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»Weg! Weg mit dem Ballast …«, sang Danilow völlig schief eine unbekannte Melodie, räusperte sich dann und verstummte. Die steinernen Überraschungen schwebten durch die Weiten des Alls … Da würde sich in hunderttausend Jahren irgendeine Zivilisation freuen! Vielleicht würden die stummen Büsten zu überaus wertvollen Exponaten in einem außerirdischen Museum, und die klügsten Köpfe der Zukunft würden sie mit ihren glatten Scheinfüßchen betasten und lange Stielaugen machen, während sie über die Größe der untergegangenen Kultur nachsannen …

»Und jetzt wird geschlafen!«, sagte Danilow in die Stille hinein, die sich in der Fähre breitgemacht hatte. »In zwei Stunden erfolgt der nächste Sprung. Meiner Ansicht nach steht uns noch eine Serie von drei Sprüngen bevor. Pjotr, brauchst du etwas?«

»Ja«, musste ich zugeben. »Ich muss zum Klo.«

Danilow befreite meine Hände und brachte mich zur Toilette. Als ich zurückkam – meine Beine waren noch gefesselt, und ich musste mich auf Danilows Schulter stützen –, fing ich einen Blick des Reptiloiden auf. Einen traurigen und hoffnungslosen Blick. Anscheinend sah mich mein Großvater an.

»Wirst du nach alldem eigentlich befördert, Danilow?«, fragte ich, während der Oberst mich wieder an den Sitz schnallte.

Er erwiderte kein Wort.

»Na klar, du wirst General«, fuhr ich gehässig fort. »Für eine ganze Woche. Oder einen Monat. Danach fackeln die Aliens nämlich die Erde ab. Investiere also besser nicht in Immobilien. Mach dir lieber ein paar schöne Tage. Ein Bungalow, Rum aus einer Kokosnuss, eine attraktive Mulattin …«

»Spar dir die Mühe, Petja«, sagte mein Großvater hinter mir. »Er glaubt, alles richtig zu machen. Darin besteht ja das Unglück.«

»Und sparen Sie sich diese trostvollen Worte, Andrej Valentinowitsch«, verlangte Danilow gelassen. »Petja soll mich ruhig für einen Schuft halten. Sie ebenfalls. Aber die Zeit wird zeigen, wer recht hat.«

Dabei beließen wir es. Das letzte Wort hat immer derjenige, dessen Hände nicht gefesselt sind.

Ich gab mir alle Mühe einzuschlafen. Ich schloss die Augen. Aber die Anspannung der letzten Tage erwies sich als zu groß. Vor meinem inneren Auge zogen, gleichsam von einem Irren zusammenmontiert, Fetzen aus Videoclips vorbei: die Geometer und die Alari, Schiffe und Planeten, die Wendigen Freunde und der unerschütterliche Cualcua. Der große, einzige, leidenschaftslose Cualcua …

Jetzt kann ich dir helfen.

Was?

Soll ich eine Kampftransformation einleiten?

Mein Herz hämmerte dumpf. Wie hatte ich meine nicht ganz menschlichen Möglichkeiten vergessen können? Ich könnte meine Fesseln durchreißen …

Die Frau passt auf. Danilow schläft, aber Mascha ist noch munter. Sie wissen, dass du stärker bist als ein normaler Mensch. Die Frau hat noch einen Paralysator.

Was schlägst du denn vor?

Pass auf.

Meine Finger kribbelten. Ich senkte den Blick und betrachtete meine an die Armlehne geschnallte Hand. Aus dem Zeigefinger kroch langsam ein dünner weißer Faden heraus.

Wie damals, bei den Wendigen Freunden …

Der Faden schlängelte sich lautlos zu Boden. Von den vibrierenden Bewegungen des weißen Tentakels ging etwas Widerliches, Spinnenhaftes aus. Dieses gierige Fleisch gehörte mir nicht. Es lebte sein eigenes Leben. Ich brauchte noch nicht mal selbst was zu unternehmen. Ich musste den Cualcua einfach gewähren lassen, dann würde er in den Körper von Mascha eindringen. Mittelbarer Sex. Der alte Freud hätte seine Freude daran gehabt. Sollte die FSB-Majorin Mascha Klimenko ruhig einen Paralysator in Händen halten, aber ich – ich war selbst die Waffe.

Eine ekelhafte, unbarmherzige und nicht-menschliche Waffe.

Nein!

Der Faden erstarrte. Der Cualcua wartete.

Lass das! Wage es ja nicht!

Warum nicht? Du willst dich doch befreien, oder?

Stimmt. Warum wollte ich diesen Angriff trotzdem nicht? Woher sollte ich das wissen? Ein Feind bleibt immer ein Feind, hinter welcher Maske er sich auch verbirgt. Ich selbst würde mich jederzeit auf Mascha stürzen, auch wenn sie eine Frau war, auch wenn sie einmal meine Gefährtin gewesen war …

Aber nicht so! Auf gar keinen Fall! Nicht mit dem verräterischen Stich von außerirdischem Protoplasma!

Es gibt eine seltsame Grenze in all diesen interstellaren Spielchen. Eine Grenze, die man nicht übertreten darf – falls man sich noch daran erinnert, woher man kommt und unter welchem Himmel man geboren wurde.

Man darf ein Konzentrationslager nicht von Wesen einer fremden Rasse bewachen lassen. Das hatten die Geometer vergessen … Man darf nicht über ein Wesen, in dessen Adern das gleiche Blut fließt wie in deinen, herfallen und dabei von einem außerirdischen Symbionten profitieren. Ich würde versuchen, das immer im Hinterkopf zu behalten …

Gut. Ich habe es verstanden.

Der Faden zitterte und glitt zurück in meinen Körper. Der Cualcua hatte mir ohne jeden Widerspruch nachgegeben.

Mach so etwas nie mit Menschen, bat ich ihn. Solange du in meinem Körper lebst, tu das nicht.

Mascha hüstelte leise. Sie ahnte nicht einmal, welche Gefahr ihr gedroht hatte.

Gott sei Dank ahnte sie es nicht.

Als Navigator war Danilow Mittelmaß. Obwohclass="underline" Nein, man durfte einen Mann nicht als mittelmäßigen Navigator bezeichnen, der es geschafft hatte, ein Shuttle aus unserer Position zur Erde zurückzubringen. Selbst wenn er dafür noch acht Sprünge brauchte und nicht drei.

Beim letzten Sprung war ich völlig am Ende. Damit war der Beweis erbracht, dass man einen Menschen auch durch Ekstase foltern konnte. Wenn auf die Ekstase des Jumps die Routine zur Reanimation des Schiffs folgt, ist das eine Sache. Aber wenn du die ganze Zeit gefesselt bist und wie ein Idiot auf den nächsten Euphorieschub wartest, ist das ein zweifelhaftes Vergnügen. So fühlt sich vermutlich ein Trinker während eines Dauerbesäufnisses, wo die nächste Flasche – selbst wenn es sich dabei um den edelsten Wein oder uralten Cognac handelt – keine Freude mehr bringt, sondern ihm nur ein kurzes, stumpfsinniges Vergessen schenkt.

»Wir kommen zur Station Gamma«, teilte Danilow leise mit. Er und Mascha hatten die letzte Flugbahn berechnet, die schon nicht mehr für einen Jump gedacht war, sondern für einen normalen Raketenflug. »Mit Höchstgeschwindigkeit …«

Warum eigentlich ausgerechnet die Gamma? Den Blick zur Decke gerichtet, ließ ich mir alle Vor- und Nachteile der russischen Station der Weltraumsicherheit durch den Kopf gehen. Die beiden wollten nicht auf dem Planeten landen. Warum nicht? Eine begründete Vorsichtsmaßnahme? Man konnte ja nie wissen, womit die Alari die Wolchak »gefüllt« hatten … Außerdem wäre eine Landung mit dem an Bord angedockten Scoutschiff der Geometer unmöglich gewesen. Aber welche Vorteile bot die kleine Gamma gegenüber dem Hauptsitz der Wesi, der Alpha, oder der amerikanischen Weltraumraumbasis Beta, die, da brauchen wir uns nichts vorzumachen, der Alpha in Größe und Effizienz sogar noch überlegen war?

Die Antwort war so offenkundig, dass ich sie im ersten Moment gar nicht glaubte. Die Vorteile der Gamma bestanden einzig und allein darin, eine russische Station zu sein.

Darum ging es! Nur darum! Und zwar direkt! Mein Großvater und ich waren nicht schlicht in eine Falle der Wesi getappt! Wir waren in eine internationale Intrige hineingerasselt. Die russischen Geheimdienstler hatten beschlossen, der Heimat einen Dienst zu erweisen!