Er drehte sich um und ging weg.
Was für eine exquisite Einweisung!
Was für eine wunderbare Welt!
Doch was am schrecklichsten war – dass ich, als ich seine Worte hörte, vor Freude fast gezittert hätte!
Was hatten sie in dem Film über den Schatten gesagt? Uneingeschränkte Freiheit und Glück? Unbegrenzte Möglichkeiten der Entwicklung und Selbstvervollkommnung?
Großpapa, wie sehr ich dich jetzt brauchte!
Und zwar nicht denjenigen, zu dem du geworden bist, zu diesem giftigen Zyniker, der in einem fremden Körper eingesperrt ist. Sondern den alten, den, der du früher warst. Wie du in meiner Kindheit warst. Selbst wenn du damals deine eigenen Ziele verfolgt hast. Trotzdem bist du immer bereit gewesen, mich zu streicheln, zu trösten … und mir eine Antwort zu geben. Auf jede Frage.
Du hättest nicht so zu kokettieren brauchen, Großpapa. Du hättest einen hervorragenden Ausbilder abgegeben. Vielleicht habe ich deswegen so viel gegen die Geometer, weil ich in jedem von ihnen dich erkenne. Was für eine erbarmungslose Droge die Liebe doch ist. Vor allem die Liebe eines echten Ausbilders. Und man kann noch so oft betonen, wie schädlich Drogen sind, aber wenn man sie einmal probiert hat, ist man ihnen ausgeliefert. Selbst wenn man auf die süße Betäubung verzichtet, selbst wenn man sie verteufelt, wird man sich immer daran erinnern, wird man sich in Krämpfen winden, weil man sich danach sehnt, erneut die sorglose Euphorie des Krauts zu spüren, die stürmische Allmacht der Ekstase, die seelenvolle Betäubung des Alkohols … die warme Zärtlichkeit der Erziehung …
Was mich daran hinderte, den Schatten zu verstehen, war, dass mein Großvater die Antwort bereits kannte. Was mich daran hinderte, mir alles ohne Scheuklappen anzusehen, war, dass ihm der Schatten nicht gefallen hatte.
Und dann wollte ich noch – wollte es so sehr, dass mir die Knie zitterten und sich ein Kloß in meinem Hals bildete – das, was meine Kindheit ausgemacht hatte. Eine einfache und klare Welt. Endlose Freiheit – und sei es in der Zelle eines Heims. Ich konnte nicht selbstständig werden. Was hatte der Ausbilder Fed gesagt, mein einziges wahres Opfer: Ich hätte einen guten Ausbilder abgegeben. Ja, wahrscheinlich stimmte das. Der ewige Zögling oder der ewige Erzieher, im Grunde ist das ein und dasselbe.
Und ein Pilot der Delta zu sein, ein Rädchen in diesem ewigen Krieg – das gehörte in dieselbe Kategorie. Der strenge und anständige Hauptmann Galis, dessen Vertrauen ich mir inzwischen verdienen wollte … Das Gefühl, mir eine Kraft zu unterwerfen, selbst wenn sie auf seinen Befehl hin gestutzt worden war … Konnte die ganze Welt nur aus zwei Typen von Menschen bestehen, aus Ausbildern und Schützlingen, aus denen, die andere voller Weisheit zur Ordnung rufen, und aus denen, die sich frohen Herzens unterordnen? War das ganze Leben nur ein Hin- und Herpendeln zwischen diesen beiden Extremen, ein Wechsel von einer Rolle in die andere, aus einer Sklaverei in die nächste? Kinder und Eltern, Chef und Angestellter … Guten Tag auch, Eric Berne, der du klüger bist als Freud … Jeder Sex verblasst gegenüber der süßen Verlockung der Macht und vor dem freudigen Zittern der Unterwerfung … Er verblasst oder wird zu einem weiteren Schlachtfeld für die beiden einzigen möglichen Rollen …
Ich schüttelte sogar den Kopf, um diese aufdringlichen Gedanken zu vertreiben. Ich betrachtete die Delta. Wenn ich jetzt »Gast« sagen würde, mich ins Cockpit setzen … die geschenkte Kraft spüren würde …
Zum Teufel!
Zu schade, dass es hier keine Kameraleute gab, die meinen zornigen Abgang aus dem Hangar aufnahmen. Das nannte ich vor der Versuchung davonlaufen? Das war ja wie bei einem Raucher, der sein letztes Päckchen Zigaretten wegwirft – und genau weiß, wie lange der nächste Tabakladen geöffnet hat.
Im Sonnenlicht blinzelnd stand ich da und suchte die Reihen der Kasernen nach »meiner« ab. Als ich am Zaun das Tor spürte, fuhr ich zitternd zusammen.
Warum eigentlich nicht?
Diese Welt konnte mir nicht helfen. Ich musste weg von hier. Ich musste das Zentrum des Schattens suchen.
Gut, das Tor im Dschungel hatte nicht funktioniert. Aber warum sollte ich nicht trotzdem mal dieses ausprobieren?
Ich rannte los.
Mir war unklar, ob der Stützpunkt absichtlich in der Nähe von einem Tor errichtet worden war oder ob man es erst später eingerichtet hatte. Schließlich lassen sie sich nicht mit Worten beschreiben. Allenfalls könnte man sie mit einem Blick vergleichen, den man im Rücken spürt. Und den vermutlich auch jeder wahrnimmt. Als ob voller Schwung ein unsichtbarer Fleck vor den Maschendrahtzaun, auf die Betonplatten und in eine Ecke des Gebäudes geworfen worden war. Es war eine fremde, sich verbergende, schlummernde Kraft.
Na los, öffne dich vor mir. Soll Galis doch einen anderen Piloten für seine Delta finden, soll Schnee die Bücher, die er für mich besorgt, selbst lesen, das Essen, das er mitbringt, selbst verputzen, soll die grünhäutige Hysterikerin sich doch in dem »toten« Zimmer winden …
Ich trat in das Tor hinein.
Hier klangen meine Schritte anders. Hohl. Als sei die Luft dichter geworden.
Das war aber auch schon alles.
Ich rannte weiter zum Zaun. Ich klammerte mich an das Gitter, das gar nicht daran dachte, sich vor mir zu öffnen. Jetzt befand ich mich mitten im Zentrum des Tors – und nichts passierte.
»Ich weiß nicht, was ich dir raten soll …«
Galis stand am äußersten Rand des Tors. Er spürte es genauso gut wie ich. Und er hatte offensichtlich Angst hineinzutreten.
»Ruh dich ein wenig aus. Bleibe bei uns. Vermutlich habe ich mich geirrt … du würdest wohl doch einen hervorragenden Piloten abgeben.«
Anscheinend versuchte er eher, sich selbst als mich zu überzeugen. Mein verzweifelter Versuch musste ihn ungeheuer beeindruckt haben.
»Ich will hier weg!«, schrie ich.
Galis schüttelte den Kopf »Nein. Das willst du nicht. Denn wenn du es wolltest … dann würdest du es auch schaffen.«
Vier
Schnee schaute gegen Abend bei mir herein. Ich lümmelte mich in der Koje – falls für diese luxuriöse Liegestatt der nüchterne Flottenausdruck passte – und starrte an die Decke.
Schon seit einer Stunde ließen sich draußen Stimmen vernehmen. Die Männer aus dem Stützpunkt waren zurückgekehrt. Vielleicht lag es am Waffenstillstand, dass alle Ausgang hatten, vielleicht ging es hier aber auch immer so leger zu. Einmal klopfte es an meine Tür, wahrscheinlich hatte sich die Nachricht von dem neuen Piloten schon herumgesprochen. Ich reagierte nicht. Ich dachte nach, versuchte zu verstehen, wie ich aus dieser unerwarteten Falle herauskäme.
Die Tore hatten sich als reichlich kapriziös erwiesen. Sie entschieden nämlich selbst, ob sie einen Menschen von einer Welt in eine andere ließen oder nicht. Vielleicht verfügte ich einfach nicht über die Fähigkeit, sie zu bedienen – über die sonst alle verfügten. Vielleicht musste zwischen den Übergängen aber auch eine bestimmte Zeit liegen – ein gewisses Recht auf Beförderung war dann zwar gesellschaftlich verankert, aber durchaus nicht uneingeschränkt …
Ich war ein Schlappschwanz. Das Einzige, was ich zustande gebracht hatte, war, von den Geometern abzuhauen. Aber wenn es darauf ankam, wirklich hinter eine Sache zu steigen …
»Pjotr? Schläfst du?«
Es war schon dunkel. Im Gang brannte schwaches Licht, Schnees Silhouette hob sich als dunkler Fleck ab. Seiner Stimme nach zu urteilen, hatte er einen Kleinen gehoben.
»Nein. Ich denke nach.«
»Das lob ich mir!«, meinte Schnee, als er eintrat. »Warum ist es hier so dunkel? Kommst du mit dem System nicht zurecht?«