»Sie nutzen dir nicht das Geringste. Ein gesetzestreuer Bürger wusste gar nicht, wie er sie gebrauchen sollte. Abgesehen davon hast du von ihnen nur symbolisch etwas. Dafür schwächt die trügerische Illusion von Sicherheit deine Aufmerksamkeit …«
»Ich glaube aber doch, dass es einen Unterschied zwischen Tränengas und Plasmapistolen gibt.«
»Hmm, in einer dunklen Tordurchfahrt. Aber das ist ja wohl nicht das Ziel unserer Reise, oder?«
»Woher wollen wir das denn wissen?«
»Stimmt … Du hättest deine Freunde, die Geometer, nach dem Schatten ausquetschen sollen.«
»Bin nicht dazu gekommen.«
Mascha hatte sich sehr verändert, seit ich zu den Geometern geflogen war. Etwas in ihr hatte einen Knacks bekommen oder war – ganz im Gegenteil – fester zusammengewachsen. Vielleicht aufgrund der Gesamtsituation hier an Bord eines fremden Raumschiffs. Oder aber durch das, was mit meinem Großvater passiert war. Das hielt ich sogar für wahrscheinlicher.
Sicher, Erotik dürfte in der Beziehung der beiden keine Rolle spielen. Dazu war mein Großvaters dann doch zu alt. Aber mit Sicherheit verehrte Mascha Andrej Valentinowitsch heftig.
Und was geschehen war, verkraftete sie vermutlich nicht ohne Weiteres. Bestimmt machte ihr diese Veränderung mehr zu schaffen als mir. Insofern hatte die Erfahrung meiner Symbiose mit dem Cualcua, der Wechsel von Körper und Gesicht, auch etwas Gutes, denn ich konnte selbst in dem Reptilienkörper meinen Großvater wiedererkennen, so wie er immer gewesen war, sarkastisch und unnachgiebig. Sobald ich die Augen schloss, glaubte ich, er säße immer noch neben mir.
Mascha dagegen blieben diese Möglichkeiten verschlossen. Sollte ich etwa einen Cualcua bitten, mit ihr eine Symbiose einzugehen? Aber ob sie dem zustimmen würde? Vielleicht wäre das überzeugendste Argument dafür ja nicht die Kraft und die Kondition, sondern die Möglichkeit, ein neues Gesicht zu bekommen … schön zu werden. Der Cualcua als beste Kosmetik des Universums …
Nein, Pjotr.
Was?
Wir lassen uns selten auf diese Art der Zusammenarbeit ein. Du bist eine der wenigen Ausnahmen.
Und warum?, dachte ich, während ich Mascha unverwandt ansah.
Wegen der Informationen. Wir wollten etwas über die Psyche der Menschen und die Welt der Geometer erfahren. Aber wir werden keine Symbiose mit anderen Vertretern deiner Rasse eingehen.
Dann eben nicht.
Dann würde es eben keine Schönheitssalons Wunder der Cualcua geben. Und auch die Klinik Gesundheit durch Cualcua würde nie entstehen. Denn im Grunde hätten sie meinen Großvater ja mühelos retten können. Sie hätten die kaputten Gefäße flicken und den Blutverlust stoppen können. Aber warum hätten sie das tun sollen?
Es nützt nichts, einen Sonnenstrahl zu bitten, in ein dunkles Zimmer zu fallen. Da ist es schon leichter, das Fenster zu öffnen. Oder eine Lampe anzumachen.
»Das ist alles nicht das Richtige!« Mascha drehte sich dem Alari zu. »Eure Waffen sind nicht für Menschen gedacht!«
»Selbstverständlich nicht.« Der Sinn für Humor des Alari blitzte auf. Es war ein alter und zauseliger Alien, der sich ungeschickt vorwärtsbewegte und dessen Fell schon fast weiß war. »Schließlich haben wir nicht die nötigen Extremitäten, um eine Waffe zu halten.«
Die meisten Waffen sahen in der Tat so aus, als würden sie auf die Schnauze aufgesetzt. Mir fiel ein Clip ein, den ich mal gesehen hatte: Ein Alari, der einen Harnisch trug und auf dessen Kinn eine gerippte Metallpistole saß. Aus dem Ding schlug ein feiner, blauer Strahl heraus. Eine Kopfbewegung – und das Licht schlug gegen die Kamera. Ende des Films …
»Lass uns mal überlegen, was wir in diesem Fall tun können.« So leicht gab Mascha nicht auf. »Der Kommandant hat befohlen, dass wir uns Waffen aussuchen.«
Zielsicher steuerte der Alari auf ein Regal zu.
Zehn Minuten später war die Entscheidung gefallen. Breite schlichte Armreifen, die, sobald sie aktiviert waren, ein scheibenförmiges Kraftfeld mit einem Durchmesser von zwanzig Zentimetern umgab. Sie funktionierten etwa wie eine Kreissäge. Ich malte mir aus, was passiert wäre, wenn sich mir bei meiner Flucht auch nur ein Alari mit einem solchen Ding über der Pfote in den Weg gestellt hätte. Ein Schauder rieselte mir über den Rücken. Mascha verlangte vier Armreifen, aber ich hatte nicht die Absicht, einen von ihnen zu tragen. Wahrscheinlich würde ich mir damit eher den eigenen Kopf absäbeln oder den Bauch aufschlitzen.
Eine andere Waffe überzeugte mich schon mehr. Eine Mikrowellenwaffe, genau so ein Strahler wie in dem Clip, den wir aber – im Gegensatz zu den Alari – an der Hand befestigen konnten. Da der Abzug in einem kegelförmigen Körper saß, vermutete ich, die Alari würden ihn im Kampf mit der Zunge betätigen. Der Alari führte uns die Waffe nicht vor. Ich versuchte, mir den Strahler auf die Hand zu schnallen. Das Ding war recht schwer, ließ sich aber noch tragen. Mit einem Mal fiel mir ein idiotischer SF-Film ein, in dem der furchtlose Held etwas in der Art trug, das ihm den Arm ersetzte, den er im Kampf verloren hatte. Ich musste grinsen und legte den Strahler weg.
Die letzte Waffe wählte Mascha selbst aus. Die Alari schnallten sie sich vermutlich auf den Rücken, denn der lange Lauf und das schwere Bodenstück dürften für ihre Beine mit Sicherheit zu schwer sein.
»Ein Ggorschsch?«, fragte Mascha überzeugt.
Der Alari wurde leicht nervös. »Nein! Nein! Das ist kein Ggorschsch, das ist ein Ggorschsch! Vorsicht!«
Mascha ließ sich auf keinen Streit ein. Sie wog das monströse Ding und nickte. »Den nehmen wir.«
»Ihr müsst mindestens zwei Kilometer und dreihundert Meter vom Ziel entfernt sein!« Der Alari beruhigte sich erst wieder, als Mascha den Ggorschsch, der in Wahrheit kein Ggorschsch war, zurücklegte. »Aus der Deckung heraus! Beim Einschalten die Augen schließen!«
»Sollen wir auch noch das ›Kyrie eleison‹ beten?«, schlug Mascha ohne jede Ironie vor. »Davon nehmen wir zwei Einheiten.«
»Zweitausend?«, fragte der Alari konsterniert zurück. »Da müsste ich erst die Zahl der im Lager vorrätigen Waffen überprüfen …«
»Zwei einzelne«, erklärte Mascha. »Für mich und für Danilow.«
»Eine kluge Entscheidung.« Ich nickte. »Ich habe kein gutes Augenmaß. Nachher halte ich die Distanz nicht ein …«
Als wir schon am Ausgang waren, schielte Mascha noch einmal zu ein paar grellroten Scheiben hinüber. »Atomminen?«, fragte sie.
»Ja«, antwortete der Alari voller Respekt. Offenbar hatte Maschas letzte Waffenwahl ihn beeindruckt.
»Die kenn ich«, bemerkte Mascha beiläufig, nahm sie jedoch nicht. »Gehen wir zu mir, Petja. Ich habe Kaffee.«
»Woher kennst du dich so gut mit ihren Waffen aus?«, fragte ich im Gang.
»Ab und an sickern eben Informationen durch«, antwortete Mascha ausweichend.
Man weiß ja, zu wem Informationen normalerweise durchsickern …
In der Kajüte, die die gastfreundlichen Alari den Menschen zur Verfügung gestellt hatten, war ich bisher nur einmal gewesen. Als ich im Sessel Platz nahm, fiel mir meine aufrichtige Freude ein, die ich bei dem Gedanken empfunden hatte, dass es spezielle Sitzmöbel gab.
Gedächtnisschwäche ist eine glückliche Krankheit. Voll angenehmer Überraschungen.
Der Kaffee kam aus der Schweiz, Nescafé, in Plastikbechern, die sich selbst erwärmten und aus der Flugration des Shuttles stammten. Ich zog den blöden Strohhalm heraus, denn damit konnte man seinen Kaffee wirklich nur in der Schwerelosigkeit oder bei getrübtem Verstand trinken, zog das Stanniol vom Becher und schnupperte genüsslich. Das Getränk, das bei den Geometern den Kaffee ersetzte, hatte letzten Endes doch einen völlig anderen Geschmack. Schließlich nahm ich den ersten Schluck.