»Die westliche«, antworte mein Großvater mit felsenfester Gewissheit. »Aber im Moment verwischen sich alle Unterschiede. Was aber die Zivilisation der Geometer angeht – die fußt auf einer klar östlichen Grundlage.«
»Interessant«, bemerkte der Alari. »Ich habe immer angenommen, die irdische Zivilisation sei ein Musterbeispiel für eine ausgesprochen strukturierte Gesellschaft. Im Unterschied zu unserer beispielsweise.«
Jemand – ich glaube, Danilow – lachte.
»Das wundert mich gar nicht«, entgegnete mein Großvater. »Wenn wir eine fremde Gesellschaft studieren, fallen uns in erster Linie solche Aspekte wie Ordnung und Struktur auf.«
»Lassen sich denn irgendwelche Schlüsse über die Gesellschaft der Geometer ziehen?«, fragte der Kommandant.
»Ja. Wir sind einander relativ ähnlich, Xenophobie dürfte insofern kein Problem darstellen. Pjotr, stimmst du mir da zu?«
»Ich glaube schon, Großpapa«, antwortete ich, nachdem ich kurz darüber nachgedacht hatte. »Insgesamt ist ihre Gesellschaft natürlich kein Konzentrationslager. Trotzdem ist bei ihnen alles sehr streng organisiert. Dabei können sie aber auf jede Form von Unterdrückungsmechanismus verzichten, denn alles ist auf der Ideologie aufgebaut.«
»Auch das ist charakteristisch für einen östlichen Entwicklungsweg«, fuhr mein Großvater fort. »Und das ist sehr schlecht. Wenn eine östliche und eine westliche Gesellschaft nämlich technisch gleich weit entwickelt sind, dann hat ein Konflikt zwischen ihnen ausgesprochen traurige Folgen. Wenn das Konklave wenigstens eine einheitliche, übergreifende Ideologie hätte …«
»Die Zivilisation der Geometer ist nicht sehr groß, Andrej Valentinowitsch«, gab Danilow zu bedenken. »Wenn es wirklich zu einem Zusammenstoß käme …«
»Und wie sollte der aussehen?«, konterte mein Großvater genüsslich. »Würden die furchterregenden Geschwader des Konklaves etwa die Welten der Geometer bombardieren? Das glaubst du ja wohl selbst nicht! Selbst die Erde schafft es, eine Politik der Zurückhaltung zu betreiben … Du hast wohl angenommen, ich sei nicht im Bilde, was? Dass ich nichts von den Fähren wüsste, die, mit Kobalt- und Wasserstoffbomben beladen, seit zehn Jahren in den Umlaufbahnen kreisen? Und die Aliens wissen darüber ebenso Bescheid. Sind Ihnen diese Fakten bekannt, Kommandant?«
»Ja«, antwortete der Alari knapp.
Mich brachte das ein wenig aus dem Konzept – denn ich hatte davon ehrlich gesagt noch nie etwas gehört.
»Das Entwicklungsniveau bestimmt die Form des Konflikts«, dozierte mein Großvater weiter. »Die Rassen des Konklaves werden es nicht auf einen Krieg ankommen lassen. Im äußersten Fall richten sie Quarantänezonen ein und versuchen, die Geometer zu isolieren, sich gegen sie abzuschotten. Ob das bei einer Rasse gelingt, die ihr Sternsystem durch die gesamte Galaxis transportiert hat? Ich habe da meine Zweifel. Deshalb dürfte es eher zu einer Art kaltem Krieg kommen. Dann können die Geometer allerdings prompt die attraktiven Seiten ihrer Gesellschaft ins Spiel bringen. Sie werden dem Konklave einen Planeten nach dem nächsten abspenstig machen. Wenn wir gehen, verliert das Konklave seine Fuhrleute. Wenn die Alari gehen, sinkt die Kampfkraft um rund vierzig Prozent. Gehen die Stäubler, gerät die Montanindustrie in die Krise. Wenn das den Starken Rassen klar ist, sie sich aber trotzdem für den Krieg entscheiden, steht der Galaxis ein wahrer Genozid bevor. Denn bevor die Geometer untergehen, bevor sie unter Angriffen zusammenbrechen, werden ihre Schiffe die meisten bewohnten Planeten in Schutt und Asche legen. Sie werden Gift spritzen, das ist eine traditionelle, sehr effektive Vorgehensweise bei ihnen. Und was wollen wir einem winzigen, schnellen und gut gesicherten Schiff entgegensetzen? Vor allem, wenn dieses Schiff sich einem Planeten nur zu nähern und eine einzige kleine Bombe mit verseuchtem Aerosol in der Atmosphäre abzuwerfen braucht? Stellen wir uns doch einmal vor, die Jentsh und ihr Alari würdet das ganze System der Geometer tatsächlich in Staub legen. Aber selbst dann würden immer noch die Schiffe überleben. Und die würden sich rächen. Die gäben für lange – für sehr lange Zeit – keine Ruhe!«
»Wenn ihre Schiffe wirklich, wie wir annehmen, die Vakuumenergie nutzen, sind sie quasi völlig autark«, flocht Mascha ein.
Es folgte eine lange Pause.
»Dann hältst du es also für falsch, Andrej Chrumow, das Konklave und die Geometer aufeinanderzuhetzen?«, fragte der Alari schließlich.
»Ich halte es für überflüssig. Ihr Verhältnis ist ohnehin ein antagonistisches. Und die Starken Rassen ertragen keine starken Nachbarn.«
»Was schlägst du dann vor? Auf wessen Seite sollen wir uns stellen?«
Mein Großvater hüllte sich in Schweigen. »Vermutlich ist es am Ende doch klüger, sich auf die Seite der Geometer zu schlagen«, sagte er dann. Völlig bestürzt schoss ich im Sessel hoch. »Ihre Ethik gibt nicht gerade Anlass zu Hoffnung, aber immerhin bieten sie den Schwachen Rassen eine Überlebenschance. Gewiss, sie würden unter eine neue Herrschaft geraten. Aber sie würden überleben.«
Das konnte er doch nicht ernst meinen! Ich stand da und starrte die Wand an, als wollte ich durch sie hindurch die anderen sehen. Verstand mein Großvater wirklich nicht, wie das enden würde? Ich hatte ihnen doch alles erklärt! Gut, am Anfang, da würden wir ihre Verbündeten und Freunde sein. Ein Teil der Schwachen Rassen würde dem Konklave entkommen und sich den Geometern anschließen. Aber es wäre ja nicht damit getan, die Ideologie der Freundschaft zu übernehmen und diese Utopie im Kosmos zu verbreiten. Aus der Sicht derjenigen, die auf Der Heimat leben, stellen wir nämlich eine absolute Fehlentwicklung dar. Deshalb würden sie uns herabdrücken, still und sukzessive, so dass wir es gar nicht bemerken würden. Unsere Weltraumbahnhöfe würden veröden, man würde Fabriken schließen – sagen wir mal, damit sich die zerstörte Umwelt regenerieren kann. Dann würden uns die Geometer mit ihren Ausbildern zu Hilfe eilen, den besten Ausbildern, die man sich überhaupt denken kann. Beispielsweise, um künftigen Generationen höheres Wissen zu vermitteln. Sie würden uns an ihrem Bioengineering teilhaben lassen, würden unsere Krankheiten überwinden und gleichzeitig unsere übermäßige Emotionalität und Aggressivität. Was nützt der Aufruhr der Gefühle jemandem, der nach Freundschaft strebt? Selbst töten kann man ohne Wut und Hass. Genau wie das Konklave wissen die Geometer, dass sie nur eine, vielleicht zwei Generationen abwarten müssen – und dann wäre die Erde zu einer neuen Heimat für diejenigen geworden, die sich unter diesem Wort gar nichts mehr vorstellen können.
»Großpapa …«, flüsterte ich. Aber sie hörten mich nicht.
»Andrej Chrumow, ich glaube, mit einem Mal siehst du das Leben mit völlig anderen Augen«, sagte der Kommandant.
Mein Großvater stieß ein seltsames Lachen aus.
»Ja, wahrscheinlich. Aber ist das ein Wunder? Das Leben ist in jedem Fall besser als der Tod. Und alles, was wir von Petja gehört haben, bekräftigt diesen Gedanken. Gegen die Geometer zu kämpfen bedeutet unseren Tod.«
»Großpapa!«, schrie ich. »Warte! Es gibt noch den Schatten! Hast du das etwa vergessen?«
»Die Feinde der Geometer?«
»Genau. Diejenigen, vor denen die Geometer geflohen sind!«
Ich sah das Gesicht meines Großvaters nicht, aber ich stellte mir – in schönster Klarheit – vor, wie er herablassend lächelte.
»Petja, die Feinde der Geometer sind nicht automatisch unsere Freunde. Das zum einen. Und zum anderen: Die Geometer sind sehr, sehr weit geflohen. Der Schatten dürfte ihnen kaum gefolgt sein.«
»Aber wir können zum Schatten gelangen!«
Ich meinte, mein Großvater würde gleich müde seufzen, wie immer, wenn er sich mit meiner Starrköpfigkeit konfrontiert sah. Er sagte jedoch nur: »Zum Kern der Galaxis gelangen? Ich weiß nicht, ob das technisch möglich ist. Aber welchen Sinn sollte es haben? Welchen, Petja? Wollen wir eine unbekannte Rasse finden und ihnen sagen, wo sich ihre Feinde verstecken? Wollen sie die Geometer denn überhaupt verfolgen? Und wenn sie das wollen, werden sie sich dann nicht auch uns vorknöpfen?«