»Habt ihr ihn euch also geholt«, sagte Krej. »Habt ihr es am Ende also doch getan.«
Wie schön, dass auch sie sich ab und an irren.
Ich öffnete meine Hand und hielt ihm den Samen hin. Er würde ihn nicht berühren, das wusste ich.
Schweigend betrachtete Krej den kleinen Feuerball. Der Samen veränderte ständig seine Farbe, leuchtete mal orange-gelb, mal purpurn, mal rauchig blutrot.
»Auf diese Weise also?«, fragte Krej.
»Ja«, erwiderte ich.
Er sah meinen Großvater an. »Soweit ich es verstanden habe, kehrst du nun zu deinem Planeten zurück, Andrej.«
»Ja«, antwortete mein Großvater mürrisch. Ich würde noch etwas von ihm zu hören kriegen, dass er mit Krej reden musste, ohne über die vollständige Information zu verfügen.
»Dann werden wir später noch Zeit haben, unseren Disput zu beenden.«
Danach kam Mascha an die Reihe. Krej schenkte ihr einen Blick voller Wärme. »Du gehst?«, fragte er.
»Natürlich.«
»Ich hatte den Eindruck, unsere Welt gefalle dir ganz gut. Habe ich mich da also doch geirrt?«
»Nein. Aber …«
»Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen, das ist wirklich nicht nötig. Du kannst ja mit der Technik der Liga umgehen. Man wird euch ein Schiff zur Verfügung stellen.«
Mascha senkte schweigend den Kopf. »Krej, in dem Flyer liegt der Körper von Kelos.«
Krejs Gesicht erzitterte.
»Hat er das Spiel am Ende also doch verloren … Keine Sorgen, wir beerdigen ihn.«
»Er hat uns geholfen, in den Schatten einzutreten.«
»Einem Menschen in seinem Alter bekommt es nicht gut zu sterben.«
»Aber manchmal ist es ganz nützlich, um ein Mensch zu bleiben!«, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen.
»Wer weiß?« Krej zuckte mit den Achseln. »Auf alle Fälle hat er so gehandelt, wie er es für richtig hielt. Er ist ein letztes Mal als Wohltäter aufgetreten … noch dazu für einen ganzen Planeten.«
Vielleicht hatte Krej ja guten Grund, das zu sagen. Ich wusste von Kelos schließlich nicht all das, was er, Krej, wusste. Ihr Streit zog sich bereits Jahrhunderte hin. Außerdem versuchte Krej eine Alternative zum Schatten zu finden, statt sich in dieser allzu idyllischen Welt zu verkriechen.
Und dennoch musste ich bei seinen Worten lächeln. Unverwandt sah ich ihm in die Augen. Er war es dann, der den Blick senkte, als er mein Lächeln bemerkte. Ganz langsam schloss ich die Finger um den Samen. Erst dann fragte ich: »Ist das denn nicht genug, Krej?«
Fünf
Alles wiederholt sich. Wir gingen durch den Tunnel der Liga, an dem Faden entlang, der zwischen der Raumstation und der Ur-Erde gespannt war. Wir waren zu fünft. Ich ging vornweg, mit dem Samen in der Hand, mir folgten, gleich einer Eskorte, mein Großvater, Danilow und Mascha; Karel bildete den Abschluss unserer Prozession.
Sah man von Kleinigkeiten wie der äußeren Erscheinung ab, entsprachen wir hundertprozentig dem Zug der blauhäutigen Aliens.
Ab und an kamen uns Menschen entgegen, manchmal auch Wesen, die mit den Menschen nur den Verstand gemein hatten. Ab und an lächelte uns jemand einen Gruß zu, die meisten gingen jedoch an uns vorbei, ohne auf uns zu achten.
Eine neue Welt würde in den Schatten eintreten – das war eine Lappalie. Diesem Schicksal entging ohnehin niemand.
»Fliegen wir mit dem Schiff der Liga zur Erde?«, fragte Mascha.
»Nein«, antwortete ich kopfschüttelnd. »Auf uns wartet das Schiff auf dem Irrstern.«
Mein Großvater brummte etwas, als missfalle ihm meine Entscheidung ganz gewaltig. »Wozu denn das, Pjotr?«, fragte er widerwillig. »Soweit ich es verstehe, würden wir damit auch nicht schneller ans Ziel gelangen.«
»Man soll die Pferde nicht mitten im Rennen wechseln«, versuchte ich zu scherzen.
»Irgendwie kommt es mir komisch vor, dass du einen Samen für die Tore bekommen hast«, meinte mein Großvater, der mich nun eingeholt hatte und mir die Hand auf die Schulter legte. »Wo du ihn doch gar nicht wolltest.«
»Ich habe mir halt Mühe gegeben.«
»Ich kenne dich, Pjotr! Du kannst nicht gegen deine Überzeugung handeln. Du kannst dich nicht zwingen, an die Notwendigkeit des Schattens zu glauben!«
»Vielleicht ja doch?«
»Das irritiert mich ja gerade so …« Mein Großvater seufzte. »Ich hätte nie im Leben vermutet, dass ich in einem jungen Hirn weniger Gedanken haben würde. Pjotr, ich spüre … dass etwas nicht stimmt. Aber ich kann meinen Eindruck nicht in Worte fassen.«
Wir blieben stehen.
»Aber Pjotr hat es so sehr gewollt, Andrej Valentinowitsch«, mischte sich Mascha vermittelnd ein. »Er hat gewollt, dass Sie stolz auf ihn sind …«
Oho. Wann würde sie wohl endlich lernen, ihn nicht mehr zu siezen? Wenn sie meinen Onkel auf die Welt brachte?
»Maschenka«, mein Großvater bedachte sie mit einem Blick wie früher, eine Mischung aus Mitleid und Zärtlichkeit. »Glaub ja nicht, ich sei eifersüchtig auf meinen Enkel, auf meinen Schüler, wegen seines Siegs. Nein, wirklich nicht, das musst du mir glauben.«
Inzwischen hatten wir das Ende des Tunnels fast erreicht, waren am breitesten Teil angelangt, wo sich über uns und an den Wänden die Hütten, Häuser und Zelte zusammendrängten. Ein kleiner Junge, der mit dem Kopf nach unten an der »Decke« saß, sah uns neugierig nach. Er hob einen Stock auf, wollte schon damit nach uns werfen, fing dann aber meinen Blick auf und stürzte ins Haus.
Ob das ein richtiger Junge war? Oder ein Phantom? Mit der Vermehrung stand es bei ihnen ja nicht so gut … bei ihren unsterblichen Kindern.
»Gib mir den Samen mal, Petja«, sagte mein Großvater.
Ich fuhr zusammen.
»Pit …«
»Das ist … meiner …«
Die Worte kamen mir von selbst über die Lippen. Mein Großvater wechselte einen Blick mit Mascha. Danilow nickte, als hätte er dergleichen erwartet.
»Du willst diesen Samen nicht … vorübergehend … deinem Großvater überlassen? Deinem Ausbilder? Pit?«
Meine Hand zitterte, als ob in meinem Innern gerade etwas explodierte, kollidierte, als ob zwei unabänderliche Normen aufeinandertrafen, von denen die eine unweigerlich kapitulieren musste.
»Vor-vor-vor …«
Ich fing an zu stottern, als ich meinem Großvater die offene Hand entgegenstreckte. Die kräftigen Finger nahmen den Samen an sich, drehten ihn …
»Komisch, ich spüre gar nichts, Petja«, teilte mir mein Großvater gutmütig mit. »Absolut nichts. Natürlich, ich bin neugierig, in gewisser Weise sogar begeistert … ach, verflixt und zugenäht, mit dem Ding haben sie sich wirklich was einfallen lassen … Aber mehr auch nicht!«
Ich erwiderte nichts. Mit den Augen verschlang ich den Samen. Er war meiner, man hatte ihn mir geschenkt, und ihn aus der Hand zu geben … Wie hieß es doch in dem alten Märchen von dem Zauberring? Mein Schatz …
»Warum hat der Schatten dir nachgegeben?«, fragte mein Großvater. »Warum hat er dir nachgegeben und dich gleichzeitig unterworfen? Warum rührt sich bei mir … und ich liebe die Erde nicht weniger als du, Pit … Warum rührt sich also bei mir nichts?«
»Ich weiß es nicht …«
Ich begann zu zittern. Wenn mein Großvater bloß nichts Falsches mit dem Samen anstellte! Nichts Undenkbares! Er könnte ihn zerquetschen, löschen, zerbrechen … selbst wenn er fester als Stahl und heißer als ein Stern war … aber mein Großvater verstand nicht, wie wichtig der Samen war!
Weit hinten, in einem Winkel meines Bewusstseins, wusste ich, dass etwas Seltsames mit mir geschah. Aber es fehlte mir die Kraft, weiter darüber nachzudenken.
»Nimm ihn, Pit. Ich will nicht, dass du mich so ansiehst.«
Das ungute Gefühl legte sich wieder, sobald der Samen in meine Hände fiel. Ich atmete tief durch und spürte, wie Schamesröte mein Gesicht überzog.