Ich vernahm ein leichtes Gelächter.
Die Aufforderung ist bedeutungsleer. Sie ist ein Tribut an die Tradition.
Und was tust du danach?
Ich manövriere. Kampfhandlungen ohne Piloten sind verboten.
Wirst du es schaffen zu entkommen?
Ein Flug ohne Piloten ist verboten.
So war das also. Eine knappe Grabinschrift, selbst gewählt. Ob ich Mitleid mit dem Schiff empfinden sollte?
Aber das würde mir nicht gelingen. Ein Verstand, der nicht an sich selbst glaubte, sondern sich mit dem Spiel der Allmacht zufriedengab, verdiente kein Mitleid.
Vielen Dank für die Offenheit. Es ist komisch, vom Produkt der eigenen Gedanken verachtet zu werden. Ich werde mir diese Frage durch den Kopf gehen lassen … Halte dich zum Absprung bereit, Kapitän.
Im Bruchteil einer Sekunde begriff ich, dass der Scout mit einem stinknormalen Schleudersitz ausgestattet war. Der Sitz stürzte in die sich öffnende Verkleidung und sackte nach unten. Es war völlig windstill. Um mich herum entstand eine elastische Mauer. Die Stabilisierung war perfekt, der Sitz fiel, ohne sich zu drehen. Unter mir erstreckte sich das Ufer, ragten die bekannten Kuppeln und der Turm des Internats auf. Über mir schmolz der Scout.
Gut. So weit ist alles klar. Aber wo war der Fallschirm?
Die Erde kam unerbittlich näher. Ich fing an herumzuzappeln und versuchte, mich aus dem Sitz zu befreien. Meine Hände begaben sich eigenständig auf die Suche nach Gurten, obwohl der Scout solche Dinger gar nicht besaß. Der Samen, den ich fest gepackt hielt, behinderte mich zwar, trotzdem war ich nicht imstande, ihn fallen zu lassen. Gurte … wo zum Teufel steckten die bloß? Meine Reflexe arbeiteten schneller als mein Verstand, denn ich wollte die Gurte lösen und aus dem Sitz springen, als sei ich aus einem Zerstörer katapultiert worden.
Was dachte ich mir hier eigentlich? Ohne Fallschirm …?
Ich garantiere nicht für die Wiederherstellung deines Körpers, zischte der Cualcua.
Die Schneefläche kam so schnell heran, als fiele ich mit zusätzlicher Beschleunigung. Vielleicht traf das sogar zu. Es wäre nicht schlecht, für einen Soldaten bei einer echten Invasion … Aber wie unterdrückten die Geometer die Fallenergie am Ende? Über die Triebwerke? Mit Fallschirmen? Flügeln? Mit moralischer Widerstandskraft?
Ganz von selbst fielen mir alle realen und irrealen Märchen ein, die bei uns Piloten in Umlauf waren. Ein Flieger, der auf einem verschneiten Abhang landete, ein Flieger, der auf einem gepflügten Feld landete, ein Flieger, der in einem Heuschober landete …
Die Heimat kam schnell heran. Ihre Gastfreundschaft versprach ein kurzes, aber intensives Vergnügen.
Meine Angst verflog. Schlagartig. Sie erzitterte und löste sich im endlosen Himmel auf.
Ich fiel bereits. Ja … ganz genau. An den Sitz gegurtet, hilflos … vor Kälte und Atemnot bewusstlos … fiel ich. Und die unberührte Schneefläche unter mir freute sich ebenso über unsere Begegnung wie Die Heimat der Geometer.
Ich hatte keine Angst.
Ich war schon mal gestorben.
Und ich wusste, wie innig mich meine heimatliche Erde liebte.
… Der Sitz blähte sich auf und schwoll zu einer elastischen Kugel an, die sich mir über den Kopf stülpte. Es gab zwar einen Aufprall, aber nur einen sanften, kaum zu spüren. Danach war das Licht sofort wieder da, die weiche Hülle verschwunden, geplatzt. Ich war mit dem Gesicht im Schnee gelandet. Durch die Luft wirbelten winzige Fetzen und rieselten zu Boden.
Was war das nun wieder gewesen? Ein ganz gewöhnlicher aufblasbarer Bremsballon für einen Fall aus einer Höhe von zwei Kilometern? Nein, mit Sicherheit nicht. Das konnte einfach nicht sein. Er hätte mir nicht mehr geholfen als der hydraulische Verschluss den Helden bei Jules Verne, die sich mit einer Kanone zum Mond schießen. Der Sitz musste es irgendwie geschafft haben, die gesamte Fallenergie zu schlucken … Irgendwelche Felder mussten am Werk gewesen sein. Ein Bremskokon.
Meine Ohren waren etwas verstopft. Ansonsten ging es mir bestens. Der leichte, sogar angenehme Frost, der klare Himmel … Ich erhob mich und schüttelte mir die Fetzen des hauchzarten, federleichten Stoffs vom Kopf. Ich sagte – und hörte mich selbst wie aus weiter Ferne: »Glück muss man haben.«
Bis zum Internat waren es noch zwei Kilometer. Ich fragte mich, ob man meinen Fall überhaupt hatte bemerken können.
Wahrscheinlich schon. Sofern ich nicht plötzlich im Fall unsichtbar geworden war – was ja durchaus hätte sein können, wenn es sich hier um die übliche Prozedur zur heimlichen Landung auf einem fremden Planeten handelte.
Die auf dem Schnee verstreuten Stofffetzen verschwanden nach und nach. Ich brauchte den Fallschirm also nicht zu verstecken.
Mich selbst aber schon. Natürlich könnte ich mich auch zu einer Transportkabine durchschlagen und versuchen, noch einmal einen Scout zu kapern …
Oder … ja was denn, zum Teufel? Sollte ich etwa ausholen und den Samen wegschmeißen? Oder sollte ich ihn doch besser behutsam in einem unvorstellbaren Feld der Wunder vergraben? Und mich anschließend stellen?
Der Samen in meiner Hand glühte. Rasch schirmte ich ihn ab.
»Eene, meene, meck – und du bist weg«, sagte ich leise. »Oder muss ich dich doch vergraben?«
Der Feuerklumpen des Schattens schwieg. Er war es nicht gewohnt zu antworten. Und Nik Rimer sagte ebenfalls kein einziges Wort.
»Hör mal, wir brauchen dich wirklich …«, sagte ich. »Das musst du verstehen … und du auch, Nik … schließlich seid ihr am Leben. Außerdem könnt ihr für euch selbst einstehen. Aber die Erde steht ohne jeden Schutz dar. Niemand verteidigt sie – außer mir.«
Sie schwiegen alle, denn die Götter lassen sich nun mal nicht zu einem Menschen herab, und für die Toten ist es sehr schwer, mit den Lebenden zu streiten.
Hoch am Himmel entstand ein Geräusch – und verschwand hinterm Horizont. Die Jagd auf mein Schiff war eröffnet.
»Nehmen wir das als Zeichen …«, sagte ich. »Fassen wir das als Einwilligung auf … Cualcua, kann ich bis Anbruch der Dunkelheit unterm Schnee liegen? Sorgst du für Wärme?«
Ja.
Kurz und knapp. Ich suchte den Schnee mit misstrauischen Blicken ab. Sämtliche Spuren waren bereits beseitigt, von den Einbuchtungen am Boden einmal abgesehen, die von dem Bremskokon, der mich gerettet hatte, herrührten. Ich kniete mich hin und fing an, mich im lockeren Schnee einzugraben. Tief unten, direkt auf dem Boden, streckte ich mich aus. Keine Ahnung, wie das auf andere wirkte – aber alles war besser, als aus einer unberührten Schneefläche aufzuragen.
Der Cualcua ließ mich nicht im Stich. Ich spürte die Kälte wirklich nicht. Nur mein Herz hämmerte, so dass ich wohl nicht einschlafen würde, und meine Haut brannte, denn mein Symbiont ließ mir kein Fell wachsen, was ich insgeheim befürchtet hatte, sondern beschleunigte einfach meinen Blutfluss. Außerdem schien er noch die Wärmeerzeugung gesteigert zu haben. Das war sie also, die perfekte Diät: Man brauchte bloß im Schnee zu liegen. Bis zum Abend würde ich drei Kilo des eigenen Fleischs verbrannt haben …
Nachdem ich mich also im Schnee eingegraben hatte, richtete ich mich aufs Warten ein.
Ab und an döste ich trotzdem ein, wobei mich verworrene, beunruhigende Träume heimsuchten. In ihnen zwang mich jemand, irgendwo hinzugehen, um irgendwas zu tun. Die Welt war verzerrt, abgeschlossen, sie erinnerte an eine Kette von kalten, niedrigen Höhlen. Ich lief durch sie hindurch, ohne den Ausgang zu finden, litt unter meiner Hilflosigkeit, während mir die Zeit, die mir ohnehin knapp zugemessen worden war, durch die Finger rann. Irgendwann wachte ich auf, rührte mich in meiner kleinen schmelzenden Schneehöhle, hob den Kopf, den ich auf meine Hände gebettet hatte, und betrachtete sie. Eine Hand pulsierte in purpurnem Licht, der Samen leuchtete durch die Haut. Ich spähte aus dem Schnee heraus und fühlte mich wie ein Strauß, der seinen Kopf tief im Sand vergraben hat.