Fünf
Meine Delta hielt bis zum Ende durch. Ich fühlte mich, als würde ich einen Sterbenden zwingen zu rennen oder auf ein zuschanden gerittenes Pferd einpeitschen.
Einen Trost hatte ich allerdings: Auch ich spürte die Knute.
Direkt am Ufer, wohin Schnees Schlag nicht mehr gereicht hatte, wich das saubere Wasser wieder der Dreckbrühe. Die Delta gehorchte meinem Willen und ging abermals tiefer, worauf sich Feuerpeitschen über den Sumpf hermachten. Die Heimstatt der fremden Biosphäre ging in Flammen auf. Die trockenen Algen rauchten kurz, das Wasser kochte, die kleinen orangefarbenen Krebse brutzelten in ihren Panzern. Obwohl ich wusste, wie dumm das war, musste ich das tun. Ich ließ den verbrannten Streifen hinter mir und kehrte mit der Delta zum Stützpunkt zurück.
Das war nicht mein Krieg.
Das war nicht mein Planet.
Schert euch doch alle zum Teufel!
Über dem Stützpunkt loderte immer noch der Schutzschirm. Erwartungsvoll näherte ich mich mit der Maschine. Man hatte mir nicht erklärt, wie man das Kraftfeld ausschaltete. Vielleicht ließ es sich nur von innen regeln.
Dann würde ich halt verbrennen.
Das Kraftfeld öffnete sich. Die Delta schlüpfte durch den Spalt, blieb kurz in der Luft stehen und setzte dann schwerfällig auf dem Boden auf. Die Kabine öffnete sich von selbst, ohne meinen Befehl abzuwarten.
Die Maschine starb.
Das wurde mir klar, kaum dass ich ausgestiegen war.
Die Verkleidung blätterte in Flatschen ab wie die Haut von jemandem, der unter einem Ekzem leidet. Die Delta stieß ein tiefes, monotones Heulen aus. Die Gangway ruckte ein paar Mal nach hinten und wollte sich in die Kabine zurückverwandeln; irgendwann gab sie den hoffnungslosen Versuch auf und hing schlaff herunter.
»Leb wohl«, sagte ich zu meiner Maschine. »Aber am Ende … am Ende haben wir sie doch besiegt, oder?«
Es gab nichts, was ich hier noch hätte tun können. Und es gab nichts, weshalb ich hätte in die Kaserne zurückgehen sollen. Ich blieb auf dem Landestreifen stehen und sah zu, wie meine Maschine starb. Vielleicht wartete ich noch auf etwas … auf eine militärische Patrouille, Galis mit einem Blaster in der Hand oder Invasionstruppen der Grünen, die über diesen Vorfall außer sich waren. Aber es tauchte niemand auf.
Vielleicht war es besser so.
Eine Sache musste ich allerdings noch erledigen. Das begriff ich, sobald ich seitlich, neben dem kleinen Gefängnis, den schwebenden Kahn erblickte.
Es waren alles Mistviecher. Im Großen und Ganzen jedenfalls. Aber im Einzelfall hatte unsereins andere Maßstäbe.
Ich ging zum Gefängnis. Ich trat nach dem Kahn, der daraufhin schwankte. Wahrscheinlich wusste die grünhäutige Fliegerin, wie man damit umging.
Jetzt brauchte ich nur noch die Tür zu öffnen.
»Alarm«, sagte ich.
Nichts passierte.
»Auf. Eingang. Entriegelung. Einlass.«
Ich ratterte alles runter, was mir einfiel, aber die Tür dachte gar nicht daran aufzugehen.
»Die Mühe kannst du dir sparen. Sie reagiert nur auf mentale Befehle.«
Wie lautlos Galis sich anzuschleichen vermochte …
Ich drehte mich um. Der Hauptmann trug keine Waffe. Er stand neben dem Schiff und betrachtete mich mit unverhohlener Neugier.
»Und die Barriere unten kann nur ich aufheben«, fuhr Galis fort. »Also nützen deine Versuche rein gar nichts. Was hattest du denn vor? Sie umzubringen?«
»Sie laufen zu lassen.«
»Ach ja?« Er zog die Brauen hoch.
»Ja. Wozu … Es hat keinen Sinn, Einzelne so zu quälen …«
Die Worte kamen mir schwer über die Lippen.
»Und was ist mit Schnee?«
»Den haben nicht die umgebracht.«
»Ach nein? Ich musste das tun, Pjotr. Es ist mir gar nichts anderes übrig geblieben.«
»Ich habe dir ja schon gesagt, was du mich kannst … mit deiner ganzen Demagogie …«
»Ehrlich gesagt, habe ich nicht verstanden, was du damit sagen wolltest.« Galis zuckte mit den Schultern. »Ich bin kein Anhänger der gleichgeschlechtlichen Liebe, insofern ist dein Wunsch … sehr seltsam.«
Unwillkürlich brach ich in Lachen aus. »Schade, dass ich nicht weiß, wie ich dich beleidigen kann.«
»Dann sollte das eine Beleidigung sein?« Galis wurde etwas lebhafter. »Gut, geh ruhig davon aus, dass ich beleidigt bin, wenn du dich dadurch besser fühlst. Und jetzt kehrst du in die Kaserne zurück. Der Alarm ist aufgehoben. Du hast Glück gehabt, Pjotr.«
Wie einfach alles war. Sobald der Einsatz vorüber ist, kann man sich dem Kommandanten gegenüber Frechheiten herausnehmen und den Befehl verweigern …
Ich rührte mich nicht von der Stelle.
»Was soll das? Willst du diese Frau allen Ernstes befreien?«, fragte Galis verwundert. »Ich wollte sie jetzt sowieso rausholen. Deshalb wartet hier ja das Schiff. Ich trage sie jetzt gleich aus der Zelle, packe sie in den Kahn und gebe den Kurs zu den Grünen ein. Sie ist tot, Pjotr. Die Grünen sterben auf eine andere Weise als wir. Die Kräfte verlassen sie – und sie schalten sich dann einfach ab.«
Alles, was ich sagen wollte, blieb mir im Hals stecken. Wie sinnlos das doch alles war! Sie waren aus dem gleichen Holz geschnitzt wie die Geometer. Von sich selbst überzeugt – und zwar hundertprozentig.
Ich drehte mich um und ging zum Zaun. Ich würde jetzt einfach nach draußen klettern und mich in die Stadt begeben. Dort würde ich diese stellaren Händler ausfindig machen …
»So einfach kommt man von uns nicht weg, Pjotr.«
In Galis’ Worten schwang eine Drohung mit. Ich wirbelte abrupt herum, der Cualcua am Grund meines Bewusstseins schrie auf: Gefahr! Kampftransformation?
Galis näherte sich mir mit sicherem Schritt.
»Du schuldest uns nämlich noch etwas, Pjotr. Deinetwegen – ja, ganz genau, deinetwegen – ist ein guter Pilot gestorben. Du wirst jetzt seinen Sektor übernehmen. Du kommst erst von hier weg, wenn ich es dir erlaube. Oder … mit den Füßen zuerst.«
»Versuch nicht, mich aufzuhalten«, flüsterte ich. »Ich bitte dich, Galis, versuch es nicht …«
»Du Grünschnabel.« Galis wirkte nicht einmal wütend. »Seit dreihundert Jahren habe ich den Befehl für diesen Stützpunkt …«
Wie???
»Und noch nie ist mir eine Rotznase …«
Seine Worte brachten mich völlig aus dem Konzept. Er trat dicht vor mich und gab mir – ohne jedoch auszuholen – eine leichte Ohrfeige. »Ab in die Kaserne! Du stehst unter Arrest, Pilot!«
Meine Wange brannte. Ich sah Galis in die Augen. »Das hättest du nicht tun sollen, Hauptmann …«
Die Krallen rissen meine Haut auf, als ich die Hand hob. Den Grad der Beleidigung abzuschätzen und danach den Gegenschlag zu bemessen, das ist ein Vergnügen ausschließlich für Satte und Glückliche.
»Und steh ja nicht auf«, fügte ich noch hinzu.
Der Hauptmann lag am Boden und presste die Hand gegen das blutige Gesicht. Fassungslos sah er mich an.
»Du bist ja ein Metamorph, Junge …« Er lachte. »Bei diesen Spielen ist man besser zu zweit …«
Gefahr!, schrie der Cualcua.
Galis’ Körper zerfloss, wurde weich wie Wachs. Die Haut überzog sich mit Hornschuppen, die Augen verwandelten sich in schmale Schlitze, der Hals schrumpfte ein, die Haare fielen aus, und beinerne Stachel traten auf dem glänzenden Schädel zutage. Die Arme wuchsen, die Muskeln schwollen an, die Beine verkürzten sich. Vor mir stand ein monsterhaftes Wesen, ein Orang-Utan, der sich irgendwann in Richtung Krokodil entwickelt hatte …
»Und?«, zischte Galis. »Du bist zu forsch, Pilot. Solche wie dich brauchen wir nicht. Aber ich gebe dir noch eine Chance …«
Ich glaube, dann übernahm der Cualcua das Steuer. Mein Symbiont war in Panik geraten, in ganz ungekünstelte Panik. Aus meinen Händen schossen Protoplasmafäden.