Выбрать главу

Die Frau von Kelos, Rada, rief ein sehr seltsames Gefühl in mir hervor. Äußerlich wirkte sie noch ausgesprochen jung, vielleicht sogar zu jung für einen zehnjährigen Sohn. Allerdings wusste ich mittlerweile ja auch, dass es müßig war, über das Alter der Leute vom Schatten zu spekulieren. Es kam mir jedenfalls so vor, als unterhalte ich mich mit einer klugen, schönen, guten, aber völlig irrealen Frau. Als ob ich einen Filmstar auf dem Titelbild einer Zeitschrift anschaute … Mir war schleierhaft, wo das Leben aufhörte und wo die Kunst begann.

Das Haus lebte durch seine Bewohner. Es war durchtränkt von ihnen, sah mit ihren Augen, atmete aus den Kinderzeichnungen an den Wänden, den hübschen Aquarellen (ich war mir sicher, dass Rada sie gemalt hatte) und den Photos von rauen, aber wunderschönen Landschaften (bei denen ebenfalls kein Zweifel aufkam, wer sie gemacht hatte). Der Sessel lud förmlich zum Hinsetzen ein, auf den Tischen sah man das Essen und Trinken geradezu vor sich, die vielen Bücher wollte man am liebsten sofort lesen. Entweder lag ein Schatten meines eigenen Zuhauses auf dem Heim von Kelos oder ich war völlig am Ende meiner Kräfte, jedenfalls vergaß ich, kaum hatte ich es betreten, die Erde, das Konklave und die Geometer. Komplett. Genauer gesagt, ich versuchte, sie alle zu vergessen. Ich war einfach zu Besuch, bei guten und alten Freunden zu Besuch.

Das Essen lehnte ich ab, auf ein Gespräch hätte ich mich allerdings nur zu gern eingelassen. Ich wusste jedoch, was sich gehört. Den völlig überdrehten Dari, der noch aufgeregt zehn Minuten durchs Haus gestürmt war, hatte Rada bereits zu Bett gebracht. Nachdem ich einen Becher mit einem heißen Kräuteraufguss, der hier den Tee ersetzte, getrunken hatte, begab ich mich daher in das mir zugewiesene Zimmer. Wahrscheinlich war das ebenfalls ein Ritual auf diesem Planeten: Man hatte mit den Gastgebern noch einen Schluck Tee zu trinken. Eine Kultur, die patriarchale Verhältnisse imitierte, ist sehr auf ihre Bräuche bedacht, das hatten mein Großvater und ich früher einmal diskutiert …

Zum Duschen war ich bereits zu müde, deshalb zog ich mich nur noch aus und legte mich ins Bett. Im offenen Fenster leuchteten die Sterne.

Was es hier wohl für eine Wirtschaftsform gab? Bestimmt nicht den »Kommunismus« der Geometer, denn obwohl es dort für alle reichte, begnügten sich die Menschen mit zellenartigen Zimmern. Es musste etwas Realeres sein, vielleicht wie auf dem Planeten der Grünen. Wie viel wohl ein solches Haus kostete?

Ob ich hier eine Beschäftigung finden würde, die zu mir passte, und ein vergleichbares Haus kaufen könnte? Oder musste man dafür erst hundert Jahre für die Kristallene Allianz kämpfen? Schön, die Kristallene Allianz war zerfallen, kämpfen wir also für die Gläserne, die Zinnerne oder die Hölzerne … Durfte man erst danach die Ruhe genießen?

Pjotr, du bist inkonsequent.

Die Erfassung hatte sich auf den Cualcua wohl nicht gerade vorteilhaft ausgewirkt, denn er hatte es sich angewöhnt, meine Gedanken zu kontrollieren.

»Halt den Mund!«

Pjotr, du vergisst, warum wir auf dieser Welt sind.

»Hast du etwa Angst, dass ich auf alles pfeife und hierbleibe?«

Mein Symbiont hüllte sich in Schweigen.

»Keine Sorge«, beruhigte ich ihn, den Blick aufs Fenster gerichtet. Der Nachtwind zauste an der durchscheinenden, tüllartigen Gardine. »Ich werde nicht hierbleiben. Ich habe nicht vergessen, wer ich bin. Ich habe die Erde nicht vergessen.«

Die Erde ist ein herrlicher Planet, gab der Cualcua plötzlich von sich. Es gibt auf ihr zahlreiche Orte, die an Schönheit und angenehmen Lebensbedingungen diesem hier nicht nachstehen.

Ich brach in Gelächter aus.

»Du gibst ja einen tollen Fremdenführer ab! Hör auf damit. Ich bleibe nicht hier. Kelos hat diese Wälder, seine schöne Frau, die Reisen mit seinem Sohn und dieses gemütliche Heim vermutlich verdient. Aber ich nicht. Mir gefällt es hier … sehr sogar. Aber es ist, als ob du einen Blick in die Zukunft wirfst und denkst: Wie schön es wäre, an einem Kamin zu sitzen und die alten Knochen zu wärmen … Nur kriegen sie hier gar keine alten Knochen, Cualcua.«

Du unterschätzt den Ernst der Lage, Pjotr.

»Wie meinst du das?«

Erinnere dich daran, wie du das erste Mal durch ein Tor gegangen bist.

»Ja und?«

Damals warst du erregt. Voller Aggressivität und Tatendurst. Und genau das hast du dann auch bekommen.

»Lass das …« Ich vergrub das Gesicht im Kopfkissen. »Ich wollte keine fremden Zerstörer abschießen oder mit Metamorphen kämpfen …«

Wie sich zeigte, konnte der Cualcua auch missbilligend schweigen …

»Glaube ich wenigstens«, schob ich nach.

Erinnere dich daran, wie du das zweite Mal durch ein Tor gegangen bist!

»Daran erinnere ich mich nicht … Ich bin gestorben, Cualcua. Einfach gestorben. Ich weiß jetzt, wie das ist …«

Pjotr, du bist wieder genau in die Welt gekommen, die deinen Wünschen entsprach. Du wolltest Ruhe. Keine Feinde. Keine Kämpfe. Sondern diese Art von Sorgen und von Leben, um die man jemanden in aller Stille beneiden kann. Eine Atempause. Und genau die hast du bekommen.

Meine Müdigkeit war wie weggeblasen. Ich lag da und versuchte mich an das zu erinnern, woran ich mich auf gar keinen Fall erinnern wollte. Woran hatte ich gedacht, während ich starb? An nichts … da waren die Traurigkeit, der Schmerz und ein verzweifelter Schneid … ich hatte gesiegt …

»Manipuliert mich jemand, Cualcua? Schiebt mir jemand diese Pseudoweiten unter?«

Der Symbiont schwieg.

»Nun sag schon was! Schließlich bist du klüger als ich! He, Superintellekt! Das ist was anderes, als den Starken Rassen zu Diensten zu sein!«

Ich hoffe … Ich hoffe sehr, dass dich jemand beobachtet.

»Ja wunderbar! Was wäre denn die Alternative?«

Dass man dir dient. Deinen Wünschen gehorcht.

»Soll das heißen, du hast Angst, es könnte sich bei meiner Rasse um potenzielle Herren handeln?«, hauchte ich. »Cualcua … du bist ein Dummkopf. Interessiert dich eigentlich selbst, was hier passiert?«

Ich freue mich über jede Information. Aber mich beunruhigt, dass ich die Situation nicht unter Kontrolle habe.

»Aber vielleicht wolltest du ja genau das?«, schlug ich rachsüchtig vor. »Du bist jahrhundertelang ein unbeteiligter Beobachter gewesen. Und jetzt erlaubt man sich einen Spaß mit dir. Vielleicht gefällt dir das ja?«

Ob die Cualcua ein Unterbewusstsein haben?

Auch das ist möglich. Ich habe übrigens den genetischen Code von allen analysiert, mit denen du in Berührung gekommen bist, Pjotr. Von Schnee, Galis, Kelos und von Dari.

»Ich kenne das Ergebnis«, sagte ich. »Es sind alles Menschen.«

Oder ihr seid alle der Schatten. Gute Nacht, Mensch Pjotr.

»Gute Nacht … auch wenn du nicht schläfst. Was passiert eigentlich zu Hause?«

Der Cualcua zögerte. Es fiel ihm nicht leicht, gegen die eigenen Prinzipien zu verstoßen.

Die Starken Rassen wissen von den Geometern. Die Information ist bekannt geworden. Das rot-violette Geschwader der Alari bewegt sich, von den Torpp eskortiert, auf das Herz der Welten zu.

»Was ist das denn?«

Die Menschen nennen diesen Planeten Zitadelle. Dort tritt der Rat der Starken Rassen zusammen. Sie sind verängstigt, Pjotr. Mehr noch, sie wissen bereits von dir. Davon, dass du auf einer Erkundungsmission bei den Geometern gewesen bist und dich jetzt im Schatten aufhältst.

Auch das noch …

»Jetzt brauchst du dir wirklich keine Gedanken mehr darüber zu machen … dass ich meinen Auftrag vergessen könnte. Haben die Starken Rassen schon eine Entscheidung getroffen?«