»Wo ist deine Delta?« Die Frau von vorhin packte mich am Ellbogen. Sie lächelte und tänzelte auf der Stelle. »He, Neuling?«
»Im Hangar mit den neuen Maschinen …«
»Das ist da drüben!«
Ich raste los. Ich konnte nur hoffen, dass sie sich nicht täuschte.
Wie aus dem Nichts tauchte der Hangar vor mir auf. Als sei er aus der Dunkelheit herausgewachsen.
»Alarm!«, schrie ich.
Die Türen glitten auseinander.
Der richtige!
Zumindest gab es hier drinnen Licht. Die in Reihen wartenden reglosen Deltas schienen genauso aufgelöst wie die Menschen. Vielleicht verlor ich allmählich den Verstand, aber ich bildete mir ein, die Kabine hätte sich geöffnet, noch bevor ich »Gast« ausrief.
Ein Ruck – und die hochziehbare Gangway lieferte mich im Sitz ab. Sofort veränderte sich die Welt, denn ich verschmolz mit meiner Delta.
Der Raum loderte. Die Deltas schössen eine nach der anderen mit katzenhafter Grazie aus den offenen Türen der Hangars hinaus und stiegen in die Luft auf. Über dem Stützpunkt flammte ein Feld aus Licht. Unser Schutzschirm. Vor jeder startenden Maschine öffnete sich kurz ein Durchlass im Schirm. Ich zählte siebenundvierzig Deltas, genauer gesagt, ich zählte sie nicht, sondern wusste ihre Zahl einfach, kaum dass ich mich danach gefragt hatte.
»Pjotr?«
»Schnee?«
»Wir haben eine Direktverbindung. Folge mir!«
Eine der Deltas schaukelte in der Luft und wartete auf mich. Ihre Farbe war irgendwie anders. Auf diese Weise soufflierten mir die Rezeptoren der Maschine, wo Schnee war.
»Pjotr, du liegst gut in der Zeit.«
Das war Galis!
»Ich warte auf den Auftrag.«
Eine Pause.
»Folge Schnee. Und du … ich wollte dich heute eigentlich nicht rauslassen … Also bleib in deiner Zone und flieg da Patrouille. Und wage es ja nicht, die Grenze zu überqueren!«
»Zu Befehl!«, stieß Schnee hervor. Und sofort, ohne jeden Übergang, rief er: »Pjotr, du hast Glück. Wenn der Hauptmann uns rausschickt, sieht die Sache ernst aus. Bleib hinter mir!«
Seine Delta schoss in den Himmel hinauf. Ich streckte mich nach ihm aus und spürte, wie die Welt sich in Bewegung setzte, die Erde nach unten fiel und die Mauern des Hangars flirrten. An der Tür blieb die Maschine kurz in der Luft hängen, als wolle sie vor den zurückbleibenden Deltas angeben. Vielleicht stimmte das ja sogar.
Der Himmel. Der unendliche Himmel.
Mit einem Mal begriff ich, wie sehr ich mich nach ihm gesehnt hatte!
Die kurze Landephase mit der Fähre hatte das Gefühl während eines Flugs einfach nicht ersetzen können. Das war lediglich ein Schlingern auf dem Kurs gewesen, mehr nicht. Und ein Flug als Passagier – das ist überhaupt etwas ganz anderes.
Wie sehr ich fliegen wollte! Den Steuerknüppel spüren … Gut, in Ordnung, hier gab es keinen Steuerknüppel. Aber ich wollte die Maschine selbst spüren, die Kraft der Triebwerke, das Heulen der zerrissenen Luft. Die Freiheit des Manövers genießen. Die Verschmelzung mit der Delta ließ sich in keiner Weise mit dem Gefühl vergleichen, das ich im Schiff der Geometer empfunden hatte. Dort hatte ich die Rolle des Zuschauers eingenommen, vielleicht auch die des Kommandanten. Jetzt fühlte ich mich eher wie ein Reiter, der ein Kriegspferd sattelte, das zu lange im Stall gestanden hatte. Selbst wenn das Pferd zugeritten war und unser beider Wünsche weitgehend übereinstimmten – loszustürmen, sich in die wahnsinnige Schlacht zu stürzen –, blieb es trotzdem so, dass es für jede Bewegung nötig war, zuvor den anderen Willen – einen gehorsamen, wenn auch eigensinnigen Willen – zu bezwingen.
»Bleib nicht zurück, Pjotr.«
Wir flogen über die Stadt, in der das Leben in Sekundenschnelle erlosch. Die Lichter gingen aus, die Menschen flüchteten von den Straßen. Ich brauchte mich nur etwas anzustrengen, und schon konnte ich jede Szene in der Nähe klar und deutlich erkennen. Das Stadion mit der Zuschauermenge, die in unterirdische Bunker strömte. Die Mannschaften rannten jeweils in ihre Katakomben … Gute Güte, das war der gleiche idiotische Wettkampf im Figurenbilden, den ich am Morgen im Fernsehen gesehen hatte! Über den Häusern spannten sich Energieschirme. Die Stadt schien sich auf eine Bombardierung vorzubereiten. Vielleicht tarnte sie sich aber auch nur. Durch die Straßen hasteten Menschen, die Tische von Straßencafes wurden umgerissen. Eine ältere Dame packte sich ein paar fliehende Kinder und zog sie mit sich durch eine Tür, unter einen aufflammenden Schutzschild.
»Wir sind dicht an der Front«, sagte Schnee sachlich. »Der Ausstoß der Mutagene erreicht die Stadt in maximal fünfzehn bis zwanzig Minuten. Wenn du es nicht schaffst, dich vor dem Zeug in Sicherheit zu bringen, wirst du selber ein Grüner … Die Maschinen der Zivilverteidigung treffen erst in einer halben Stunde ein. Sie sind jenseits der Berge stationiert, dort ist es ungefährlicher.«
Die Stadt verschwand, wir flogen in einem Bogen zu dem Schlammmeer. Ich ließ den Blick darüberschweifen. »Schade …«, bemerkte ich.
»Was meinst du, Pjotr?«
»Schade, dass ich nicht in der Stadt gewesen bin.«
»He! Also mit so einer Einstellung …«
»Entschuldige.«
Ich sagte kein Wort mehr. Wir näherten uns der Grenze.
Karten im herkömmlichen Sinne gab es nicht. Aber wozu hätte ich auch eine Karte gebraucht? Mithilfe der Delta sah ich alles im Umkreis von Hunderten von Kilometern. Die Maschine selbst identifizierte die nötigen Objekte, beispielsweise die Frontlinie, eine lodernde blaue Linie, die sich am sumpfigen Schlamm entlangzog.
»Unsere Zone.«
Schnees Delta schaukelte kurz und hing dann reglos in der Luft. Ich veranlasste meine, das Manöver zu kopieren, wobei ich sowohl meinen Bewegungsdrang als auch den der Maschine bezwingen musste.
»Unser Auftrag lautet, den Feind nicht über die Grenzlinie zu lassen«, informierte mich Schnee. »Wenn sie sie überschreiten – feuer, was das Zeug hält.«
»Klar. Und wenn sie es nicht tun?«
»Dann beiß die Zähne zusammen«, antwortete Schnee nach kurzem Zögern.
Außer uns war niemand hier, wir flogen in einer Höhe von etwa zwei Kilometern. Die übrigen Maschinen waren weit weg und sicherten ihre Grenzabschnitte.
»Wie mir das alles zum Hals raushängt …«, flüsterte Schnee. »Ich bring’s nicht fertig, von hier wegzugehen … das käme mir wie Verrat vor. Es weiter auszuhalten, aber auch nicht …«
Ich brachte die Delta vorsichtig etwas nach unten. Über dem Sumpf hängend, starrte ich in den braunen Matsch. Schnee hatte mein Manöver schweigend beobachtet.
Der Schlamm wimmelte von Leben. Er bedeckte nicht nur die Oberfläche, sondern reichte tief hinunter, Dutzende, Hunderte von Metern, und klammerte sich unten am Grund fest. In dem Geflecht von Fäden und Stricken krochen allerlei Schatten herum. Winzige orangefarbene Krebse, die von der über ihnen schwebenden Maschine in Panik versetzt worden waren, wuselten über die Oberfläche und tauchten in den Matsch. Es wimmelten Klumpen von Würmern, farblose, als seien sie aus Höhlen herausgekrochen. Transparente, geleeartige flache und schlüpfrige Wesen schlängelten sich durch den Dreck.
»Wunderschön, nicht wahr?«, fragte Schnee ironisch.
»Ja«, gab ich zu. In dem Wirrwarr fremden Lebens lag tatsächlich eine eigene Schönheit – eine ekelhafte, aber faszinierende Schönheit, etwa wie Kieferklauen oder Kiefertaster bei Spinnen, Tentakeln bei Quallen und Facettenaugen bei Insekten.
»Die Grünen fressen dieses Gewürm«, teilte mir Schnee mit. »Diese Kröte im Gefängnis würde beispielsweise mit allergrößtem Appetit eine Handvoll von diesen Würmern verputzen. Du kannst ja ein paar sammeln und sie ihr mitbringen.«