»Ihr seid nicht unsere Vorfahren.«
»Ach nein?«
»Warum stehst du so da?«, fragte ich.
»Tot. Alles um mich herum ist tot«, brachte die Frau so monoton heraus, als wiederhole sie es bereits zum tausendsten Mal. »Das will ich nicht berühren.«
»Es ist ihr wirklich unangenehm …«, sagte ich zu Schnee. Doch als ich seinen Blick auffing, verstummte ich.
»Zu verbrennen ist noch unangenehmer!«
»Lasst mich hier raus«, sagte die Frau. Sie bat nicht, sondern teilte uns schlicht ihr Anliegen mit.
»Nur zu gern.« Schnee nickte. »Ein Angebot für den Austausch ist bereits rausgegangen. Im letzten Jahr sind auf euerm Gebiet mehr als zweihundert unserer Leute verschwunden. Wir tauschen dich gegen jeden x-beliebigen von ihnen aus.«
»Wir machen keine Gefangenen.«
»Nicht? Wie kommst du dann dazu, uns Forderungen zu stellen?« Schnee lachte leise.
»Tot. Alles um mich herum ist tot.« Die Frau schloss die Augen – und schien förmlich in Starre zu fallen.
»Gehen wir, mehr wird sie nicht sagen«. Schnee zog mich fort.
»Was geschieht jetzt mit ihr?«, fragte ich, während wir wieder nach oben gingen. »Wird sie ausgetauscht?«
»Nein. Sie ermorden ihre Gefangenen. Denn jeder nicht adaptierte Mensch schadet der von ihnen geschaffenen Biosphäre.«
»Dann wird sie …«
»Aber sicher. Sie wird sterben. Vor Hunger und Durst. Aber wie kommt sie dazu, uns Forderungen zu stellen? Unser Essen ist für sie nicht giftig. Vielleicht schmeckt es ihr nicht, mehr aber auch nicht. Von unserer Kleidung kriegt sie keine Dermatitis. Und davon, dass sie sich in einen der Sessel setzt, wirft ihre grüne Haut keine Blasen.«
Wie Schnee persönlich dazu stand, ließ sich seinen Worten nicht entnehmen. Möglicherweise lag sogar Mitleid mit der Frau darin, aber jedenfalls keine Barmherzigkeit.
Ich musste mir in Erinnerung rufen, dass das nicht mein Krieg war. Und dann – weil das nichts half –, dass das ja überhaupt kein Krieg war, sondern ein speziell für mich konzipierter Test.
»Wir nehmen eine Maschine«, kündigte Schnee an. »Wir machen einen Ausflug in die Stadt, da gibt es ein nettes kleines Restaurant … Wie dir schon aufgefallen sein dürfte, gibt es auf dem Planeten kein Meer mehr. Nur noch Sumpf, genau wie vor der Kolonisierung. Aber das Restaurant hat eigene Becken, da werden Fische und Krabben drin gezüchtet und ein Dutzend essbarer Algen.«
Gehorsam wie ein Automat folgte ich ihm. Die grünhäutige Frau wollte mir nicht aus dem Kopf, die gespannt wie eine Saite in dem »toten« Zimmer stand. Bei einem Mann wäre mir das Ganze eventuell nicht ganz so gemein vorgekommen …
Am Zaun des Stützpunkts warteten, achtlos in der Luft zurückgelassen, einige Schiffe. Metalldinger, weshalb sie überhaupt nicht an den Kahn erinnerten, mit dem wir hergekommen waren. Offene Kabinen, bequeme Sitze, Räder gab es natürlich nicht, stattdessen aber zwei Gitterrohre an jeder Seite. Entweder funktionierten sie mit einem Gravitationstriebwerk oder mit einem Luft- beziehungsweise Kraftkissen.
»Ich habe gedacht, wir würden so einen Kahn nehmen«, sagte ich.
»Wozu? Das ist das Transportmittel der Grünen. Galis hatte es nur genommen, um den Radargeräten ein Schnippchen zu schlagen. Schließlich sind wir hier im Grenzgebiet. Wenn er in einem zivilen Transportmittel geflogen wäre, hätten sie womöglich glatt zehn Tonnen Napalm auf ihn abgeschossen.«
Er sprang ins Cockpit.
»Ich komme lieber doch nicht mit, Schnee.«
»Warum nicht?«
»Ich gucke lieber noch ein bisschen fern. Ich habe keine Lust, ständig wie der letzte Dummkopf herumzulaufen, weil ich einfach nichts verstehe.«
Schnee überlegte.
»Steig nur kurz ein«, bat er.
Ich kletterte über den niedrigen Rand und nahm im Sitz neben ihm Platz. Es war ein ganz normales Schiff, genau wie ich es kannte, sogar mit einem Armaturenbrett, also konnte man es nicht nur mental steuern. Schön.
»Entschuldige.« Schnee entspannte sich. »Entschuldige, Pjotr.«
»Was denn?«
Er lächelte gequälte und sah für einen kurzen Moment wie ein kleiner Junge aus.
»Du hast dich seltsam verhalten. Die Grüne hast du angesehen, als ob … in die Maschine wolltest du nicht einsteigen. Und sie fürchten sich schließlich vor unserer Technik … bis zur Hysterie. Im Restaurant essen willst du auch nicht …«
»Soll das heißen, du hältst mich für einen Spion?« Meine Verblüffung war echt. Dieses verspätete Misstrauen wirkte noch unangemessener als die bisherige Vertrauensseligkeit.
»Also … ich bin ins Grübeln geraten …«
Ich fing an zu lachen und stieg wieder aus. »Ich habe mit ihnen wirklich nichts zu tun, Ehrenwort.«
»Soll ich dir was mitbringen?«, fragte Schnee reuevoll.
»Unbedingt was zu essen. Und …«
Ob es bei ihnen Bücher gab? Aber was bin ich nur für ein Idiot! Wenn in meinem Wortschatz der Begriff »Buch« existierte, dann musste er ja wohl auch für etwas stehen.
»Und Bücher zur Geschichte des Planeten.«
»Du bevorzugst dieses Medium?« Schnee nickte. »Eure Welt muss echt komisch sein.«
»Und wie!«, stimmte ich ihm zu.
»Gut. Ich besorge dir welche. Und noch maclass="underline" Entschuldige, Pjotr. Der Schatten macht uns alle ganz wuschig …«
Das Schiff stieg lautlos auf und schoss auf den sich eiligst öffnenden Zaun zu. Ich blieb mit offenem Mund zurück.
Bis jetzt war ich mir sicher gewesen, die Bezeichnung »Schatten« gehe auf die Geometer zurück. Schließlich gibt es etliche Namen für den Feind, das Dunkel, das Böse, der Schatten … Aber Schnee gebrauchte den Ausdruck auch.
Folglich mussten die Geometer versucht haben, das Leben der Zivilisation des Schattens zu verstehen. Sie hatten ihre Regressoren geschickt, von denen jedoch nur einige zurückgekehrt waren. Diese mussten genug zu berichten gehabt haben, um die kühnen Kämpfer der Freundschaft in Angst und Schrecken zu versetzen.
Wie sah eine Kultur aus, welche die Propheten des Friedenskampfes erschreckt? Wie die kriegerische Welt der Grünen und Technokraten hier? Niemals! Denn beide Seiten wären in kürzester Zeit zum Kampf mit Steinäxten zurückgeworfen worden.
Ich machte kehrt und ging zu der Kaserne zurück, in der man mir ein Zimmer gegeben hatte.
Drei
An die zehn Minuten schlug ich mich mit dem Fernseher herum, verfolgte einen idiotischen Sportwettkampf, ein Rennen im durchschnittenen Gelände, und verschiedene Varianten von Konzerten. Schnee hatte völlig recht, wenn er sie als Amateure bezeichnete. Irgendwann kam ich auf die Idee, von dem Gerät zu verlangen, mit mir zu interagieren.
»Ausgeführt«, teilte mir der Bildschirm mit weicher weiblicher Stimme mit.
Meine Laune besserte sich sofort. Jetzt konnte ich darauf hoffen, dass ich, wenn ich darum bat, mir die Entwicklungsphasen zu zeigen, nicht länger Wettkämpfe von Mannschaften unterschiedlichen Alters zu sehen kriegte, angefangen bei einjährigen Kleinkindern bis hin zu Tattergreisen. Diese Welt hegte fraglos eine Vorliebe für sportliche Spiele und unprofessionelle Schlagerdarbietungen. Noch die stimmloseste Sängerin von der Erde oder ein Jugendlicher, der einmal einen Selbstverteidigungskurs besucht hatte, würde hier jeden in die Tasche stecken.
»Ich möchte mich mit der Geschichte des Planeten vertraut machen«, bat ich, während ich im Sessel Platz nahm.
»Ein allgemeiner Kurs?«
»Ja.«
»Gesamtdauer?«
»Äh … eine Stunde.«
»Nur Dokumentationsmaterialien? Oder auch Spielfilmszenen und Rekonstruktionen?«
»Wenn sie zuverlässig sind.«
»Ich bereite es vor.«
Das war natürlich nicht nur ein Fernseher. Sondern eine Art Internetfernseher, wie er jetzt in den USA und häufig auch schon in Russland anzutreffen ist. Als ich mir vorstellte, wie der Computer auf dem ganzen Planeten nach Dateien für mich suchte und mir einen persönlichen Dokumentarfilm zusammenstellte, schüttelte ich den Kopf.