»Ich … ich hätte mir nie verziehen …«, flüsterte Mascha.
»Ihr kennt euch?«, fragte mich Kelos. »Das … das ist deine Gefährtin?«
»Worüber wunderst du dich da? Schließlich sind wir im Schatten …«, brummte ich, während ich Mascha über den Rücken strich. »Komm, beruhige dich, Mascha. Es ist alles in Ordnung, wir haben uns ja wiedergefunden …«
»Ich habe geglaubt, das alles aus ist … dass du verloren gegangen bist … aber ich habe versprochen, dich zu finden …«
Mein Gott!
Schämst du dich denn nicht, Schatten?
Was bedeutet dir eigentlich die Liebe von zwei Kindern, die ihren Planeten verlassen haben? Was bedeuten dir einzelne Planeten, wenn es Tausende und Abertausende gibt? Was bedeutet dir all das – im Vergleich zum heldenhaften Pflichtbewusstsein einer Mitarbeiterin des russischen Geheimdienstes?
Du bist komisch, Schatten. Die junge Frau Mascha, die zu wenig Wärme und Liebe abgekriegt hat, hat den Dienst an der Heimat zu ihrer Liebe erklärt. Die junge Frau Mascha ist damit genau in die Welt gelangt, in die auch ich kommen musste.
Ich stieß Mascha nicht weg und sagte kein Wort.
Vielleicht ist das komisch, aber selbst eine solche Liebe verdient Respekt.
»Ist ja schon gut«, versicherte ich noch einmal.
»Pjotr …« Mascha riss sich von mir los. Sie sah zu Kelos hinüber, flüchtig nur, denn mehr Aufmerksamkeit schien er ihrer Ansicht nach nicht zu verdienen. »Ich bin so froh. Andrej Valentinowitsch meint nämlich, dass nur ich dich finden könnte … dass du ihn nicht mehr magst und deshalb nie in die Welt kommen würdest, in der er sich aufhält … aber ich wollte nicht durch diese Tore gehen, ich habe Angst vor den Dingern!«
»Das sagt er? Ist mein Großvater denn hier?«
»Ja.« Mascha fing an zu lachen. »Aber sicher … du weißt ja noch gar nicht … Petja, wenn du wüsstest … wir waren in einer Welt … es war so grauenvoll … aber jetzt …«
Zu meinem Großvater also war ich unterwegs gewesen.
Natürlich nicht auf Anhieb. Zuvor musste ich durch die Welt, in der ich Galis umgebracht hatte, denjenigen, den mir das Schicksal (oder das Tor?) vorherbestimmt hatte, damit er mir strenge und zärtliche Befehle erteilte, die Welt, in der ich Schnee verloren hatte, mit dem ich mich hätte anfreunden können, ja, müssen. Und auch Kelos war nötig gewesen, mit seinem illusorischen Sohn, der alte und verängstigte Kelos, der Angst hatte zu lieben. All das hatte nur dazu gedient, dass ich am Ende doch zu meinem Großvater zurückkehrte.
Allem zum Trotz, was am Anfang gestanden hatte, als der gequälte und einsame Mann sich ein lebendes Spielzeug gekauft hatte, den zukünftigen Kämpfer für seine Ideale. Dem Schmerz zum Trotz, den wir einander so reichlich zugefügt hatten, dem Gespinst von Lügen zum Trotz, in dem wir beide gefangen waren.
Verzeih mir, Mascha, was ich über deine FSB-Tätigkeit gedacht habe. Auch wenn wir uns nie sehr nahestehen werden, werden wir einander in Zukunft doch nicht mehr verraten.
Ich fürchte mich nicht vor dir, Schatten. Ich fürchte mich nicht und ich begehre dich nicht, denn letzten Endes bin ich stärker als du.
»Also was ist, lässt du uns in die Station?«, fragte ich.
»Ja, natürlich.« Mascha lachte glücklich. »Gehen wir! Dein Großvater ist momentan bei der hiesigen Führung und schwatzt ihnen die Ohren voll … Wie er sich freuen wird!«
Aha! Du sprichst also wieder von meinem Großvater. Immerhin etwas.
»Das ist mein Gefährte.« Ich nickte zu Kelos hinüber. Das Wort »Freund« mied ich lieber, denn ich fing an, es zu fürchten. »Er will der Erde helfen. Er hat sich einen Ausweg ausgedacht, vielleicht nicht gerade den besten, aber …«
Mascha und Kelos gaben sich schweigend die Hand. Kelos sah mich an und sagte, in allzu sichererem Ton, damit wir seinen Worten auch ja glaubten: »Die Einsamkeit, Pjotr. Euch hilft, dass ihr im Schatten völlig allein seid. Seine Welten sind zu groß für euch, er führt euch unweigerlich zueinander.«
Zwei
Die irdischen Stationen waren eine Mischung aus einer Kaserne, der Werkstatt eines verrückten Computerbastlers und einem unvollendeten Schiff während der Stoßarbeit. Das Innere des alarischen Kreuzers hatte mich an einen Felsen erinnert, durch den sich zahllose Höhlen zogen. Und auch die Station der Handelsliga hatte ihren eigenen Charakter.
Sie war ein Weg. So seltsam es klingt … einfach nur ein Weg.
Die gigantischen Stacheln erwiesen sich als hohl. Hin und wieder gab es in ihnen Leuchtplatten. Wir gingen über eine der Seitenflächen, die als Boden diente. Die Gravitation war hier etwas geringer als auf der Erde. Weiter oben musste die Schwerkraft jedoch abrupt nachlassen, denn eine mir entgegenkommende Frau sprang plötzlich los, fuchtelte mit den Armen und schwebte an die oben liegende Fläche. Der lange bunte Rock, der sofort an eine Zigeunerin auf der Erde denken ließ, flatterte kokett hoch. Ich legte den Kopf in den Nacken und sah, dabei gegen ein Schwindelgefühl ankämpfend, wie die Frau sich fünfzig Meter über uns an der Decke hinstellte.
»Was für eine erstaunliche Umsetzung der Schwerkraft!«, rief Mascha aus. »Es erinnert an den O’Neill-Zylinder, den die Amerikaner bauen … nur dass es hier keine Rotation gibt …«
»Das Gravitationsfeld an der Oberfläche weist einen starken Gradienten auf«, erklärte Kelos achselzuckend. »Ist das bei euch nicht üblich?«
»Wir sind überhaupt nicht imstande, die Schwerkraft zu kontrollieren«, gab ich zu.
»Und was tut ihr dann im Kosmos?«
»Wir fliegen«, antwortete ich mürrisch.
»Nein, ich meine die reinen Alltagsprobleme. Wie geht ihr zum Beispiel zur Toilette?«
»Verschone mich damit!«, flehte ich. »Versuch bitte, selbst dahinterzukommen!«
Da Kelos meine Reaktion absolut unbegreiflich war, musste ich sie ihm erklären: »Diese Frage stellen uns alle Kinder und auch einige Erwachsene …«
Hatte ich am Ende also doch noch was gefunden, worüber ich ihn aufklären konnte!
»Im letzten Jahr wurden wir durch die Schulen gejagt, um dort Vorträge zu halten. Wir brauchten mehr Piloten … dafür war eine intensive Werbekampagne nötig. Ich habe vorbereitete Antworten, jeweils für die jüngeren Schüler, für Teenager …«
»Lass sein. Ich kann selber denken.«
Wir gingen immer weiter. Ab und zu ragten an den Wänden des Tunnels quer zum Weg farbenfrohe, hübsche Häuschen auf. An einem von ihnen saß ein älterer Schwarzer, der eine Pfeife schmauchte. Der Rauch stieg in einer aparten Spirale auf.
Nein, Kelos, es gibt hier nichts, worüber ich mich wundern könnte. Ein alter außerirdischer Schwarzer, der an der Hauswand Pfeife raucht – na und?
Mascha hatte sich inzwischen anscheinend auch schon an die Station der Handelsliga gewöhnt. Ob das vielleicht ihre Idealwelt war? Leere, aufwendige Konstruktionen, Bewohner, die sich kaum füreinander interessierten, die allgemeine Atmosphäre einer Kosakensiedlung – war das ihr Milieu?
Aber sollte ich mich darüber etwa wundern? In dem Fall brauchte ich mich nur daran zu erinnern, wo ich selbst beinahe geblieben wäre …
»Wie sich dein Großvater freuen wird«, sagte Mascha. »Nein, Pjotr, du kannst dir nicht vorstellen … Das wird eine Überraschung … auch für dich, übrigens …«
Sie lächelte verschmitzt.
»Ich habe meine Überraschung schon bekommen, als ich dich mit der MPi erblickt habe.«
»Das …« Mascha wog die Waffe in der Hand. »Also das ist ein Schockentlader. Anscheinend wagt sich niemand, die Handelsliga anzugreifen, deshalb darf sogar ich die Neuankömmlinge empfangen.«