»Iss nur«, forderte mich Danilow auf, der plötzlich hinter mir stand. »Und achte nicht auf die Leute um dich herum, sie haben sich heute Morgen reichlich Sorgen gemacht ...«
Als ob ich mir keine gemacht hätte!
Das tolle Treiben dauerte noch rund eine halbe Stunde. Ich kauerte mich am Tisch zusammen und wünschte aus tiefstem Herzen, kleiner zu sein. Rasch verschlang ich die Suppe. Einer der Amis näherte sich mir, erstrahlte und zog einen Photoapparat heraus, um ein paar Aufnahmen von mir zu machen. Dabei wählte er die Perspektive so, dass auch einige leere Wodkaflaschen mit ins Bild kamen. Innerlich explodierte ich schon, doch da schlängelte sich abermals Danilow aus der Menge, die inzwischen garantiert auf dreißig Leute angewachsen war, als hätte sich jeder Oberst verdoppelt und jeder General einen Ableger bekommen. Obwohl er nicht weniger als die anderen getrunken zu haben schien, wirkte er völlig nüchtern.
»Rechne mit deinem Portrait im Playboy oder dergleichen«, foppte Danilow mich. »Der russische Held bei der Erholung ... Petja, schlag dich zum Ausgang durch, ich komm gleich nach.«
»Aber was ist ...?«
»Es ist alles in Ordnung, deine Rolle als Ehrengast hast du hervorragend gespielt.« Danilow breitete die Arme aus. »Nur keine falsche Bescheidenheit. Und jetzt zum Ausgang!«
Ich stand auf und kämpfte mich mit verkrampftem Lächeln zum Ausgang durch. Am anderen Ende des Tischs klaubte ein kleinerer, schüchterner Major Schinkenscheiben und roten Fisch von den Broten und verfrachtete beides in eine Plastiktüte.
»Guten Tag, Petja«, begrüßte er mich ein wenig verlegen und streckte mir die Hand hin. »Ich bin Maxim. Maxim Hiller. Ich habe Sie vom Kontrollzentrum aus geleitet ...«
»Vielen Dank, Maxim«, erwiderte ich aufrichtig.
»Ich habe Katzen zu Hause«, erklärte Maxim. »Eine sehr seltene Rasse. Ohne Fell. Kennen Sie die?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich wollte ihnen eine kleine Freude machen ... Damit sie mal etwas Anständiges zwischen die Zähne bekommen, nicht immer bloß ihr Whiskas.«
»Dann nehmen Sie auch noch etwas Käse mit«, riet ich ihm.
Maxim nickte zufrieden. »Das mache ich, nach Käse sind sie nämlich ganz verrückt ...«
Ich quetschte mich an den Kellnern vorbei und schlüpfte ins Vorzimmer von Kisseljow. Den Eingang bewachten zwei Sergeanten mit MPis. Sobald sie mich erblickten, nahmen sie eine stramme Haltung an. Ich ließ mich auf den nächstbesten Stuhl plumpsen und rieb mir die Stirn.
Was für ein Albtraum!
Die Sergeanten mussten die reinsten Haltungswunder sein ...
»Finden hier häufig solche Banketts statt?«, wandte ich mich an die beiden.
Sie wechselten Blicke. »Eigentlich nicht«, antwortete einer der beiden Sergeanten dann mit gedämpfter Stimme. »Vielleicht zwei Mal pro Woche, Genosse Major ...«
»Sind Sie früher noch nie dabei gewesen?«, erkundigte sich der zweite und kühnere Wachtposten.
»Nein«, gestand ich.
... Normalerweise müsste ich mich nämlich jetzt um alle Formalitäten kümmern, was mich einen halben Tag kosten würde. Die Bestätigung für die Übergabe des Schiffs wollte unterzeichnet sein, man würde mir Tickets und Spesengeld für die Reise aushändigen, dann würde ich einen Hubschrauber oder einen Bus in die nächste Stadt mit Flughafen nehmen, um von dort nach Moskau zu fliegen. Gewiss, manchmal trank ich auch ein Gläschen Kognak mit dem Chef der Schicht im Kontrollzentrum oder ein Bierchen mit einem der Piloten ...
Die Tür ging, und Danilow kam ins Vorzimmer. Sofort standen die Sergeanten wieder stramm.
»Ach, hier bist du«, meinte der Oberst zufrieden. »Gut. Gehen wir. Übrigens habe ich Jonathan den Film versaut ...«
»Wirklich?«
»Ich habe mir den Apparat angeschaut und dabei rein zufällig die Rückwand geöffnet ...« Danilow grinste. »Komm jetzt, sonst verpasst du deinen Flieger.«
»Ich muss noch meine Sachen holen ...«
»Dann los!«
Die Rotoren des Hubschraubers kreisten bereits, als wir auf ihn zurannten. Daneben stand ein junger Leutnant, der mit einer Hand die zum Himmel hochstrebende Mütze runterdrückte und mir mit der anderen einen Aktenkoffer mit meinen Sachen entgegenhielt.
»Ich habe noch etwas dazugepackt«, bemerkte Danilow leichthin. »Keine Angst, es ist keine Bombe. Ein Geschenk für deinen Großvater. Ich hätte es ihm selbst gebracht, aber ich hänge hier noch einen Tag fest ... Leutnant, bringen Sie Chrumow direkt bis zum Flugzeug!«
»Zu Befehl!«
Danilow und ich umarmten uns, bevor ich in den Hubschrauber stieg. Der Leutnant folgte mir.
»Ich setze mich in ein paar Tagen mit dir in Verbindung!«, schrie Danilow. »Und grüß deinen Großvater von mir, Petja!«
Natürlich wunderte ich mich, aber es blieb mir keine Gelegenheit nachzufragen, woher Danilow meinen Großvater kannte. Der Hubschrauber stieg bereits in die Luft.
»Das schaffen wir schon«, bemerkte der Leutnant nach einem Blick auf seine Uhr. »Vermutlich ...«
Am Ende hätten wir es doch nicht geschafft, hätte der Transaero-Flug »Chabarowsk-Moskau« nicht eine halbe Stunde Verspätung gehabt. Kaum waren wir aus dem Hubschrauber gesprungen, schoss ein alter Wolga des Flughafens mit der blinkenden Aufschrift »Follow me« auf uns zu. Wir rasten über die Startbahn zur Boeing. Zu spät fiel mir auf, dass ich noch kein Ticket bekommen hatte.
Auf der Gangway standen zwei Stewardessen und der gedankenverloren rauchende Kommandant des Vogels. Der Leutnant führte Danilows Befehl absolut wortgetreu aus - und brachte mich direkt bis zur Gangway, reichte mir den Aktenkoffer und salutierte.
»Freut mich, Sie kennenzulernen!« Der Pilot streckte mir die Hand entgegen. »Ich bin Gennadi.«
Die Stewardessen lächelten und sahen mich mit unverhüllter Begeisterung an.
»Ganz meinerseits ...«, erwiderte ich verlegen. »Pjotr. Da ist etwas schiefgelaufen, mit meinem Ticket ...«
Der Kommandant brach in schallendes Gelächter aus, während er mich mit sich in die Boeing zog.
»Wenn du willst, komm ins Cockpit«, bot er an. »Bist du schon mal eine 707 geflogen? Das ist natürlich kein Raumschiff, aber ...«
»Vielen Dank, aber da lass ich lieber die Finger von.« Ich schüttelte den Kopf. Natürlich hätte es mir gefallen, mal eine Boeing in die Luft zu bringen - aber doch nicht mit Passagieren an Bord!
»Trotzdem, wenn du willst ...«
Man brachte mich in der halb leeren Business-Class unter. In der langweilten sich bereits ein paar Chinesen und Japaner in streng geschnittenen Geschäftsanzügen, ein paar alternde Damen mit gefärbtem Haar sowie einige junge Geschäftsleute in Anzügen aus »Wollbaumwolle« vom Planeten Kennari. Wie auf Befehl richteten sich alle Blicke auf mich. Nach einer Weile stimmten die Japaner ein leises Getschilpe an. Allenthalben flog ein Lächeln in meine Richtung.
Ich lächelte verkrampft zurück, verstaute den Aktenkoffer in der Gepäckablage und machte es mir in dem überbreiten Sitz neben einem dösenden Mann - allem Anschein nach ein Staatsdiener - bequem. Irgendwann schloss ich die Augen und spielte den Schlafenden.
Über mir knisterte es, darauf erklang Gennadis Stimme. »Verehrte Passagiere, die Linie Transaero entschuldigt sich für die aufgrund technischer Probleme eingetretene Verzögerung des Abflugs ...«
Ich rückte ein wenig hin und her, um es mir bequemer zu machen. Eine Stewardess huschte durch den Gang und flüsterte den Passagieren höflich etwas zu. Sie blieb kurz neben mir stehen, legte mir den Gurt an und eilte weiter. Die Boeing zuckelte zum Start.
»Es ist mir ein Vergnügen, an Bord unseres Flugzeugs heute den tapferen Kosmonauten Pjotr Chrumow zu begrüßen, dessen Heldenmut Tausenden von Menschen das Leben gerettet hat ...«, fuhr der Kommandant inzwischen fort. Sämtliche Passagiere der Business-Class spendeten bereitwillig Beifall. Also musste ich die Augen öffnen und noch ein wenig mehr von meinem Lächeln stiften.