Aber dass er sich in meiner Anwesenheit den Organismus vergiftete, das war lange nicht vorgekommen.
»Bei der Berechnung der Landeflugbahn ...«, setzte ich an, während ich Hilfe heischend auf das Photo an der Wand starrte. Es zeigte meine Mutter, meinen Vater und mich. Ich war damals noch ganz klein, ein Knirps mit hellblonden Locken und einem naiven, beleidigten Gesicht.
»Halt«, unterbrach mich mein Großvater, nachdem er sich seine Pfeife angezündet hatte. »Die Details deiner Landung interessieren mich nicht. Ich will wissen, was auf Hyxi passiert ist.«
Also kein Präludium.
Aber was hätte ich von meinem Großvater anderes erwarten sollen?
»Ich habe die Fracht aufgenommen ... Kortrison ...«
»Petja, mein Junge ... mich interessiert vor allem eins: wer? Die Alari, die Zähler oder die Cualcua? Sprich ganz offen, hier kann uns niemand hören.«
»Die Zähler ...«, hauchte ich.
Mein Großvater blies weißen, eher nach Kräutern als nach Tabak riechenden Rauch an die Decke.
»Ich hätte auf die Alari getippt«, bemerkte er. »Sie haben mit der Sache definitiv nichts zu tun?«
»Ich weiß es nicht ...«, gab ich völlig verwirrt zu. »Sieht so aus, als ob nicht.«
»Petja, wozu habe ich dir beigebracht, dass eine Verneinung niemals eine ausreichende Information darstellt?«
»Eventuell haben sie was damit zu tun.«
»Gut. Und jetzt erzähl alles der Reihe nach.«
»Hyxi. Die Kortrison-Ladung. Ein normaler Start. Beim Eintritt in den Orbit kam mir ein Raumkreuzer entgegen ... ein Kreuzer der Alari ...«
Mein Großvater lächelte selbstzufrieden.
Ich gab alle Versuche, etwas von den Ereignissen zu begreifen, auf, und erzählte schlicht, was mir passiert war. Kurz und knapp, solange es um die Vorgeschichte ging, und detailliert, kaum dass der Zähler die Bühne betreten hatte - falls die winzige Kabine der Spiral als Bühne bezeichnet werden durfte.
»Vorzüglich«, urteilte mein Großvater. »Das ist besser als erwartet.«
»Ich verstehe wirklich nur Bahnhof«, gab ich zu.
»Was begreifst du denn nicht?«
»Was haben die Alari damit zu tun?«
»Was hat dich daran gehindert, vor dem Jump die nötige Kontrolle des Schiffs vorzunehmen?«
»Der Kreuzer ...«
»Na, siehst du. Die Folge deines Notjumps war zum einen, dass du den Zähler zunächst nicht bemerkt hast, zum anderen, dass du deinen Sprung mit einer schlecht berechneten Flugbahn angetreten hast. Das wiederum zwang dich, die Hilfe des Aliens zu akzeptieren.«
»Du meinst, das war alles so geplant? Er hat mich also angelogen?« Ich wunderte mich nicht einmal darüber.
»Was heißt angelogen!«, entgegnete mein Großvater. »Er hat dir lediglich bloß einen Teil der Wahrheit mitgeteilt. An der Operation, auf die Erde vorzudringen, nehmen nicht nur diese lebenden Computer teil, sondern auch noch die kriegerischen Nager.«
»Aber was versprechen sie sich davon?«
»Dich beeindruckt ein Umstand, der allen Kosmonauten bekannt ist, Petja: Die Alari haben die stärksten Kriegsschiffe im Konklave. Aber kommt es dir nicht komisch vor, dass die Alari gezwungen sind, eine solch monströs große und destruktive Flotte zu unterhalten? Nein, Petja, auch sie sitzen in der Falle. Genau wie wir oder die Zähler. Sie sind die Kampfgarde des Konklave. Diese Rolle mag einen Teil der Rasse zufriedenstellen, aber niemals alle Alari. Wenn sie von Natur aus kriegerisch wären, hätten sie einander längst ausgerottet oder sich mit allen anderen Außerirdischen angelegt.«
Mein Großvater hustete, klopfte die Pfeife aus und stopfte sie erneut.
»Damit haben wir es mit einer klassischen Situation zu tun«, meinte er genüsslich. »Wir haben mindestens drei Rassen im Kosmos, denen der gegenwärtige Stand der Dinge missfällt. Drei Rassen, die sich ausgenutzt, versklavt und in eine ihnen missliebige Rolle gedrängt fühlen. Wenn du wüsstest, wie lange ich auf diesen Augenblick gewartet habe!«
»Aber was ist mit dem Zähler? Wie wollen wir ihn finden?«
»Ihn finden? Wozu? Er wird uns schon zu finden wissen. Genauer gesagt mich.«
Wenn ich eins bei meinem Großvater noch nicht bemerkt hatte, dann war das Größenwahn.
»Großvater, du bist weder der Generalsekretär der UNO noch der Präsident Russlands ...«
»Wer braucht denn schon derlei Funktionen?«, schnaubte mein Großvater verächtlich. »Glaubst du, ich würde diesen Sessel gegen den Stuhl von M’bani Montenebo oder Alexej Schipunow tauschen? Pah!«
»Und du glaubst wirklich, der Zähler kommt zu dir?«
»Selbstverständlich! Wie heißt er? Karel? Karel Gott ...« Mein Großvater schüttelte sich vor Lachen. Mir hingegen war absolut schleierhaft, warum er den Zähler als Gott bezeichnete.
»Großpapa ...«, jammerte ich, etwa in dem Ton, den ich angeschlagen hatte, wenn ich als Junge an einer. Aufgabe in Differentialrechnung scheiterte oder partout nicht hinter die Paragraphen des Galaktischen Kodex stieg, mit all den verschwiemelten Kommentaren und dem Gewirr aus Querverweisen ...
»Petja! Du bist müde! Du musst jetzt schlafen. Und ich muss nachdenken.«
Ich erhob mich. Wenn mein Großvater mich ins Bett schickte, war jeder Widerspruch zwecklos. Das hatte ich bereits als Kind begriffen.
»Dann ... bist du mir also nicht böse?«, fragte ich trotzdem noch. »Du hältst mich nicht für einen Verräter?«
Mein Großvater legte die Pfeife ab und schaute mich verblüfft an. »Petja! Du hast dich hervorragend geschlagen! Du hast genau das getan, was notwendig war! Wenn es für Erziehung einen Nobelpreis gäbe, wäre ich ein sicherer Anwärter.«
Daraufhin trat ich eiligst den Rückzug an. Mein Großvater hat nicht viele Schwächen, doch sobald die Rede auf den Nobelpreis kam, gab ich besser Fersengeld. Andernfalls müsste ich mir ein weiteres Mal die Geschichte anhören, wie mein Großvater den Preis nicht bekommen hatte - und zwar einzig und allein wegen der Feigheit der Beamten, die nicht den Mumm hatten, die Auszeichnung dem verdienten Autor des Manifests der Verdammten und der Einführung in die Psychologie der Nicht-Menschen zuzusprechen.
Endlich konnte ich mich ausschlafen. In meinem eigenen Bett, unter dem Rauschen des einsetzenden Regens, das durchs offene Fenster drang. Und vor allem: entlastet durch die Worte meines Großvaters. Wenn er der Ansicht war, ich hätte mir nichts zuschulden kommen lassen, als ich den Zähler mit zur Erde gebracht hatte, dann war alles in Ordnung.
Ich wachte erst spät auf. Vorm Himmel hatte sich eine dichte Wolkendecke zusammengezogen. Es regnete, draußen, irgendwo unter der Vortreppe, winselte Tyrann leise vor sich hin. Er hatte dort eine richtige Höhle, aber anscheinend zog es den Hund gegenwärtig in die menschliche Behausung. Ich stand auf, rieb mir die Augen, ging in die Diele, ließ den Hund rein und legte mich noch einmal hin. Der Schlaf wollte sich jedoch nicht wieder einstellen.
Irgendwann schaltete ich den Fernseher an, lümmelte mich im Bett und hörte mir die neuesten Nachrichten an, die vor einer Stunde aufgezeichnet worden waren.
Eine nie dagewesene reiche Ernte im Nicht-Schwarzerde-Gürtel wurde vermeldet, die man gar nicht einbringen könnte, ein Zollstreit mit Großchina, ein Auftritt des US-amerikanischen Präsidenten Murphy ... Schließlich berichtete man auch noch einmal über mich. Dazu lief eine Computeranimation, mit der die Landung der Spiral veranschaulicht wurde. Ein mir nicht bekannter Spezialist von Roskosmos legte verschiedene Versionen zu den Gründen der unvorhergesehenen Landung dar. Im Anschluss daran wurde ein landendes Shuttle gezeigt, keine Spiral, sondern eine Buran, aber welcher Fernsehzuschauer würde das schon in den drei Sekunden mitkriegen? Dann kam ich ins Bild, wie ich mit dem Fahrer des schrottreifen Ikarus einen lüpfte. Man lobte mich, sogar recht stark. Ich wurde rot und löschte die Aufzeichnung der Nachrichten aus dem Speicher des Fernsehers.