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Ich schlief ein. Es wäre sicherlich klüger gewesen, mich weiter vom Fluss zu entfernen, denn der Sand würde bald völlig kalt sein. Aber ich hatte keine Lust aufzustehen, das Spinnennetz des Schlafs zu zerreißen …

Gefahr!

Der Cualcua brauchte keinen Schlaf.

»Was?«, flüsterte ich, während ich mich auf den Bauch drehte und Ausschau hielt. »Wo?«

Am Fluss. Das Plätschern. Das Licht.

Als ich genauer hinschaute, machte ich im Sternenfunkeln eine gigantische dunkle Silhouette aus, die sich träge stromabwärts über den Fluss bewegte. Ein schwaches gelbes Licht schimmerte matt überm Wasser.

Ein Schiff?

Nein, dazu fuhr es zu leise.

Meine Phantasie malte mir prompt die Konturen eines monströsen Körpers aus, der sein funkelndes, auf einem Hörn sitzendes Auge ausfuhr. Warum erwartet man eigentlich immer als Erstes, ein Monster zu treffen?

Kampftransformation?

Es gefiel meinem Cualcua anscheinend, aus mir eine Waffe zu formen.

»Warte noch«, flüsterte ich. Wahrscheinlich zu laut, denn der grobe, klotzige Schatten war inzwischen nahe herangekrochen. Als meine Stimme erklang, rührte sich in ihm etwas. Das Licht kletterte höher … als suche das Auge mich.

Ich ging in die Hocke, bereit, vom Ufer wegzustürmen.

»He, ist hier jemand?«

Die Stimme war nicht sehr laut, wurde aber klar und deutlich über das Wasser getragen. Ich schauderte zusammen und blieb wie angewurzelt hocken.

»Ist da jemand?«, erklang es erneut, doch diesmal leicht verunsichert. Ich würde bestimmt unbemerkt bleiben, wenn ich mich nur nicht rührte. Das gelbe Feuer schweifte umher, suchte mich … und dann fuhr das Monster vorbei.

Und plötzlich löste sich das Rätsel.

Von wegen Monster!

Vor mir hatte ich ein Floß und einen Mann mit einer Laterne in der Hand!

»He!«, schrie ich. »He, da an Bord!«

Wir sprachen beide in einer Sprache, die sich von der unterschied, die ich bereits kannte. Das Tor hatte mich für einen weiteren Planeten des Schattens präpariert.

»Hehe!«, vernahm ich eine fröhliche Stimme. »Bist du allein?«

»Ja.« Ich sprang auf und lief am Ufer entlang. Das sich langsam entfernende Floß hatte sich unversehens ins Zentrum des Universums verwandelt. Nein! Nein, ich wollte nicht allein an diesem Ufer zurückbleiben. »Warte!«

»Ich habe keinen Motor«, rief mir der Unbekannte freundlich, aber leicht nervös zu. »Schaffst du es, hierher zu schwimmen?«

Ob ich das schaffte? Das sollte ja wohl ein Witz sein, oder? Bis zum Floß waren es keine zwanzig Meter … die könnte ich notfalls laufen …

Ich stürzte mich ins Wasser und rannte ein paar Schritte. Der Boden sank rasant ab, und ich tauchte unter Wasser.

Das Wasser war warm. Nun merkte ich auch, dass ich bereits völlig durchgefroren war.

Das gelbe Licht kam näher und verwandelte sich in eine kleine runde Laterne. Ich klammerte mich an den glitschigen Balken fest, als wollte ich das Floß entern. Es war ein Floß, wie es im Buche stand. Eine Hand streckte sich mir entgegen.

»Kriech rauf …«

Alles, was zählte, war, dass in dieser Stimme Wärme lag. Vielleicht etwas Nervosität … Aber wie hätte wohl jemand auf der Erde reagiert, wenn er eine Bootstour macht und in der tiefsten Ödnis mitten in der Nacht einem Unbekannten begegnet?

»Vielen Dank«, sagte ich, als ich aufs Floß krabbelte.

Der Mann hielt sich schweigend die Laterne vors Gesicht. Ich sagte nichts, wusste die Geste aber zu schätzen.

Es war ein Mann mittleren Alters, irgendwo zwischen dreißig und vierzig. Nach meiner Begegnung mit dem uralten Galis hielt ich mich mit Altersschätzungen bei der hiesigen Bevölkerung etwas zurück. Dunkle Haut, allerdings wohl nicht von der Sonne, sondern von Natur aus, glattes schwarzes Haar. Ein sehr ruhiges Gesicht, ernst, aber nicht angespannt. Nur tief in den Augen machte ich stechende Funken aus, als hätte er nicht sein ganzes Leben auf einem Floß verbracht und nervöse Fremdlinge aus dem Wasser gezogen. Er erinnerte ein wenig an Danilow, auch wenn er kräftiger war, viel kräftiger. Solche Männer gefallen jungen Frauen auf den ersten Blick. Ich würde wahrscheinlich nie so werden. Er trug nur Shorts aus silbrigem Stoff, was mich sofort an Nik Rimer und die Geometer denken ließ.

»Vielen Dank«, sagte ich noch einmal.

Der Mann schwenkte die Laterne langsam hin und her, um nun mich anzuleuchten. Blinzelnd ließ ich die Inspektion über mich ergehen.

»Du hast ja vielleicht eine Narbe, mein Freund«, sagte er voller Anteilnahme und senkte die Laterne. »Sie ist frisch, oder? Wer hat denn solche Zähne?«

»Ein Metamorph«, antwortete ich mit einem tiefen Seufzer.

»Verstehe. Geh davon aus, dass du glimpflich davongekommen bist. Ist er weit weg?«

»Er ist tot.«

Der Mann schwieg. Doch in seinem Blick las ich die Frage: Wie?

Nein, ich konnte ihn nicht anlügen.

»Ich … bin auch ein Metamorph. In gewisser Weise.«

»Verstehe. Bei uns ist das nicht üblich.«

»Gut. Ich habe auch nicht vor …«

Er nickte, als sei alles Gesagte nebensächlich, weshalb man nicht weiter darauf eingehen müsse. Wenn ich versprochen hatte, mich nicht in ein Monster zu verwandeln, gut, dann wäre diese Sache ja geklärt.

»Kelos. So heiße ich. Dieser Name bedeutet nicht das Geringste. In keiner einzigen Sprache der Welt des Schattens. Deshalb gefällt er mir auch.«

»Guten Tag, Kelos. Ich bin Pjotr. Das bedeutet ebenfalls in keiner Sprache des Schattens etwas.«

»Da irrst du dich. Im Dialekt der Ur-Erde heißt das Wort Hüter.«

Er lächelte.

»Hüter?«, wiederholte ich begriffsstutzig.

»Hüter, Bewahrer, Saboteur. Es kommt darauf an, welche Periode du nimmst, aber mir gefällt die erste Bedeutung am besten. Nein, ich bin nicht von dort. Guck nicht so erstaunt!«

»Tu ich ja gar nicht.«

Kelos nickte. »Bist du schon lange bei uns?«

»Erst seit Kurzem. Ich bin durch das Tor gekommen.«

»Verstehe. Das merkt man sofort. Du brauchst keine Angst zu haben.«

War das zu glauben? Er war es, der mich beruhigte!

»Und sprich etwas leiser, du weckst sonst meinen Sohn auf.«

Ich nickte. Ich schielte nach hinten, auf dem »Heck« des Floßes war eine Art Zelt errichtet worden. Automatisch fielen mir die Abenteuer von Huckleberry Finn ein.

»Natürlich«, sagte ich leise.

»Erleben wir gerade ein Abenteuer?«, erklang es aus dem Zelt.

Kelos breitete die Arme aus. »Das war’s dann wohl«, sagte er ohne allzu große Verärgerung. »Die Bitte wird wegen Hinfälligkeit zurückgezogen … Genau, Dari! Wir erleben ein Abenteuer!«

Aus dem Zelt krabbelte auf allen vieren ein Junge von etwa zehn Jahren heraus. Er war ebenfalls dunkelhäutig, wenn auch heller als Kelos. Nachdem er sich aufgerichtet hatte, musterte er mich eingehend.

»Ich befürchte, ich bin ein recht langweiliges Abenteuer«, brummte ich.

Der Junge schien da anderer Meinung zu sein. Im Nu war der Schlaf auf seinen Augen verschwunden.

»Ist das Ihre Uniform?«, fragte er laut.

»Dari!« Kelos stieß einen Seufzer aus.

»Entschuldigen Sie.«

Der Junge wurde verlegen. Ein netter Junge, der seine kindliche Offenheit und Direktheit noch nicht verloren hatte.

»Ich heiße Dari«, stellte er sich ein wenig förmlich vor.

»Pjotr«, antwortete ich im selben Ton.

Der Junge atmete tief durch. »Ist das eine Kriegsuniform?«, fragte er dann. »Oh …«

Kelos drohte ihm. »Kinder lassen nie locker«, meinte er mit gequältem Lächeln. »Besser, du antwortest ihm.«

»Ja«, sagte ich. »Und die Narbe an der Wange …«