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Alexander, du verhinderter Sieger, wie soll ich dir erklären, was ich verstanden habe? Wie soll ich dir klarmachen, dass die Welt aus Kälte und Schwefel, aus Feuer und Peitsche besteht, aber dass man sie trotzdem lieben muss, als wäre sie aus Salb- und Rosenöl? Wie soll ich dir begreiflich machen, dass wir sowohl den Preis als auch die Belohnung von jetzt an für immer in uns tragen, dass es nicht nötig ist, die alten Spiele wieder und wieder zu spielen? Er ist nicht Kay, ich bin nicht Gerda, die ins Reich der Schneekönigin gekommen ist …

»Sascha, wir haben uns alle wiedergefunden. Alle.«

Er nickte schweigend.

»Mein Großvater hat einen neuen Körper bekommen. Kannst du dir das vorstellen?«

Leichte Verwunderung funkelte in seinen Augen auf.

»Noch dazu einen jungen Körper. Er sieht jetzt jünger aus als du. Seine Gegner können einem leidtun … Mein Großvater hat immer gesagt, er würde seinen Sieg nicht mehr erleben. Jetzt hat er genug Zeit für alle Siege der Welt.«

»Und Maschka?«

»Sie klebt an ihm«, teilte ich ihm fröhlich mit. »Aber das war ja zu erwarten. Ich glaube, das hält nicht lange, aber im Moment würdest du sie nicht wiedererkennen.«

»Mich auch nicht.«

»Nein, du bist immer noch der Alte. Allerdings solltest du dich jetzt nicht weiter hier, rumlümmeln. Steh auf! Das Tor ist nicht weit, aber wir haben nicht mehr viel Zeit.«

»Wozu?«

»Um einen Samen für die Tore zu kriegen. Und ihn zur Erde zu bringen. Die Starken Rassen sind kurz davor, die Liquidation unseres Planeten anzuordnen …«

»Die Starken …«

»Nun steh schon auf! Steh auf, Soldat!« Diesmal verlangte ich es nicht im Befehlston, sondern bat ihn. »Saschka! Komm schon! Willst du etwa, dass ich hier alle umniete, bevor du dich endlich vom Fleck rührst? Und das mache ich, darauf kannst du Gift nehmen! Auf den Wachtürmen stehen nur diejenigen, denen das Spaß macht!«

»Und auf den Pritschen liegen nur diejenigen …«

»Entscheide dich, Saschka! Du musst selbst von hier fortgehen wollen. Mit Gewalt kann ich dich nicht zwingen …«

Er schwieg.

»Mach schon! Denk an die Erde! An deine Frau, deine Kinder, dein Schiff! Was liegt dir sonst noch am Herzen?«

Keine Ahnung, auf welches Wort er ansprang. Kaum auf »Frau«. Vielleicht auf »Kinder«. Oder auf »Schiff«.

Danilow stemmte sich ächzend hoch und setzte sich auf die Pritsche. Er schielte zu seinen Mitgefangenen hinüber, blickte dann aber weg.

»Müssen wir weit gehen?«

»Da kannst du hinkriechen!«

»Ich habe keinen Symbionten, Pjotr! Ich könnte unterwegs erfrieren.«

»Dann werden wir einen Wachtposten finden und ihn bitten, seine Kleidung mit dir zu teilen.«

»Wie jung du bist, Pjotr«, bemerkte Danilow seufzend. »Wie jung …«

In seiner Stimme lag ein Anflug von Neid. Trotzdem stand er auf.

Sie warteten auf uns.

Alle, bis auf Krej.

Ein Lagerfeuer brannte, mein Großvater saß da und schürte das Feuer mit einem bereits schmurgelnden Zweig. Mascha schmiegte sich halb liegend, halb sitzend an ihn. Zu ihren Füßen hatte sich der Zähler ausgestreckt. Kelos ragte etwas abseits wie eine steinerne Statue auf.

Was für ein friedliches, idyllisches Bild …

Unser Auftauchen bildete einen scharfen Kontrast dazu. Ich schleifte Danilow, der von einem Bein aufs andere sprang und fluchte, was das Zeug hielt, mehr oder weniger hinter mir her. Sein zerfetzter, schneebedeckter Overall war blutverschmiert.

»Das kann nicht wahr sein«, sagte Kelos. Er kam uns entgegen und blieb am Rand des Tors stehen.

Mein Großvater und Mascha rannten zu uns ins Tor hinein. Sie hakten Danilow unter und schleppten ihn zum Lagerfeuer. Für mich hatte mein Großvater nur einen einzigen Blick übrig, einen dankbaren, aber knappen Blick, als hätte er keine Sekunde daran gezweifelt, dass ich zurückkehren und Danilow mitbringen würde.

»Wer war das?«, fragte Mascha. Sie stützte Danilow mit der Geschicklichkeit einer erfahrenen Krankenschwester.

Danilow runzelte die Stirn, schwieg aber.

»Es hat keinen Kampf gegeben«, antwortete ich. »Das kommt von den Felsen. Vom Eis. Sascha ist abgestürzt … wir können von Glück sagen, dass es nicht tödlich ausgegangen ist.«

»Warum zum Teufel hast du mich ausgerechnet zu diesem Tor geschleppt?«, zischte Danilow. »Ich bin schließlich kein Bergsteiger! Außerdem hätten wir einfach in ein Auto steigen können …«

Ich sparte mir die Antwort. Natürlich hätten wir genau das tun müssen. Wir hätten uns den Jeep der Wachen schnappen und über den unberührten Schnee zum nächsten Tor jagen sollen. Aber ich war das idiotische Gefühl nicht losgeworden, wir sollten den Weg zurück nehmen, den ich gekommen war.

Kelos drängelte Mascha beiseite und setzte sich neben Danilow. Der Oberst grummelte etwas, verstummte dann aber und starrte den Fremden an. Kelos tastete rasch sein Bein ab.

»Das ist nicht schlimm. Du hast dir nichts gebrochen.«

»Das weiß ich …« Danilow schob Kelos’ Hand weg. »Vielen Dank.«

»Großpapa«, flüsterte ich, »bist du dir sicher gewesen, dass ich Saschka finden würde?«

»Ja.«

»Aber wieso?«

»Du bist daran gewöhnt, eine Sache zu Ende zu bringen.«

»Das ist keine Antwort.«

»Na schön.« Mein Großvater seufzte. »Du kennst keine Niederlagen, weißt du. In deinem Leben hat es keine normalen, keine richtigen Niederlagen gegeben. Wenn du etwas wolltest, hast du es auch bekommen. Mit kindlicher Naivität und mit der Gewissheit, dass du die Welt vollständig durchschaut hast. Du kannst dich davon überzeugen, dass die Entscheidung, die du einmal getroffen hast, die einzig richtige ist und sich ohne Zweifel in die Tat umsetzen lässt. Das ist alles. Sicherlich wird sich das irgendwann auf sehr schmerzhafte Weise rächen, Pit. Aber noch reicht dein Selbstvertrauen, noch vertraust du stark genug auf deine Entscheidungen, dass du durch das Tor gehen kannst. Besser als wir alle und als die meisten Einheimischen hier.«

Ich weiß nicht, ob er wirklich dieser Meinung war oder ob er nur versuchte, eine Erklärung für mein Glück zu finden. Auf alle Fälle klang es viel zu einfach, wie aus einem alten Film, wo die Helden durch Wände gehen konnten, sofern sie nur fest genug daran glaubten.

»Es liegt nicht an mir, Großpapa. Nicht nur an mir. Wenn Danilow nicht gewollt hätte, dass ich ihn mitnehme … wenn ihr nicht auf uns gewartet hättet …«

»Ja, das stimmt. Du hangelst dich an einem unsichtbaren Faden entlang, der zwischen uns gespannt ist. Vielleicht hat dein Freund recht … wir sind hier zu einsam, um einander wirklich verloren zu gehen. Wir haben Angst. Wir haben einfach Angst.«

»Aber jetzt …«

Mein Großvater zuckte mit den Schultern. Mascha verband Danilow das Bein. Dieser sagte kein Wort, sondern hörte Kelos zu, der stets mit allen eine gemeinsame Sprache fand.

»Großvater …«, sagte ich, denn ich spürte, dass etwas nicht stimmte. »Was ist denn los?«

»Wir sind jetzt alle zusammen«, antwortete mein Großvater.

»Und?«

»Das sage ich auch: Und! Wo bleiben nun Tore? Tu dich auf, Erde, erscheine, Tellerchen mit dem blauen Rändchen! Gebt uns die Tür in unsere Welt! Erbarmt euch der Waisen und Tumben!«

Mein Großvater drehte sich mir zu und legte mir die Hände auf die Schultern. »Du bist ein guter Junge, Petja«, sagte er leise und nachdrücklich. »Ich bin stolz auf dich. Ich liebe dich. Du bist in der Lage, für einen Freund durch Feuer und Wasser zu gehen, oder Saschka, der dich doch verraten hat, hierher zu bringen. Wo hast du ihn eigentlich aufgetrieben? Lass mich raten. In einem Konzentrationslager? Ja, wir alle sind Helden vom Scheitel bis zur Sohle. Die Retter der Menschheit. Gebt uns, gebt uns diese Tore!«