Menschen erinnert! Jetzt fällt mir auch wieder ein, dass wir mal etwas über Regressoren gelesen haben … oder über Progressoren, über einen Weltrat …«
»Das wiederum hat gar nichts zu bedeuten, Pjotr. Das ist nur eine Frage der Übersetzung und der Sozialisation. Als der Zähler dir die Sprache der Geometer eingespeist hat, hast du notgedrungen adäquate Begriffe für ihre Termini gesucht. Dabei hast du auf die Quellen zurückgegriffen, die du kanntest, auf Fachzeitschriften, Bücher, die du in deiner Kindheit gelesen hast, und auf Klatschblätter. Wenn du der französische Astronaut Pierre oder der Amerikaner Peter gewesen wärst, hättest du den Planeten der Geometer mit anderen Augen gesehen. Mit völlig anderen. Wir betrachten die Welt nun einmal durch eine Brille mit dicken Vexiergläsern. Diese Brille ist uns bereits in unserer Kindheit aufgesetzt worden ist, und sie ist nichts anderes als die Gesamtheit aus Erziehung, Kultur und Mentalität. An ihr führt einfach kein Weg vorbei. Ich hätte dich nicht mit einer schwarzen Haube auf dem Kopf aufziehen können, Petja, denn dann hättest du niemals gelernt, etwas zu sehen.«