»Sofort!«, blaffte ich.
Der Alari wandte sich von mir ab und bog in den rechten Gang ein. Während ich ihm folgte, betrachtete ich das lächerlich wirkende, dicht überm Boden liegende Hinterteil und den borstigen Widerrist des Aliens. Der Alari erinnerte an einen Jagdhund, der Witterung aufgenommen hatte.
Doch wenn die Ähnlichkeit nicht täuschte und sie wirklich von Nagern abstammten, dürfte der Geruchssinn in ihrem Leben tatsächlich eine wichtigere Rolle spielen als bei Menschen.
Schon nach einer relativ kurzen Strecke blieb der Alari vor einer geschlossenen Luke stehen. Er bedachte mich mit dem Blick eines geschlagenen Hundes. »Hier finden gerade wichtige Gespräche statt …«
»An denen ich teilnehmen muss«, behauptete ich.
Es wäre zu komisch gewesen, wenn jetzt die Tür blockiert gewesen wäre. Aber mein alarischer Begleiter hatte offenbar einen ziemlich hohen Rang. Die Luke öffnete sich.
»Nein, nein und noch mal nein!«, hörte ich die Stimme meines Großvaters. »Ich kann das nicht. Das wäre ein zu großer Schock!«
»Was für ein Schock, Großpapa?«, fragte ich, als ich den Raum betrat.
Der Cualcua flüsterte lautlos in meinem Gehirn: Willst du das wirklich wissen, Pjotr?
Zum ersten Mal bekam ich auf dem Schiff der Alari warme Farben zu Gesicht. Ein ovaler Raum, zartrosafarbene Wände, eine blendend purpurrote Decke und bordeauxroter Boden. Als sei ich in die Eingeweide eines Monsters gelangt … Der alarische Kommandant lag mitten im Raum auf einem höchst kompliziert konstruierten Sessel, neben ihm standen drei annähernd normale Sessel, die für Menschen gedacht waren. Nur zwei von ihnen waren belegt, in ihnen saßen Danilow und Mascha. Neben dem Alari stand der Zähler, der mich nun mit fast menschlicher Panik anstarrte.
Nur meinen Großvater entdeckte ich nirgends.
Ich ließ meinen Blick durch den ganzen Raum schweifen, bevor ich schließlich fragte: »Wo ist mein Großvater?«
Mein Begleiter zog sich leise von der immer noch offenen Luke zurück. O ja, bring dich lieber in Sicherheit …
Als ich Danilows Blick auffing, schaute er sofort nach unten. Ich sah Mascha an, die konfus und blass wirkte.
»Kommandant, wo ist Andrej Valentinowitsch Chrumow?«, fragte ich. »Wo ist mein Großvater?«
»Das ist ein sehr kompliziertes ethisches Problem«, antwortete der Alari nach einer Weile. »Ich fürchte, ich habe nicht das Recht, darauf zu antworten, solange er selbst keine diesbezügliche Entscheidung getroffen hat.«
»Karel! Zähler!« Ich sah den Reptiloiden an. »Wo ist mein Großvater?«
Stille hing im Raum.
Du hast es doch bereits verstanden, flüsterte der Cualcua.
»Petja, ich hatte keine andere Wahl«, antwortete der Zähler mit der Stimme meines Großvaters.
Die Mistkerle!
»Was ist mit meinem Großvater?«, brüllte ich. »Was habt ihr mit ihm gemacht, ihr Schweine?!«
»Petja, ich bin hier«, sagte der Zähler.
Ich ging auf ihn zu, ohne genau zu wissen, ob ich mich davon überzeugen wollte, dass die vertraute Stimme aus dem nicht-menschlichen Mund kam, oder ob ich dieses außerirdische Wesen ersticken wollte, das versuchte … versuchte …
»Ich hatte keine andere Wahl, Petja«, sagte mein Großvater. »Wirklich nicht.«
Das zahnlose, mit Kauplatten bewehrte Maul öffnete sich nervös und krampfartig und stieß die Laute der menschlichen Rede mit einer verzweifelten Anstrengung heraus. In den hellblauen Augen des Zählers lag Leere. Da war nichts Bekanntes und Vertrautes! Rein gar nichts!
»Ich wollte eigentlich damit warten, bis du wieder da bist, Petja«, sagte mein Großvater.
Das ging über meine Kräfte. Meine Beine zitterten, die Wände bebten, alles drehte sich, und der Boden sprang mir ins Gesicht.
Zwei
Am besten ging es mir noch, wenn ich an die Decke starrte. Die Augen zu schließen war fatal. Dann krochen mir sofort die unterschiedlichsten Gedanken in den Kopf. Aber ich wollte jetzt nicht nachdenken. Über nichts. Es ging mir nämlich viel besser, wenn ich mir an der Decke einen Punkt suchte und den Blick nicht mehr von ihm abwandte.
Genau, schon besser. Jetzt ertrug ich auch die Stimme meines Großvaters, die aus dem Mund des Zählers kam, denn ich vergaß einfach, was geschehen war.
»Eine plötzlich auftretende Hämorrhagie, Pjotr. Ein Schlaganfall. Ich habe diese Möglichkeit nie ausgeschlossen, aber das Ganze kam äußerst ungelegen. Ich glaube, einen Tag hätte ich noch durchgehalten, aber nicht länger …«
Die Stimme meines Großvaters klang ruhig. Und zwar nicht deshalb, weil er jetzt in Karels Körper steckte. Er hätte genauso ruhig und abgeklärt gesprochen, wenn er gelähmt im Bett gelegen hätte. Vermutlich hatte er sich in ebendiesem Ton auch mit dem Vorschlag des Zählers einverstanden erklärt …
»Danilow hat meine Entscheidung sofort akzeptiert. Mascha allerdings … hat danach kaum ein Wort mit mir gesprochen. Was soll’s? Sie wird sich daran gewöhnen.«
»Wie ist es gewesen?«, wollte ich mit einer Neugier wissen, die mir selbst wehtat.
»Ich wurde narkotisiert. Karel hat angenommen, ich hätte sonst während der Bewusstseinsübertragung den Verstand verloren. Aber so … war es fast, als schläfst du in dem einen Körper ein und wachst in einem anderen auf.«
»Und jetzt? Ist es nicht beängstigend, Großpapa?«, fragte ich. Sofort verfluchte ich mich für die dämliche Frage.
»Nicht sehr«, antwortete mein Großvater jedoch nach wie vor gelassen. »Schließlich habe ich mich lange genug darauf vorbereitet … äh …, für immer fortzugehen. Wie es sich nun gefügt hat – das ist nicht die schlechteste Variante. Es fällt mir noch schwer, mich an mein neues Sehvermögen zu gewöhnen. Wenn du wüsstest, wie ich dich jetzt sehe … das ist wirklich urkomisch. Und an diese … Pfoten muss ich mich auch noch gewöhnen. Oder daran, mich auf allen vieren fortzubewegen. Im Übrigen meide ich Bewegungen, das erledigt Karel.«
»Du … ihr … könnt miteinander kommunizieren? Direkt? Liest du seine Gedanken?«
»Nein. Soweit ich es verstehe, hat Karel für mein Bewusstsein einen Teil seines Gehirns reserviert.« Mein Großvater begeisterte sich zunehmend für das Thema. »Was für eine interessante Rasse, Petja! Was für enorme Möglichkeiten! Nimm zum Beispiel …«
Solange ich den Reptiloiden nicht ansah, war alles in Ordnung. Dann legte mir mein Großvater einfach ein abstraktes Problem dar: Was empfindet ein Mensch, der in einem nicht-menschlichen Körper lebt, noch dazu nicht als Herr über diesen Körper, sondern als zufälliger Gast?
Als Kind hatte ich irgendwann die Masern gehabt. Gut, wer hätte sich die in seiner Kindheit nicht eingefangen? Meine Augen tränten, und ich durfte nicht ins Licht sehen, ich lag im Zimmer, die Gardinen waren vorgezogen, und ich nahm es meinem Großvater krumm, dass er den Computer weggeschafft hatte – damit ich ja die Finger davon ließ. Als Ersatz hatte er mir eine Stereoanlage gekauft, ein Gerät mit allen Schikanen, und ich musste, während ich im Bett lag, tastend mit der Fernbedienung zurechtkommen. Bis heute kann ich alle Knöpfe ertasten … und bis heute erinnere ich mich an die Freude, wenn ich per Knopfdruck zu einem Radiosender im Äther kam oder eine CD startete. Am schönsten war es aber, wenn mein Großvater mich besuchte, sich zu mir setzte und sich mit mir unterhielt. Bereits am ersten Tag fragte ich ihn, warum es so lange dauert, bis man von den Masern kuriert ist, worauf er mir einen zehnminütigen Vortrag über die Krankheit hielt. Ich glaube kaum, dass sich mein Großvater davor je mit den Masern beschäftigt hatte, aber sobald ich erkrankt war, brauchte er nur eine halbe Stunde, um zu einem Experten für diese Krankheit zu werden.