Wenn ich doch wenigstens nicht auch noch um den Turm herumgerannt wäre! Das sah ja aus, als ob ich mich über seine Bewohner lustig machen wollte, damit man unbedingt Jagd auf mich machte!
Natürlich nützte es rein gar nichts, sich jetzt die Haare zu raufen und zu bereuen. Ich hielt den Handteller in die Luft und fing zarte Schneeflocken auf. Ob die Spuren zugeschneit würden? Es bestand zwar nur eine schwache Hoffnung - aber mit irgendwas musste ich mich ja trösten.
Als Erstes erforschte ich den Teil der Kuppel, der an die Röhre grenzte, die zum Turm führte. Die terrestrische Logik hätte an dieser Stelle eine Tür vorgesehen.
Aber nein, ich war nicht auf der Erde.
Die Kuppel hatte einen Durchmesser von einem halben Kilometer. Ich lief an der Glaswand entlang und schaute unwillkürlich auf die dunklen Silhouetten der Bäume. Warm war es dort, warm. Da drinnen würde ich mich wieder wie ein Mensch fühlen, nicht mehr wie eine Schaufensterpuppe in einem Gummianzug ... Bäume, kleine Hügel und Sträucher. Ein sehr lauschiges Wäldchen lag da hinter Glas. Und es war nicht unbewohnt, denn durch das Dickicht drang bläuliches Licht ... Gab es hier etwa ebenfalls keinen Eingang? Ob dieses Dorf vollständig von der Außenwelt abgeschnitten war? Vielleicht war der Turm direkt über einem Bohrloch oder einem Schacht errichtet worden und die Bewohner hatten kein Bedürfnis, in die Schneewüste hinauszugehen?
Jetzt achtete ich darauf, weniger Spuren zu hinterlassen, und rannte dicht am Rand der Kuppel entlang. Hier, an der Schnittstelle der vom Wind zusammengetragenen Schneewehen und der unberührten Schneefläche, dürften meine Abdrücke nicht ganz so stark auffallen.
Es wurde heller und heller. Am Himmel hingen fast keine Wolken mehr, bald würde Das Mütterchen hervorlugen ... wie dieses Wort der Geometer in meinem Gedächtnis haften geblieben war ... Wurde Zeit, dass ich von hier wegkam. Nur noch ein paar Fische im Meer gefangen, den Cualcua gefüttert und dann das Ufer entlangwandern oder -schwimmen.
Ich wechselte in Schritttempo über. Nein, auch in der Kuppel gab es keine Türen. Aber gut zehn Meter von ihr entfernt störte eine einsame Schneewehe von gleichmäßiger Würfelform die ansonsten makellose Schneefläche. Der Wind bringt dergleichen nicht zustande.
Es dauerte lange, bis ich den Schnee weggefegt hatte. Dann jedoch wunderte ich mich nicht, als ich unter dem Harsch glattes Plastik entdeckte. Ein Verschlag von halber Mannshöhe. War den tadellosen Handwerkern also doch ein Fehler bei der Arbeit unterlaufen?
Ich fuhr mit der Hand übers Plastik und versuchte, das Schloss zu ertasten und zu aktivieren. Na, komm schon! Los jetzt!
Die Klinke brachte mich völlig aus dem Konzept. Meine starren Finger stießen gegen sie, und ich bemerkte, wie die Plastikwand leicht zitterte. Aha! Mit neuer Energie fegte ich den Schnee beiseite und legte schon bald eine kleine Klappe frei. Nachdem ich ein paar Mal gerüttelt hatte, ließ sie sich problemlos öffnen, denn der Schnee hatte den Angeln nicht zugesetzt. Aus dem Innern des Verschlags strömte mir feuchte Wärme entgegen. Ich tastete mit der Hand: Eben! Es gab keinen Boden. Irgendwo unten rauschte Wasser.
Bei aller Liebe zu intelligenten Schlössern hatten die Geometer doch darauf verzichtet, jeden Kanaldeckel damit auszustatten.
Damit standen mir drei Wege für mein weiteres Vorgehen offen. Was hatte mein Großvater über die Zahl Drei gesagt? Es sei die Zahl, die für das menschliche Bewusstsein am bequemsten sei? Ich könnte also weiter nach einem normalen Eingang suchen. Oder abhauen. Oder mich Hals über Kopf ins fließende Wasser stürzen.
Die beiden ersten Varianten kamen mir vernünftiger vor, hingen mir inzwischen aber zum Hals raus.
Ich erkundete mit den Beinen das Nichts. Dann schloss ich hinter mir die Klappe und balancierte auf dem schmalen Rand entlang. Bis zum Wasser war es nicht weit, das Plätschern klang ganz nah.
Als ich sprang, stand mir überdeutlich vor Augen, wie eine spitze Stange, die aus dem tosenden Strom herausragte, meinen Körper aufspießte ...
Das Wasser kam mir nur warm vor. Dabei war es normales Meereswasser. Salzig. Das kannte ich inzwischen. Die Strömung erfasste mich und trug mich eine enge, dunkle Röhre entlang. Der Raum über dem Wasser war ganz knapp bemessen, gerade mal meinen Kopf konnte ich herausstrecken.
Eine Wasserleitung, die vom Meer her kam!
Ich schwamm vorwärts, spuckte das Wasser aus, tauchte bald unter, bald wieder auf und sog jedes Mal gierig Luft ein. Es trieb mich Richtung Kuppel. Damit sah ich mich mit einer unermesslichen Zahl von Möglichkeiten konfrontiert. Gitter, Schaufeln, Kühlsysteme von Reaktoren, geschlossene Reservoire.
Nein! Das konnte nicht sein. Die Geometer hatten eine sehr sorgsame Einstellung gegenüber dem Leben. Wenn die Klappe nicht blockiert gewesen war, wenn es keine Warnhinweise und keine Sicherheitsgitter gegeben hatte, dann hieß das, dass einem Menschen, der in den Tunnel fiel, keine Gefahr drohte!
Natürlich war das eine sehr freie Interpretation. Aber sie half mir, jene Minute zu überstehen, als die Strömung mich durch den Tunnel trug. Irgendwann funkelte schwaches Licht vor mir auf, die Strömung ließ nach, und ich ertastete allmählich Boden unter den Füßen. Ein letztes Mal schleuderte es mich herum, dann wurde ich auf ein maschendrahtartiges Metallgitter gespült, das den Boden bildete. An der Decke brannten schwache Lampen. Ich erhob mich. Erst jetzt verspürte ich Angst.
Ein kleiner runder Raum. Der Boden war durchlöchert wie ein Sieb, hier und da hingen Algen und Dreckbrocken darin. Das durch den Tunnel strömende Wasser schäumte, floss auseinander und stürzte nach unten.
Diese Geometer! Ich befand mich mitten in einem Klärwerk. Ausgesiebt mit anderem Dreck.
Auf wackligen Beinen taumelte ich zur einzigen Tür, die aus dem Raum hinausführte. Wenn sie sich nicht öffnen ließ, war ich ein seltener Idiot. Ließ sie sich dagegen öffnen, war ich ein Idiot, der Glück gehabt hatte.
Ich sollte Glück haben. Die Tür ging auf, dahinter lag ein schmaler, nach oben führender Schacht mit in der Wand befestigten Bügeln. Auf dem Boden waren Erdklumpen und fauliger Mulm verteilt. Ohne weiter darüber nachzudenken, kraxelte ich nach oben. Drei Meter über mir gab es eine Metallluke. Was sich wohl dahinter befand?
Die Luke fügte sich meinem Druck, ich klappte sie auf. Das Gemisch, das auch den Boden des Schachts bedeckte, rieselte in leichtem Regen auf mich herab. Von außen war der Ausgang nachlässig mit Erde getarnt.
Ich zog mich durch die Luke hoch und krabbelte nach draußen. So wie ich mich umsah, hätte man glauben können, ich sei noch in der Lage zu fliehen oder zu kämpfen. Doch ich fiel nur noch bäuchlings auf den Boden. Über mir hingen die Äste der Bäume, über diesen die Glaskuppel, noch weiter oben das fahle Dämmerlicht.
Ich hatte es geschafft. Ich war in die Siedlung der Geometer vorgedrungen.
Ob das Grund zur Freude oder zur Klage war, stand allerdings noch nicht fest.
Zwanzig Minuten lag ich einfach da und genoss die Ruhe. Meine Haut fing an zu kribbeln, als das Gefühl in sie zurückkehrte, weil der Cualcua den Schutz aufhob.
Ich musste etwas essen. Als Erstes musste ich die Kräfte des Symbionten wiederherstellen, erst dann durfte ich mich ausruhen ... Der Gedanke war überraschend aufgetaucht, und ich verkrampfte mich prompt. Beeinflusste der Cualcua am Ende doch mein Bewusstsein?
Nein, eigentlich war das eher unwahrscheinlich. Ich spürte keinerlei Gewalt. Eher handelte es sich um jene Fürsorge, mit der ich auf der Erde meinen Hund gefüttert hatte. Und mehr verlangte der Cualcua ja auch nicht.
Es war komisch, über einen Außerirdischen nachzudenken und zu versuchen dahinterzukommen, ob sich in seinen Handlungen Arglist und Verrat verbarg - wenn er jeden Gedanken las. Daran musste man sich nicht nur einfach gewöhnen, solch eine Situation musste man akzeptieren, da musste man vertrauen.