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»Siehst du, und ich habe dich so erzogen, wie ich es für richtig hielt«, unterbrach mich mein Großvater. »Und was habe ich nun davon?«

»Ich habe dich nicht darum gebeten, mich zu erziehen«, hielt ich dagegen.

Mein Großvater schwieg eine Weile, bevor er schließlich reagierte. »Das war ein Schlag unter die Gürtellinie, Pit.«

Der kindliche Name verfing bei mir jedoch nicht.

»Du hast jetzt keine Gürtellinie mehr. Gut, was auch immer deine Ziele gewesen sein mögen, Großpapa, jedenfalls hast du mich so erzogen, dass ich meine eigenen Entscheidungen treffe. Du hast mich zur Freiheit erzogen. Oder war das etwa nicht dein erklärtes Ziel? Genau deshalb musst du dir jetzt anhören, dass ich mir sicher bin, dass die Welt der Geometer der Erde nichts Gutes bringt.«

»Petja, hast du da, bei den Geometern, Bettler gesehen?«

Ich schwieg. Was hätte ich antworten sollen? Zum Glück wollte mein Großvater den Effekt noch steigern: »Oder Banditen? Verbrecher?«

»Ja. Ich habe in einem Konzentrationslager gesessen.«

»Wenn ich deiner Beschreibung trauen darf, dann ist das nicht der schlimmste Ort, Petja! Millionen von Menschen leben bei uns unter weitaus schlechteren Bedingungen. Kennst du die Flüchtlingslager bei Rostow? Oder die Arbeitssiedlungen für die Jugend in Sibirien?« Mein Großvater hatte die Stimme erhoben und presste aus der Kehle des Reptiloiden alles an Lautstärke heraus, was nur möglich war. »Als du dir die Schattenseiten dieses Planeten angesehen hast – ist dir dein eigener da vielleicht wie ein Paradies vorgekommen? Wach auf, Petja! Die Erde ist weiß Gott nicht der Kurort, für den du sie so gerne hältst.«

Die endlose eisige Tundra fiel mir wieder ein. Die Kette von Wachtürmen, in denen die Wendigen Freunde saßen. Der Historiker Agard Tarai, der die Wahrheit nur zu gut kannte – und sich trotzdem nicht zum Protest aufraffen konnte. Auch das Dampfbad fiel mir ein. Vielleicht wegen des Kontrasts: der glühende Wind und die vielen Menschen, die Angst hatten, einander zu berühren. Die Kinder aus dem Internat Weißes Meer, nette aufmüpfige Jungen, die man voller Sorgfalt und Liebe in nette gehorsame Roboter verwandeln würde.

»Die Erde ist ein Paradies«, sagte ich. »Glaub’s mir, Großpapa.«

Mein Ton ärgerte ihn. »Wenn eine Utopie auf die Realität stößt, führt das immer zu Deformationen«, murmelte er und schüttelte den dreieckigen Echsenkopf. »Die Utopie wird verzerrt, aber …«

»Nein, Großpapa. Hier ist nicht die Utopie deformiert worden, sondern die Realität.«

»Was hat dich in dieser Welt am meisten gestört, Pit?«, fragte mein Großvater nach kurzem Schweigen.

Es war wie ein Gruß aus der Kindheit. Wie viel Zeit hatte mein Großvater daran gegeben, mir beizubringen, den Kern einer Sache zu benennen. »Jammer nicht, sondern sag mir, was dir wehtut!« – »Wirf das Lehrbuch nicht in die Ecke, sondern sag mir, was du nicht verstehst!« -»Heul nicht, sondern erinner dich daran, wie sie dir auf die Nase gehauen haben!«

»Die Ausbilder. Ihre Selbstsicherheit. Ihr … ihr Bemühen, Gutes zu schaffen.«

»Und darüber regst du dich auf, Petja?«, fragte mein Großvater und brachte sogar einen echten Menschenlaut zustande. »Es ist doch nur zu begrüßen, wenn die Menschen an die Richtigkeit ihrer Überzeugungen glauben! Wenn sie versuchen, die Kinder danach zu erziehen! Gute Lehrer – genau das ist es, was unserer Gesellschaft fehlt!«

Plötzlich fiel mir Tag ein. »Kinder brauchen keine guten Lehrer«, hielt ich dagegen. »Sie brauchen gute Eltern.«

Daraufhin kicherte mein Großvater unvermittelt los. »Petja, deine Wissenslücken in Kombination mit deinem Geschick, sie zu stopfen, haben mich schon immer verblüfft. Jetzt ziehst du schon gegen Autoritäten zu Felde …«

»Gegen Autoritäten muss man zu Felde ziehen. Das bringt ihre Position mit sich.«

»Wenn ich das früher gewusst hätte …«, setzte mein Großvater an. »Aber lassen wir das. Was schlägst du vor, Petja?«

»Den Schatten, Großvater. Ich sollte dahin aufbrechen …«

»Warum ausgerechnet du?«

»Ich kenne die Geometer. Also werde ich ihre Feinde schneller begreifen.«

»Und wie stellst du dir diese Reise vor? Mit dem Jump? Zweiunddreißigtausend Lichtjahre geteilt durch zwölf Ganze und drei Zehntel … das sind ja bloß läppische dreitausend Sprünge! Wenn zwischen zwei Jumps jeweils zwei Stunden liegen, dann schaffen wir das in etwa acht Monaten. Hältst du das für realistisch, Petja?«

Ich hatte meinen Großvater auf die Palme gebracht, keine Frage.

»Nein«, stimmte ich ihm zu. »Selbst wenn die Alari die Fähre mit ihren Generatoren und Lebenserhaltungssystemen ausstatten würden …, würde das zu lange dauern. So viel Zeit haben wir nicht. Außerdem würde niemand so viele Jumps verkraften. Ich würde beim hundertsten durchdrehen.«

»Wie stellst du es dir dann vor? Uns fehlen die technischen Möglichkeiten, um zum Kern der Galaxis vorzudringen!«

»Das stimmt nicht. Wir haben das Schiff der Geometer.«

Darauf sagte mein Großvater kein Wort.

»Sie bewegen sich durch den Subraum«, erklärte ich ihm. »Genau wie die Alari und andere Rassen. Nur können sie dabei auch noch auf das Prinzip der permanenten Beschleunigung zurückgreifen. Je größer die Distanz ist, desto höher ist die Geschwindigkeit. Bei einer Strecke von zehn Parsec mag der Jumper vielleicht noch schneller sein. Aber wenn es um zehn Kiloparsec geht, wirst du nichts Besseres finden.«

»Woher weißt du das, Pjotr?« Mein Großvater wirkte verwirrt.

»Der Raum ist wie Stoff, Großpapa«, führte ich seufzend aus. »Wir können mit Lichtgeschwindigkeit über ihn kriechen. Oder wir können ihn zusammenknüllen und von einem Punkt zum anderen springen, das ist der Jump. Die Falten sind dabei immer gleich, egal was du anstellst, und der Schock ist unvermeidlich, denn die Energie wird nicht zusammen mit der Materie übertragen. Alle anderen Rassen nutzen die Kehrseite des Raums, wie auch immer diese genannt wird: Außer-Raum, Hypersprung oder Subraum. Aber …«

»Herzlichen Dank für den Vortrag«, unterbrach mich mein Großvater. »Man sollte ihn vor Schülern halten. Es gibt viele Hypothesen, aber das Prinzip des Jumps kennen wir eben immer noch nicht. Und wie die Triebwerke der Aliens funktionieren, wissen wir auch nicht. Das Einzige, was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass die Geschwindigkeit der Bewegung im Subraum begrenzt ist. Je höher sie ist, desto energieintensiver ist sie auch, noch dazu in geometrischer Folge. Das wiederum heißt …«

»Großpapa, ich habe mit dem Schiff der Geometer gesprochen«, warf ich ein. »Es ist ein gutes Schiff, das viele Informationen gespeichert hat. Es bewegt sich mit einer Mischung aus Jump und Bewegung durch den Subraum fort. Zunächst begibt es sich zur Kehrseite des Raums, dann leitet es den Jump ein. Von dort aus. Verstehst du das? Damit ist es nicht mehr nötig, Energie für die Bewegung durch den Außer-Raum zu verschwenden. Und es gibt keinen Jumpschock.«

»Aber wenn ein Schiff diese Information gespeichert hat, Pjotr … und wo doch alle gleich sind …« Irgendwie schien mein Großvater langsamer zu denken als sonst. »Dann hätte doch das Schiff, mit dem du von hier weggeflogen bist, diese Information auch abgespeichert haben müssen …«