Выбрать главу

Vor der Tür - vor jener, an die ich vor ein paar Stunden erfolglos gehämmert hatte - klopfte ich meine Sachen ab und brachte die kurze, für irdische Verhältnisse zu knappe Jacke in Ordnung. Die Tür öffnete sich gehorsam. Ich betrat die Halle und fing den erschrockenen Blick des Jungen auf, der unter der vernickelten Harpune hervorkroch.

War er also doch aufgewacht.

»Einen fröhlichen Morgen, mein Junge«, begrüßte ich ihn.

»Einen fröhlichen Morgen, Ausbilder«, antwortete er mit dünner Stimme.

Den Jungen beschäftigte fraglos nur ein einziger Gedanke, nämlich ob ich gesehen hatte, dass er auf seinem Posten geschlafen hatte. Genauer gesagt, welche Schuld er wohl damit auf sich geladen hatte ...

»Als ich klein war«, brachte ich diesen dämlichen Satz heraus, der jedem Erwachsenen über die Lippen kommt, sobald er mit einem Kind spricht, »bin ich auch ein paar Mal während der Wache eingeschlafen. Bei uns im Eingang stand ... äh ... ein alter Pflug. So ein Ding, mit dem man bereits im Burgenzeitalter den Boden gepflügt hat. Neben dem bin ich auch öfters eingeschlafen. Ich glaube, es ist nicht so schlimm, gegen Morgen ein wenig zu schlummern. Meinst du nicht auch?«

»Ja«, antwortete der Junge wie verzaubert.

Verschwörerisch zwinkerte ich ihm zu und ging zur Treppe. Besser, der Junge erinnerte sich daran, dass sein Ausbilder ihm sein Vergehen verziehen hatte - als daran, dass er hinausgegangen war, um im Schneetreiben herumzuspazieren.

»Trifft mich wirklich keine Schuld, Ausbilder?«, fragte er zaghaft hinter mir.

Ich blieb stehen und sah den Jungen an. Nein, die Welt der Geometer war weiß Gott keine Parodie auf die klassenlose Gesellschaft, wie ich zunächst geglaubt hatte. Selbst wenn hier Geld im Umlaufe wäre, hätte das nichts geändert.

Es war eine Welt der Erziehung. Der Ausbildung. Der Instruktion.

Eine Welt, die den Traum eines wahnsinnigen Pädagogen verkörperte.

Eine Welt, in welcher der Lehrer, der Ausbilder, zum höchsten Maß der Gerechtigkeit geworden war.

Aus den Kindern konnten die Ausbilder machen, was ihnen gefiel. Sie konnten ihnen beibringen, Menschenfleisch zu essen oder sich im Schnee zu sonnen. Die Kinder waren formbar wie Knetmasse. Ein idealer Rohstoff, ein ideales Kanonenfutter.

Tragen wir Freundschaft durch die ganze Galaxis!

Ich könnte zu dem Kleinen gehen, ihn umarmen und ihm versichern, niemand auf der Welt sei schuldig. Weder derjenige, der auf seinem Posten schläft, noch derjenige, der durch die Nacht schleicht, nachdem er aus einem Lager mit dem Namen Frischer Wind geflohen ist. Und selbst der Mensch, dessen Körper jetzt in einer Schneewehe steif wurde, war unschuldig. Vielleicht traf nur denjenigen, der vor Jahrhunderten die Verantwortung für die Welt der Geometer auf sich genommen hatte, Schuld, vielleicht waren Rig der Stinkende oder sein Ausbilder schuldig geworden ...

Nur war das eine Sackgasse. Denn jeder Schritt, jedes Wort ändert deine Mitmenschen. Und die Wege in die Hölle sind ausschließlich mit guten Absichten gepflastert, das Prinzip des Kleineren Übels aber, eine der Waffen der Regressoren, ist mitunter so verführerisch und verlockend.

Außerdem durfte ich mir auch nicht den Hauch von Liebe und Zärtlichkeit gestatten. Denn beides war in dieser Welt zur Waffe geworden. Eine nie versagende und todbringende Waffe.

»Ich bin dir überhaupt nicht böse«, sagte ich.

So war es richtig. Der Junge lächelte und reckte sich unter der hölzernen Harpune, mit der die Vorfahren der Geometer die hiesigen Haie erlegt hatten.

Ich ging nach oben.

Das Internat erwachte allmählich. Ich hörte die leisen Geräusche hinter den Türen, die Balgereien und die verschlafenen Seufzer. Die einen wachten von allein auf, andere wurden geweckt. Normaler Kinderlärm. Wieso sollte diese gemütliche kleine Welt auch schlechter sein als die Erde? Schlechter als unsere vernachlässigten Kinder, die ewig betrunkenen Erwachsenen, die Schulen, in denen einem nichts beigebracht wird, die Berufe, die keine Freude bringen?

Nein, sie war schlechter. Wenn ich Zweifel daran zuließ, war ich verloren.

So wie es Andrej Chrumow sich erträumt hatte, war ich zu meinem eigenen Maßstab geworden. Denn der ist frei von allen Zweifeln. Der Meter oder das Kilogramm hängen weder von den Träumen der Verkäufer noch von den Wünschen der Kunden ab.

Mir gefiel die Welt der Geometer nicht!

Also musste ich weitergehen. Auf ihren Spuren, durch die Kehrseite des Raums und durch den Himmel, dem seine Sterne abhandengekommen waren. Bis die Nacht unter Millionen von kalten Funken lodern würde. Bis mir die Welt des Schattens, die die Geometer in die Flucht geschlagen hatte, eine Antwort gab.

Was jedoch dient als Maß, wenn der Verstand versagt und das Herz dich verraten hat?

»Einen fröhlichen Morgen, Fed!«

Ich lächelte der jungen Frau freundlich zu, die aus ihrem Zimmer trat. Sie war Ausbilderin, sah mich jedoch mit Respekt und unbeholfenem Mitleid an. Na klar. Schließlich war Fed gestrauchelt. Und sie hatte nicht die Absicht, Fehler dieser Art zu machen. Vor gar nicht langer Zeit erst hatte man ihr das Gehirn gewaschen, nun hielt sie die ruhmreiche Stafette in Händen.

»Einen fröhlichen Morgen ... äh ...«

»Lori. Ausbilderin Lori.«

Sie trug einen kurzen Rock. Ein winziges Stück Stoff spannte sich über ihre Brust, sie nannten das Frauenband. Das schwarze Haar war zu einem Zopf gebunden. Auf der Erde würde man sich nach ihr umdrehen, wahrscheinlich weil sie gut aussah, weniger wegen ihrer seltsamen Aufmachung. Für meinen Geschmack war sie ein wenig zu füllig, aber über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten.

Hatte Fed sie gestern kennengelernt, oder war er nicht mehr dazu gekommen?

»Ich wollte Sie zum Frühstück einladen«, sagte die Frau. »Sind Sie hungrig?«

»Ein wenig.«

Der Cualcua in meinem Körper vertrat bestimmt eine andere Ansicht. Vielleicht auch nicht. Schließlich war Nik Rimer weitaus massiver als der Ausbilder Fed. Und wohin war das überflüssige Fleisch eigentlich verschwunden?

»Wollen Sie zu mir kommen?«

In ihrem Verhalten lag nicht die Spur von Erotik. Und zwar nicht, weil der Ausbilder Fed bereits zu alt war. Sondern einfach weil das hier nicht üblich war. Nicht notwendig.

Es lenkte von der Freundschaft ab.

Loris Zimmer war gemütlicher als »meins«. Auch hier hingen Photos von Kindern an den Wänden, aber viel weniger, noch keine zwei Dutzend. Etliche bunte Flickenteppiche bedeckten den Boden, waren an den Wänden aufgehängt, lagen über dem Bett.

»Sehr hübsch!«, sagte ich ehrlich.

Lori blühte auf. »Wirklich, Fed? Ich habe nur geringe Fähigkeiten, aber ich gebe mir Mühe ...«

Nachdem ich mich an den Tisch gesetzt habe, beobachtete ich schweigend, wie die junge Frau das Frühstück vorbereitete. Zwei Tassen wurden aus einer Plastikkanne mit heißem Kaffee gefüllt, winzige Brotscheiben, bestreut mit fein gehackten Kräutern, aufgetragen, Fleischstücke in zwei Porzellanschalen gefüllt.

Ihr Fleisch war künstlich, so viel hatte ich immerhin herausgefunden. Entweder wurde es in Kübeln angesetzt oder synthetisiert. Um der Nahrung willen töteten die Geometer keine Lebewesen.

»Wir haben uns große Sorgen um Sie gemacht, Ausbilder Fed«, sagte Lori. »Wir alle verstehen Ihren Kummer.«

Ich nickte und machte mich über das Essen her. Ich weiß nicht, wie es um den Cualcua stand, aber inzwischen hatte ich wirklich Hunger.

»Sagen Sie ... falls Ihnen das nicht zu nahegeht ... ist Ihr Schützling Nik Rimer unheilbar?«

»Absolut«, antwortete ich, nachdem ich ein Stück Brot und das Fleisch hinuntergeschluckt hatte. »Es gibt keine Hoffnung.«

»Verzeihen Sie, Fed ...«

»Es macht nichts«, versicherte ich übertrieben munter. »Dergleichen passiert.«