Damit wären wir mitten im üblichen Spielchen: Reich jemandem den kleinen Finger ...
»Wir haben einen engen Terminplan, ich bin insgesamt nur drei Tage auf der Erde«, brummte ich.
»Dann eben beim nächsten Mal«, gab Elsa ohne weiteres auf. »Tschüs, Peter ...«
Sie stand auf.
»Wohin fliegt ihr eigentlich?«; erkundigte ich mich noch im letzten Moment.
»Nach Jamaija.« Elsa seufzte. »Wir haben eine Lieferung aufgebrummt gekriegt.«
»Vögel?«
»Wellensittiche und Spatzen.« Die Co-Pilotin der Lufthansa verzog das Gesicht. Ich verstand sie bestens. Tausend lärmende, scheißende und durch die Enge und die ungewohnten Umstände durchgeknallte Vögel irgendwo hinzubefördern war kein Zuckerschlecken.
Elsa kehrte zu ihren Kollegen zurück, ließ mich allein mit meinem unausgetrunkenen Bier. Noch gestern hätte ich mich mit einem einzigen Bierchen nicht zufriedengegeben. Aber heute musste ich fliegen, so dass genau genommen schon dieses eine verboten war.
Verstohlen schaute ich mich in der Bar um. Sie war gut besucht, die Leute saßen dicht in Gruppen zusammen. Den größten und lautesten Pulk bildeten die Amerikaner von Delta und United Airlines, nicht ganz so zahlreich waren die Japaner von JAL und die Engländer von British Airways vertreten. Selbst Australier von Qantas und Spanier von Iberia entdeckte ich. Nur von unseren Leuten ließ sich niemand blicken. In puncto Freizeitgestaltung brauchten wir noch Nachhilfe, ganz gewaltig sogar. Seufzend erhob ich mich. Ich ging zum Tresen und langte nach dem Telefon. Der Barkeeper, ein kräftiger Kerl, reichte es mir mit einem freundlichen Lächeln.
»Ah!«, rief er aus. »Young russian pilot!«
Er erinnerte sich noch von meinem gestrigen Besuch her an mich. Barkeeper lieben Russen. Sie verdienen gut an uns - selbst dann, wenn wir allein kommen.
»Ja, ja, der Pilot ...«, bestätigte ich zerstreut. Ich nahm das Telefon und wählte die Nummer des Kontrollzentrums.
Es dauerte, bis jemand ranging. »Flug 36-18, Transaero. Gibt es ein Startfenster für mich?«
Ehrlich gestanden hoffte ich darauf, dass es mit dem Flug heute nicht klappen würde. Dann könnte ich weiter hier rumsitzen, ein gepflegtes Bierchen trinken und mich in dem gemütlichen Hotelzimmer ausschlafen. Wir kamen nur selten auf diesen Planeten, das Zimmer war in letzter Minute reserviert worden - weshalb ich angenehmerweise eine Luxussuite erhalten hatte.
»Flug 36-18 ...« Am anderen Ende der Leitung hämmerte die Frau auf ihren Computer ein. »Ja, wir haben noch ein Fenster. Um 17.06 Uhr. Bestätigen Sie den Start?«
Ich schaute auf die Uhr. Noch nicht mal drei.
»Ja.«
»Zur Gesundheitskontrolle begeben Sie sich in Zimmer 12, anschließend gehen Sie ins Kontrollzentrum«, informierte mich die Frau freundlich.
Ich legte auf und starrte den Mann hinterm Tresen finster an.
»Away?«, fragte er fröhlich.
Genau, away ...
Ich nickte ihm noch zu, bevor ich zur Tür ging. Da mir eine ganze Traube von Menschen entgegenkam, Chinesen oder Filipinos vielleicht, musste ich mich gegen die Wand pressen. Ich nutzte den kurzen Stau, um den Deutschen zuzuwinken, doch sie bemerkten es nicht.
Es würde heute hoch hergehen im Alten Donald Duck ...
Nach dem Halbdunkel der Bar mit ihren getönten Scheiben und den vorgezogenen Gardinen blendete mich das Licht jetzt natürlich. Ich kniff die Augen zusammen, holte die Sonnenbrille raus und setzte sie auf. Erst dann sah ich mich um.
Sirius-A und Sirius-B brannten den Himmel aus, dass er weiß strahlte. Über mir nichts als Licht. Keine einzige Wolke. Logisch ...
Der Erdsektor nahm den Rand des Kosmodroms ein. Einen beachtlichen Teil davon, aber eben doch nur den Rand. Drei Kilometer von der Siedlung entfernt verliefen die Landestreifen, zwei zartfliederfarbene Bahnen, die weder aus Beton noch aus Stein oder Kunststoff bestanden. Man hatte bereits mehrfach versucht, dieses fliederfarbene Material zu analysieren, war bisher allerdings jedes Mal gescheitert. Vor einem Jahr hatte sich eine englische Fähre bei der Landung überschlagen, als sie mit einem Titankratzer eine Probe vom Landestreifen nehmen wollte. Weiter hinten landete gerade ein Shuttle, der Farbe nach ein amerikanisches. In diesem Sektor kontrollierten sie und die Franzosen praktisch allein den Handel. Transaero und Aeroflot mussten sich mit weniger gastfreundlichen Gegenden abfinden.
Zwischen der Siedlung und dem Landeplatz standen Fähren, die auf den Start warteten. Ich hielt nach meinem Vogel Ausschau. Er wurde gerade zur Startrampe gebracht. Eine zwanzig Meter lange Röhre, über und über mit Antennen bestückt, und eine Kugel an der Basis, mehr war für den Start nicht vorgesehen. Aber wie heißt es bei unserer Linie: »Auf der Erde musst du starten, bei den Fremden musst du landen ...«
Es warteten etwa fünfzig Fähren. Hyxi-43, der achte Planet von Sirius-A, war ein stark frequentierter Ort.
Und der einzige in diesem System, auf dem Menschen lebten.
Ich begab mich zum Hotel, den Kopf in die Schultern gezogen, damit mir die Sonne nicht in den Nacken knallte. Kaum jemand versteht, warum wir Piloten bei unserem Gehalt ungern weiter südlich als im Baltikum Urlaub machen.
Diese Leute sollten mal auf Sirius brutzeln - danach konnte ihnen Hawaii gestohlen bleiben.
Das Hotel unterstand theoretisch der UNO, genau wie der Zentralposten des Erdsektors im Raumhafen. Tatsächlich verwaltete es jedoch das Hilton. Ich zeigte den Marinesoldaten am Eingang im Vorbeigehen meine Papiere, eine unsinnige Regel, eingeführt bei Errichtung des Sektors und bis heute gültig. Doch wem lauerten diese muskulösen Kerle mit der M-16 auf dem Rücken eigentlich auf? Menschen war der Zutritt zum Hotel ohne jede Einschränkung erlaubt, Aliens erkannte man auch, ohne dass sie mit ihren Papieren wedelten.
Einer der Marine Soldaten reagierte überhaupt nicht auf mich, der andere lächelte freundlich. Wir hatten uns gestern Abend in der Bar unterhalten. Die Marines schützte ein verspiegeltes Plastikdach gegen das Licht, hinter jedem der beiden lief außerdem ein Ventilator. Sie litten weniger unter der Hitze als vielmehr unter Langeweile. Was hatten sie schon groß an Abwechslung? Sie konnten die Starts und Landungen beobachten, ein paar Bekannte angrinsen und mit den wenigen Frauen flirten ...
Im Hotelzimmer nahm ich eine kalte Dusche, ohne dabei auf das rationierte Wasser zu achten. Heute Abend würde ich ohnehin keins mehr brauchen. Das Abtrocknen schenkte ich mir, die leicht surrende Klimaanlage hatte die Hitze sowieso nicht vertreiben können. Ich baute mich vorm Spiegel auf und musterte mein Gesicht.
Klar, als cooler Pilot ging ich nur auf der Erde durch -wenn ich durch die Straßen eines Provinznests spazierte. Denn schon in Moskau schenkte man uns Kosmonauten kaum noch Aufmerksamkeit. Bist ein guter Junge ... Als mir Elsas Worte wieder einfielen, stürmte ich wütend rüber ins Wohnzimmer. Wenn wenigstens mein Bart dichter wäre! Aber nein, ich war ein gutmütiger, fünfundzwanzigjähriger Milchbubi mit strohblondem Wuschelkopf und vollen Wangen! Jeder Pilot las mir meine Biographie auf den ersten Blick ab: Luftwaffe, selbständige Flüge, die sich an einer Hand abzählen ließen, Astrokurse im Schnelldurchgang und ein altes Shuttle, für das ein erfahrener Mann zu schade war.
Geschenkt.
Im Großen und Ganzen fielen die Unterschiede zwischen uns Piloten kaum ins Gewicht.
Ich zog mich an und packte meine paar Habseligkeiten in einen Aktenkoffer. Nachdem ich das Zimmer verlassen und die Tür hinter mir zugezogen hatte, händigte ich dem Zimmermädchen der Etage die Schlüssel aus und wartete, bis sie meinen Auszug im Computer eingegeben hatte.
Die Frau war überarbeitet und müde. Alle Weltraumbahnhöfe litten unter Personalmangel. Jeder Arbeitsplatz kostete Unsummen! Steuern für die veratmete Luft, Steuern für die Schuldentilgung des Grundstücks, Steuern für Veränderung der Planetenmasse ... Den Außerirdischen mangelte es in dieser Beziehung nicht an Phantasie. Und das waren ja noch nicht mal die direkten Ausgaben. Von mir aus hätten sie ruhig ein paar von diesen absolut überflüssigen Marinesoldaten entlassen können, statt den Leuten aus dem Kontrollzentrum und dem Dienstpersonal immer noch mehr aufzubürden.