Ja, ich sah es. Wir alle sahen es, dieses Etwas, diese veränderte Materie, diesen verzerrten Raum, diesen kleinen Fleck Erde, wo das Tor stand.
»Wir nehmen hier Gäste auf.« Krej lächelte. »Wie euch … zum Beispiel. Wir bieten ihnen ein gemütliches kleines Haus, ein komfortables Nest oder ein geräumiges Aquarium. Gäste mit menschlichem Körper und in jeder sonst vorstellbaren Form. Aber das sind Kleinigkeiten. Selbst der Umstand, dass wir hier auf der Ur-Erde sind, fällt nicht ins Gewicht. Es ist nur ein Symbol, ein Zeichen der Ursprünge … Hier kommen die Vertreter neuer Rassen her. Und sie erhalten die Tore. Sie selbst! Wir selbst sind nur Fuhrleute.«
Das Wort ließ mich zusammenzucken.
»Sie erhalten die Tore und bringen sie in ihre eigene Welt. Das ist alles. Wir helfen ihnen dabei. Aber wir verteilen keinen Platz im Schatten. Das liegt nicht in unserer Macht.«
»Aber warum erhalten wir dann kein Tor?«, polterte Mascha los. »Erklär mir das mal, Krej! Du hast uns doch so wohlwollend aufgenommen … und dafür danken wir dir … aber unsere Welt schwebt in akuter Lebensgefahr! Das interessiert dich wohl überhaupt nicht?! Warum eigentlich nicht?«
»Ob ihr die Tore bekommt, hängt einzig und allein von euch ab. Ich wollte nicht darauf zu sprechen kommen …« Krej wirkte verlegen. »Aber … wenn ihr den Schatten nicht wollt … wenn ihr ihn nur aus Furcht erbittet, nicht aus Liebe …«
»Warum müssen alle Götter so grausam sein?«, fragte mein Großvater in scharfem Ton. »Na, Krej? Warum wollen sie alle, dass sie aufrichtig und reinen Herzens geliebt werden, dass man einen Kotau macht, seine Kinder opfert und ihnen für sein Leid dankt? Es stimmt, wir lieben den Schatten nicht! Aber wir sind auch nicht die ganze Erde! Und sogar wir sind bereit, den Schatten zu akzeptieren!«
»In dem Fall seid ihr eben nicht bereit.« Krejs Stimme zitterte nicht einmal. »Warum, das kann ich nicht sagen. Weil ich selbst nicht weiß, woran es liegt. Vielleicht, weil ihr nicht alle vollständig erschienen seid …«
»Es gibt hier zweihunderttausend Planeten! Und auf jedem von ihnen Tausende von Toren! Wie sollen wir Danilow da finden?« Mascha kannte jetzt kein Halten mehr. »Was wollt ihr eigentlich von uns? Müssen wir geschlossen per erhobener Hand abstimmen? Sollen wir unisono darum flehen, in den Schatten aufgenommen zu werden? Saschka kann doch sonstwo sein! Er kann in einem Wagen mit fahrenden Schauspielern herumziehen! Er kann seine Haremsdamen durchvögeln! Er kann für irgendeinen popeligen König kämpfen oder lernen, eure Raumschiffe zu fliegen! Woher sollen wir das denn wissen?«
»Ihr braucht es gar nicht zu wissen«, antwortete Krej leise. »Das ist nicht nötig. Genau darum geht es ja … Passt auf!«
Er machte keine einzige Bewegung, sagte kein einziges Wort. Es breitete sich einfach ein Licht in der Abendluft aus – und dann sahen wir es.
Wir sahen die Felsen, schwarz wie die Nacht, obwohl dort noch Tag war …
Das Bild setzte sich in Bewegung, glitt um uns herum. Wir hatten das untrügliche Gefühl, Teil des Ganzen zu sein, als habe man uns durch den Raum bewegt, als habe man uns in der Luft über den Felsen, über den gramgebeugten Figuren, aufgehängt.
»Sie sind vor fast einem Monat zu uns gekommen …«, erläuterte Krej. »Sie haben lange versucht zu verstehen, was mit ihnen passiert, und noch länger haben sie gebraucht, um alle zusammenzukommen. Und jetzt … werden sie auch die Tore erhalten. Da bin ich sicher. Ich habe das schon oft genug erlebt …«
Bei den Figuren, die auf den schwarzen Felsen verteilt waren, handelte es sich nicht hundertprozentig um Menschen. Freilich, sie hatten zwei Arme, zwei Beine, einen Kopf und zwei Augen … große Facettenaugen.
»Da ist ja ein eigenständiger Zweig der Entwicklung«, sagte Krej in leicht vorwurfsvollem Ton. »Sie stammen nicht von der Ur-Erde ab … wie ihr …«
Die Figuren kratzten mit ihren langen dünnen Fingern am Stein und sahen immer wieder nach oben, hinauf zum Himmel, zu uns, den unsichtbaren Beobachtern.
Der nicht-menschliche Blick und die abgehackten Bewegungen gingen mit einer bezwingenden, fremden Schönheit einher. Die Haut dieser Wesen war blauschwarz, sie verschmolzen mit dem toten Gestein und kratzten immer weiter, hämmerten auf den Fels ein, flehten ihn an …
»Ihr Verhalten … ist nur eine Möglichkeit«, erklärte Krej scharf. »Ein Ausdruck ihrer Mühen. Sie brauchen den Schatten. Sie brauchen die Tore.«
Etwas geschah. Der Stein barst. Ein Stück Felsen löste sich. Ein alles durchdringendes Geräusch voll fremder Freude und fremdem Jubel erklang. Ihre Hände griffen nach einer funkelnden, blutroten, kirschkleinen Kugel. Dann folgte Stille, eine fast heilige Stille. Die Figuren erhoben sich. Fünf schmale, hochgewachsene nicht-menschliche Wesen schritten über die Felsen – und in den Händen des einen flammte, den Tag überstrahlend, ein Feuersame auf.
»Sie haben die Tore bekommen«, sagte Krej ruhig. »Das ist alles. Jetzt beginnt ihr Weg in den Schatten. Mit allen Nachteilen … Aber wenn ihr wüsstet, wie sie bisher gelebt haben … was sie mit ihrem Planeten angestellt haben … dann würdet ihr verstehen, dass der Schatten für sie ein Segen ist.«
Das Bild verblasste. Wir waren wieder in dem Garten … Keine Ahnung, wie es den anderen erging, aber ich empfand einzig und allein Neid. Vielleicht hatte ich genau davon mein Leben lang geträumt … mit einem Samen für ein Tor, für eine Tür in andere Welten aufzubrechen. Und es konnten sich von mir aus in diesen Welten sämtliche Schmerzen, Laster und Dummheiten des Universums zusammenballen – sofern nur eine von tausend Welten dem Guten zugeneigt war … dem heimatlosen Kind ein Zuhause bot, dem armen Poeten ein Stück Brot, dem Erniedrigten Gerechtigkeit …
»Ihr wollt von mir wissen, wie ihr die Tore erhalten könnt?«
Die Erde durchwandern, mit einem lodernden Feuer in der Hand. Den Samen in den Boden stecken und zusehen, wie ein körperloses Tor auflodert. Ein Meer von Möglichkeiten. Ein Meer von Freiheit.
»Ihr müsst warten. Hoffen. Wenn ihr die Tore wirklich braucht, werdet ihr sie bekommen …«
»Krej!« Kelos’ Stimme riss mich aus meinen Träumereien. Er erhob sich. »Besinn dich! Sie sind noch nicht bereit! Sie sind Kinder, sie sind Babys, ihre Geschichte ist ein Lichtfunke in der Dunkelheit! Jahrtausendelang sind die alten Schiffe unserer Rasse durch die Galaxis gekrochen – um die Samen des Lebens auszustreuen. Sie können es nicht annehmen – so auf der Stelle. Sie brauchen Zeit, und sie brauchen Hilfe. Die Kompromisslosigkeit der Jugend – kannst du denn nicht verstehen, was sie bedeutet? Gerade du!«
»Ja, gerade ich, du mein unsterblicher Kriegsherr!«
Krej sprang auf und verneigte sich spöttisch.
Alles, was ich hätte sagen wollen und können, jede inständige Bitte und jeder Fluch – alles war aus meinem Kopf entschwunden. Denn vor unseren Augen spielte sich der Schlussakt eines alten Dramas ab.
»Wir bitten um Verzeihung, Kriegsherr! Die Liga wird den Weg der Kristallenen Allianz nicht gehen!«
»Krej Saklad, als ich dich, einen verrotzten Bengel, aus der Pestbaracke gerettet habe, da habe ich nicht darüber nachgedacht, ob das richtig war oder nicht, ob dein Leben es wert ist, dass ich …«
»Wie es eben typisch für dich ist, Kriegsherr!«
Wo waren nur seine Höflichkeit und Gelassenheit geblieben? Die beiden Männer, deren Alter in Jahrhunderten zu zählen war, beschimpften sich jetzt wie zwei besoffene Halbwüchsige.
»Vielen Dank auch! Als man mich auf die Folterbank gespannt hat, da habe ich dich nicht verraten, Kriegsherr! Als ich die Rebellen bei lebendigem Leibe verbrannt habe – ganz langsam, Kelos, genau wie du es befohlen hast – damit sie nicht einmal mehr daran dachten, in ihre Heimatwelt zurückzukehren, da habe ich nicht gezögert! Denn ich habe gewusst, dass du das einzige Licht in der Finsternis bist, dass nur du das Recht hast zu entscheiden, was gut ist und was böse! Wir sind deinen Weg gegangen – und im Dreck gelandet. Und jetzt gehen wir in die entgegengesetzte Richtung! Ich wünsche diesen Menschen nur Gutes – aber ich werde sie nicht mit Gewalt beglücken! Tut mir leid, Kriegsherr! Befiehlst du mir jetzt, meinen Abschied zu nehmen? Oder mich zu erschießen?«