Seltsamerweise loderte der Nachthimmel hier nicht mit Myriaden von Sternen. Er dürfte nicht einmal sternenreicher sein als der Himmel der Erde. Entweder nahm der Schatten also nicht nur den Kern der Galaxis ein – ein sehr beunruhigender Gedanke –, oder etwas hatte sich vor die Sterne geschoben, staubige Atmosphäre vielleicht oder der nicht minder staubige Kosmos …
»Doch, schon, ich wollte nur kein Licht.«
»So was kommt vor.« Schnee seufzte mitfühlend. Er stellte etwas auf den Tisch. »Ich hab dir was zu futtern mitgebracht«, sagte er kichernd. »Nichts aus dem Restaurant, du musst schon entschuldigen, sondern nur aus der Kantine. Mann, ich bin da in ein Abenteuer reingerasselt … da habe ich alle Tüten verloren. Ist natürlich schade. Es hat gefüllten Fisch gegeben …«
Ich schwieg.
»Aber den Kognak habe ich gerettet!«, brüstete sich Schnee.
»Dann rück ihn mal raus«, bat ich zu meiner eigenen Überraschung. Ich öffnete die Flasche und trank einen Schluck. Was für ein mieses Gesöff. Obwohl – was verstand ich denn schon von starken Alkoholika? Danilow hätte womöglich genüsslich geschmatzt, große Augen gemacht und sich begeistert geäußert …
»Der Kognak ist beschissen«, räumte Schnee selbstkritisch ein. »Hier gibt es keinen anständigen mehr. Die Pflanzen mutieren ja ständig und gehen ein. Und importierter ist verdammt teuer.«
Importierter?
»Und wo kommt der dann her? Und wie wird er hier hergebracht?«
»Von überall. Die Schiffe der Handelsliga bringen ihn mit.«
Meine bedrückte Stimmung wich im Handumdrehen gehobener! Aber natürlich! Warum hatte ich, wie hypnotisiert durch die Tore, diese für das einzige Transportmittel des Schattens gehalten? Die Tore waren für Menschen. Und auch das nicht immer. Aber Waren lieferte man auf einem anderen Weg.
»Mein Planet hat keinen Kontakt mit der Handelsliga«, teilte ich Schnee die reine Wahrheit mit. »Was ist das denn?«
»Ihr habt euch vor der Liga abgeschottet?« Schnee wunderte sich ein wenig. »Deine Heimat muss komisch sein … Die Liga, das sind die freien Händler. Was man so hört, ist, dass sie an keinen Planeten gekoppelt sind …«
»Nehmen sie Fremde auf?«
Schnee antwortete nicht.
»Na?«
»Was soll das heißen? Hast du etwa schon genug von unserer Welt?«
»Die hat mir von Anfang an nicht gefallen.«
»Hmm. Also, Pjotr … vielleicht …«
Der Alkohol hatte ihn offensichtlich in eine melancholische Stimmung versetzt.
»Vielleicht hast du recht. Die Welt hier ist schon ziemlich bedrückend. Inzwischen bin ich sieben Jahre hier …«
Dann konnte er also entweder nicht knapp über zwanzig sein, wie ich bisher vermutet hatte, oder er musste schon als Teenager angefangen haben zu kämpfen.
»Galis sieht das natürlich völlig richtig. Eine mit Gewalt herbeigeführte Entscheidung – das funktioniert nicht. Die Grünen muss man ganz langsam zurückdrängen. Allerdings versuchen sie das jetzt schon tausend Jahre bei denen! Und es wird noch tausend Jahre so weitergehen!«
Er nahm einen Schluck aus der Flasche und hielt sie mir anschließend ungefragt hin.
Brav trank ich. Beim zweiten Anlauf brannte mir der Kognak schon nicht mehr in der Kehle. Mein Großvater sollte mich jetzt mal sehen!
»Methodisch … geplant … die muss man ganz gezielt vom Planeten jagen! Sie werden noch mehr Sümpfe anlegen, sich in Kröten verwandeln, Eier legen …« Schnee lachte heiser. »Weißt du, was ich wollte?«, fragte er mit tragischem Ton in der Stimme. »Als ich hierhergekommen bin, meine ich? Ich wollte eine Maschine. Ein Klassepilot werden. Und den Grünen so einheizen, dass sie sich alle auf einmal durch die Tore stürzen! Damit ich danach durch die Straße schlendern konnte – nein, nicht mit stolzgeschwellter Brust, sogar mit gesenktem Blick – aber trotzdem würden mich alle anstrahlen. Und jeder – jeder! – auf diesem Planeten würde wissen, dass er sein Glück mir verdankt! Glaub nicht, ich hätte mich auf meinen Lorbeeren ausruhen oder nur meinen Ruhm auskosten wollen. Nein! Aber jeder sollte wissen, dass er das alles nur mir verdankt! Mir!«
Er atmete tief durch. »Ich bin ein Idiot, nicht wahr?«, fragte er kläglich.
»Nein. Nur ein kleiner Junge.«
»Hmm. Ein kleiner Junge. Das war ich. Aber was ist mir dir? Träumst du nicht auch genau davon?«
Ich fuhr zusammen, als hätte ich einen Schlag erhalten.
Konnte Schnee recht haben?
Spielte womöglich allein dieser eine Wunsch eine Rolle – entgegen allem, was ich über mich selbst dachte? War ich – Danilow und meinem Land zum Trotz – nur deshalb hierhergekommen, um als alleiniger, als verdienter … Retter der Welt dazustehen?
»Nun schweigst du«, stellte Schnee zufrieden fest. »Also habe ich ins Schwarze getroffen!«
Wir nahmen beide noch einen Schluck. Ich würde mich einfach betrinken. Diesmal würde ich mich mit Sicherheit betrinken.
»Dürft ihr zu jeder Tageszeit trinken?«, wollte ich wissen. »Was ist denn, wenn es Alarm gibt?«
»Mal den Teufel nicht an die Wand! Wenn es Alarm gibt, dann werden wir schon nüchtern sein, darauf kannst du Gift nehmen!«
Na klar. Solche Helden hatte ich selbst schon erlebt. Nur gut, dass es da Bestimmungen gab: Sie flogen im Handumdrehen aus dem Ausbildungsprogramm.
»Wirklich, Pjotr, wenn du gehen willst, dann wünsche ich dir viel Glück!«, erklärte Schnee warmherzig. »Ich weiß nicht, was dich an der Handelsliga reizt … die sind auf ihre Weise auch verrückt … sie kämpfen gegen den Schatten …«
»Was?«
»Du hast schon richtig gehört! Wahrscheinlich mögt ihr sie deswegen nicht … diese Revolutionäre, diese lächerliche Bande. Allerdings sind sie ganz interessant, das ja …«
Seine Worte wurden von einem Heulen übertönt, einem tiefen Heulen, das durch Mark und Bein ging.
»Mist, und du hast’s beschrien!«, brüllte Schnee los. »Dabei haben wir gerade so nett …«
Das Heulen erstarb, als es einen kaum noch zu hörenden Ton erreicht hatte. Schnee stand da und presste die Flasche an sich. Nach einer Weile stellte er sie sorgsam auf dem Tisch ab. »Nach dem Einsatz genehmigen wir uns noch einen«, brummte er.
Seine Stimme klang absolut nüchtern.
Übrigens merkte auch ich nichts von dem kleinen Besäufnis. Wie das sein konnte, war mir ein Rätsel. Wahrscheinlich wurden aber gerade alle Piloten des Stützpunkts wieder nüchtern.
»Hast du schon eine Maschine bekommen?«, fragte Schnee.
»Ja.«
»Dann los!«
Galis’ Worte von den zwei Minuten drängten sich von selbst in mein Bewusstsein. Ich schoss los. Schnee packte mich am Arm und zog mich, sich tadellos in der Dunkelheit orientierend, hinter sich her. Mit dem Fuß stieß er die Tür auf.
Durch den Gang rannten Leute. Manche in Uniform, manche in Zivil, manche nur in Unterwäsche. Hauptsächlich junge Männer, aber auch eine Frau entdeckte ich. Sie blieb kurz neben mir stehen und holte Luft … Oh, oh, sie war nicht vom Laufen so atemlos und gerötet.
»Du bist neu hier? Meine Glückwünsche zum ersten Einsatz!«
»Verschieb die Zeremonien auf später!«, fuhr Schnee sie an. Daraufhin tauchten wir in den die Treppe hinunterwogenden Strom ein. Wie viele in die Kaserne zurückgekommen waren, seit ich mich meinen Grübeleien überlassen hatte.
Nachdem ich ein paar Mal geschubst worden war, fing ich ebenfalls an, meine Ellenbogen einzusetzen. Obwohl es nur rund zwanzig Sekunden dauerte, das Gebäude zu verlassen, hatte ich bereits den Eindruck, hoffnungslos zu spät zu meiner Maschine zu kommen. Die Anspannung, die die Leute ergriffen hatte, hing schwer und unangenehm in der Luft, fast wie Schweißgeruch, und zerrte an den Nerven.
»Beweg dich!« Schnee rannte in die Dunkelheit hinein, offenbar in Richtung seines Hangars. Ich blieb stehen und versuchte, mich zu orientieren. Lampen gab es keine, nur durch die Fenster fiel Licht. Der Stützpunkt, der so übersichtlich geplant schien, gewann im Dämmerlicht neue Dimensionen.