»Wir werden ihn uns so oder so holen«, verkündete ich. »Ihr bekommt einen neuen. Gib her!«
Die Aliens trugen keine Kleidung. Nur geschuppte Riemen, die aussahen, als seien sie aus Schlangenhaut gefertigt, umhüllten ihre Körper. Daran hingen unzählige Taschen, Behältnisse und Hüllen.
Die schmalen lilafarbenen Hände glitten über die Riemen …
»Runter!«, schrie Mascha.
Statt mich zu ducken, sprang ich vor, packte den Fremden mit dem Samen und zog ihn von den anderen weg. Die schmalen Hände erwiesen sich als überraschend kräftig. Da wir direkt an der Feuerlinie miteinander kämpften, traute sich niemand, einen Schuss abzugeben.
»Das ist unser!«, brüllte der Fremde. »Unser. Ist. Das. Das. Ist. Unser …«
Es war leichter, ihn zu Boden zu werfen, als ihm den Samen zu entwenden. Sobald wir beide hinfielen, brach über unseren Köpfen der Feuersturm los. Flammenblitze zuckten, Maschas MPi ratterte gleichmäßig. Wir rollten über den Felsen, immer näher an den Abhang heran. Unsere Gefährten klärten derweil die uralte Frage: Wer hat recht – und wer hat mehr Rechte?
Unser Kampf dauerte nicht lang. Wir stellten ihn fast gleichzeitig ein, beide von dem Wunsch beseelt, uns über den Stand der Dinge zu informieren.
Drei Blauhäutige lagen auf dem Felsen. Wahrscheinlich hatte Mascha sie erwischt, denn es waren keine Wunden zu sehen.
Kelos und der letzte Alien gingen noch immer aufeinander los. Vor Kelos flackerte die weiße funkelnde Wand eines Kraftschilds. Vor dem Alien ragte das gleiche Ding auf, allerdings in Gelb. Anscheinend hatten die beiden Kontrahenten den Schild des anderen nicht einschlagen können und umrundeten einander jetzt nur noch. Wer wohl wen zuerst abdrängte? Vom Pfad in den Abgrund …
Ich zweifelte nicht am Ausgang des Kampfes.
Schritt für Schritt bewegte sich der Alien auf den Abgrund zu. In Kelos’ Miene zeigten sich keine Gefühle mehr, sie war zu einer erbarmungslosen Metallmaske geworden. Ein Schritt. Noch einer.
Der Fremde schwankte am Rand des Abgrunds. Er begriff genauso gut wie ich, dass er dem Tod geweiht war. Und genau wie ein Mensch wollte er sich auf gar keinen Fall ergeben.
Der gelbe Schild schrumpfte zu einem Punkt zusammen und zog sich zurück. Ein wuchtiger Schlag von Kelos fegte den Alien vom Pfad.
Doch den Bruchteil einer Sekunde vor diesem Angriff durchbohrte der flammende gelbe Punkt den weißen Schild und grub sich in Kelos hinein.
Ich schrie auf, als ich sah, wie unser einziger Verbündeter Feuer fing. Die Flamme züngelte hoch, verbrannte ihn von innen, der blauhäutige Alien war bereits in die Tiefe verschwunden, lautlos auf dem Felsen aufgeschlagen, aber das Feuer wollte immer noch nicht erlöschen.
»Kelos!« Mascha schleuderte die MPi weg und stürzte zu ihm. Kelos wich zurück, als fürchte er, sie zu versengen. Er fiel auf die Knie.
Hat dich das Feuer also doch erwischt, den Cyborg, der ein Mensch zu sein versuchte, den Menschen, der als Soldat geboren wurde … Das Schicksal holt jeden ein, sosehr man sich auch vor ihm versteckt. Und es begleicht alle angehäuften Schulden …
Ich betrachtete den am Boden liegenden Alien. In den Facettenaugen, in denen sich kein Gefühl widerspiegelte und auch nicht widerspiegeln konnte, stand Verzweiflung. Ich schmetterte seinen Kopf auf die Steine, einmal, zweimal, bis seine Augen trüb wurden.
Erst dann gestattete ich mir, zu Kelos zu eilen.
Die Flamme war erloschen. Kelos lag reglos da, nur seine rechte Hand zitterte in Krämpfen. Sein Körper schien im Innern explodiert und von zahllosen Wunden zerfetzt zu sein. Aus einigen floss Blut. Bei einigen schimmerte aufgerissenes Metall durch.
»Kelos …«, flüsterte ich. »Kelos, mein Freund …«
Noch lebte er. Und er sah mich an. Nicht um mich anzuklagen, nicht um Mitleid zu erheischen – sondern um sich zu verabschieden.
»Wohin man auch geht …«, hauchte Kelos.
»Hör zu!«
»Ja …«
Ich griff nach seiner Hand – die unsagbar schwer war. Wie viel er wohl wog? Wie viel war an ihm Fleisch, wie viel Eisen?
»Du bist ein Mensch …«
»Ich … war …«
»Du bist ein Mensch, Kelos.«
»Ich spüre nicht mal Schmerzen, – Pjotr. Ich habe … sie ausgeschaltet. Was bin ich schon für ein Mensch …«
»Kelos! Hör mir zu, du Idiot!«
Das Leben kroch mit jedem Tropfen Blut aus ihm heraus. Mit jedem Stück Eisen, das seinen Geist aufgab. Was hatte er sich da nur in den Kopf gesetzt, dieser Schwachkopf? Wer von uns ist denn ein Mensch? Derjenige, der von Geburt an im selben Körper steckt? Oder derjenige, der versucht, ein Mensch zu sein?
»Kelos, sie warten auf dich. Hast du das vergessen? Wenn du nicht nach Hause zurückkehrst … wird deine Frau dir folgen.«
»Sie ist dazu bereit …«
»Entscheide nicht für andere! Entscheide niemals für andere!«
»Mich hält nichts mehr, Pjotr.«
Seine Worte klangen immer leiser und leiser. Er ging fort, und ich wusste nicht, was ich sagen sollte, wie ich ihm das vermitteln sollte, woran ich glaubte, was seine Rettung bedeutete, den einzigen und unveränderlichen, den ewigen Anker in all unseren Welten …
»Sie warten auf dich, Kelos. Deine Frau wartet auf dich. Wenn du durchhältst, hält sie auch durch.«
»Aber wozu?«
»Wage es ja nicht!«, schrie ich. »Hör mir zu! Ich weiß nicht, was dir teuer ist und was nicht, aber merk dir eins: Die Tore sind ein Faden – und solange jemand diesen Faden festhält, solange jemand auf dich wartet …«
Er lächelte, und in dem zerfetzten Gesicht nahm sich das Lächeln absurd aus.
»Sie warten auf dich, Kelos. Glaub mir!«
»Entscheide nicht für andere … niemals …«
Ich stand auf.
Sah Mascha an.
»Ich konnte nichts mehr machen«, flüsterte sie. »Pjotr, ich habe geschossen … aber dieser Mistkerl hatte einen Kraftschild.«
Mistkerl?
Das nun wirklich nicht. Sie haben ihre Welt verteidigt. Jenes Stückchen Glück, das sie für sie erobert hatten. Wir sind stärker gewesen als sie. Wir haben gewonnen. Der Himmel ist daraufhin nicht zerrissen, die Erde hat sich nicht unter uns aufgetan. Der geschenkte Samen ist kein Zauberamulett, das man nicht stehlen kann. Man kann es, ohne Weiteres.
Jeder betritt den Schatten auf seine eigene Weise.
Ich näherte mich dem reglosen blauhäutigen Wesen. Ich bog die geballte Faust auf und schälte aus den gekrümmten Fingern den Klumpen kalten Feuers.
Der Körper des Aliens erzitterte. In die riesigen Augen kehrte der Verstand zurück.
»Er lebt noch!«, schrie Mascha. »Erschlag ihn, Pjotr!«
Der Blauhäutige rührte sich nicht. Er lag nur da und wimmerte leise. Wahrscheinlich klang so ihr Weinen. Nur die dünnen Finger knisterten, die sich immer fester um den Samen pressten.
»Als ob euch irgendeine Gefahr droht!«, schrie ich. »Wofür braucht ihr den überhaupt?«
Das Wesen stöhnte und schmiegte sich dicht gegen den Felsen. Das Licht des Samens, von seiner Hand verborgen, war kaum noch zu sehen. *
»Erschlag ihn!«, verlangte Mascha noch einmal.
»Könntest du das?«, zischte ich. Darauf schwieg sie.
»Brauchen …«, flüsterte das Wesen mit einem Mal. »Brauchen ihn … Dringend. Brauchen. Dringend …«
Es ging nicht auf die Übersetzung zurück, dass das Wesen in abgerissenen Sätzen sprach, denn wir verstanden uns jetzt problemlos. Es lag am Aufbau seiner Gedanken … an der Natur dieser Wesen … sie trennte einfach zu viel von uns …
»Schlecht … Sehr. Sehr. Schlecht. Schlecht. Tod. Kommt. Tod. Kommt.«
Entweder konnte ich ihre Gefühle nicht verstehen oder sie ließen sich mit diesem scheibenartigen Mund nicht ausdrücken, so dass dem Alien nur Worte blieben, sinnlose und klägliche Worte, mit denen er mich nie überzeugen würde, genau wie ich Kelos nicht hatte überzeugen können, der für immer fortgegangen war, dieser Cyborg, der aufgehört hatte, Mensch zu spielen – wie auch jetzt die Welt der Blauhäutigen aufhören würde zu existieren. Ja, ich glaubte ihm, dass es schlimm um seine Welt stand, vielleicht sogar noch schlimmer als um unsere, aber in dieser Situation konnte ich mich nicht um ihre Probleme kümmern – denn ich musste die Erde retten.