»Keine Ahnung. Ich bin kein richtiger Schweißer, das habe ich auf einer Baustelle gefunden«, antwortete mein Großvater eindeutig mit einem Zitat. Woher es stammte, wusste ich nicht. »Das ist ein Indikator für organische Stoffe, mein Junge.«
Auf dem Bett lag ein offener Koffer, anscheinend einer von Maschas. Er enthielt eine Unmenge mir unbekannter Gerätschaften.
»Dann schauen wir mal ...«, flüsterte mein Großvater und betätigte einen der Schalter.
Das Display leuchtete rot auf.
»Würde dein Zähler in den Aktenkoffer passen?«, fragte mein Großvater beiläufig.
Alles in mir drin erkaltete. »Nein ... Ich weiß nicht ...«
»Niemand weiß das«, räumte mein Großvater ein. Den Blick fest auf den Aktenkoffer gerichtet, wich er rückwärts zum Bett rüber und entnahm dem Koffer etwas, das verdammt nach einer Waffe aussah: Griff, Abzug und konischer Lauf. Allerdings schien die Waffe nicht mit Kugeln geladen zu werden, denn der Lauf erinnerte eher an eine Antenne.
»Das ist nicht nötig!«, schrie ich. Genau in dem Moment betätigte mein Großvater den Abzug. Daraufhin geschah rein gar nichts, nur in meinen Ohren vernahm ich ein leises Geräusch, das irgendwie keine Quelle hatte.
»Das ist der Prototyp eines Lähmungsstrahlers«, erklärte mir mein Großvater, während er die Waffe beiseitelegte. »Ein Einweggerät. Es funktioniert bei allen terrestrischen Lebensformen.«
»Und was ist mit außerirdischen?«
»Das werden wir gleich sehen.«
Mein Großvater trat an den Tisch heran und öffnete den Aktenkoffer. In ihm fand er mehrere kleine Beutel mit meinen Sachen und mit Souvenirs. Und eine große Tüte.
Vorsichtig und höchst penibel lugte mein Großvater in diese Tüte hinein.
Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ er sich in den Sessel plumpsen und nahm den transparenten Helm ab.
»Sascha hat nicht vergessen, wie gern ich roten Fisch esse ...«, sagte er. »Möchtest du etwas, Pjotr? Das ist guter, eingesalzener ... und inzwischen auch paralysierter Lachs.«
Ich polkte ein Stück ab und kostete es.
Ganz normaler Fisch. Den Geschmack hatte die geheimnisvolle Waffe nicht beeinflusst.
»Ein guter Lachs, Großpapa ...«, bemerkte ich. »Was hast du denn?«
Mein Großvater saß da, den Kopf in beide Hände gestützt, und starrte auf den Aktenkoffer.
»Glaubst du etwa, ich hätte keine Angst, Petja?«, fragte er mich mit traurigem Blick. »Glaubst du, ich hätte nachts keine Albträume? Glaubst du, meine Nerven würden nicht blank liegen, Petja ... Ich habe schon nicht mehr damit gerechnet, diesen Tag zu erleben ... ich habe gefürchtet, nicht durchzuhalten ...«
Auf der Treppe waren Schritte zu hören. Mein Großvater riss sich wieder zusammen.
»Geh dich waschen. Mascha und ich müssen uns unterhalten.«
Ich schlängelte mich an der Frau vorbei, die in der Türfüllung stand. Sie trug nur einen Bademantel und hatte sich ein Handtuch um den Kopf gewickelt.
»Hier hat es ein kleines Gefecht gegeben«, teilte ich ihr freundlich mit.
Ich duschte lange und mit Genuss. Als könnte ich alle Probleme und unangenehmen Überraschungen der letzten Tage von meinem Körper schrubben. Und wieder zu meiner ruhigen und unbeschwerten Gemütsverfassung zurückfinden.
Letzten Endes hatte ich mich daran gewöhnt, an dieses Vertrauen in mich selbst und in den morgigen Tag. Von klein auf wusste ich: Ich war nicht allein, ich hatte meinen Großvater, dessen giftige Formulierungen die Zeitungen auf den Titelseiten abdruckten, meinen Großvater, bei dem sich Abgeordnete und Geschäftsleute Rat holten. Er beschützte mich vor allem und jedem. Nie hatte er mich zu etwas gezwungen. Ich selbst hatte die Kurse gewählt, die ich in der Schule belegte, den Sport, den ich treiben wollte, ich selbst hatte entschieden, Militärpilot zu werden und dann in die Raumfahrt überzuwechseln ... Mein Großvater war jedoch stets bereit gewesen, mir bei allem zu helfen.
Ob es in der Galaktischen Familie auch Enkel gab?
Ich grinste und fing an zu pfeifen, bis mir der schiefe Gesang von Mascha einfiel und ich verstummte.
Mein Großvater hatte in seinem Buch einen anschaulichen Vergleich gefunden, als er von Kindern und Stiefkindern sprach. Einen Vergleich, der kein gutes Licht auf die Menschheit warf. Wenn wir nur endlich lernen würden, solche Kränkungen auch zu empfinden!
Andererseits sind natürlich alle Vergleiche falsch ...
Etwas bedrückte mich. Ein kalter Klumpen lauerte in mir und zerrte mit dünnen Spinnenbeinen an meinen Nerven. Und diese Kälte vertrieb ich nicht mit einer heißen Dusche.
Es war, als hätte ich etwas Wichtiges übersehen. Als hätte ich mich weggedreht, um es nicht zu sehen ...
Halt! Was sollte das? Ich führte mich ja wie der reinste Neurastheniker auf! Dabei war mit mir alles in Ordnung. So weit es ging jedenfalls.
Nachdem ich mich mit dem weichen, alten Handtuch abgerubbelt hatte, nahm ich den Föhn vom Regal und trocknete mein Haar an. Mascha hatte sich entweder nicht getraut, ihn zu benutzen, oder sie hatte ihn übersehen. Wahrscheinlich Letzteres. Ich hätte sie darauf hinweisen sollen. Diese seltsame Frau ...
Ob ich ihr gefiel? Nicht als Enkel des vergötterten Andrej Chrumow, sondern einfach so, als Mensch.
Ich lugte hinaus, ob sich jemand in meinem Zimmer aufhielt, und verließ das Bad. Mascha war eine Frau, die keine großen Umstände machte, ihr war zuzutrauen, dass sie unaufgefordert hereinplatzte. An dergleichen war ich nicht gewöhnt. Etwa mit fünf Jahren hatte ich begriffen: In meinem Zimmer war ich mein eigener Herr. Wenn ich nicht wollte, betrat mein Großvater es nicht. Später hatte ich in einem der Bücher meines Großvaters gelesen, der Verlust des »persönlichen Territoriums« zöge eine anormale Entwicklung sowohl des einzelnen Individuums als auch einer ganzen Nation oder Rasse nach sich. Mein Großvater hatte dabei an die Menschheit gedacht, die nicht mehr das Recht hatte, über die Erde zu bestimmen. Er hatte prognostiziert, wohin das führen würde, indem er einige ausgesprochen kühne Vergleiche zur Geschichte unterschiedlicher Völker gezogen hatte. Vermutlich hatte er seine Überzeugung jedoch auch mir gegenüber walten lassen.
An der Tür klopfte es leise.
»Petja«, rief mein Großvater. »Wenn du dich frisch gemacht hast, dann hilf uns doch, den Tisch zu decken.«
Ich mag diese häuslichen Bankette nicht. Ich sehe keinen Sinn darin. Es ist eine Sache, wenn Gäste kommen und man ihnen eine wahre Festtafel präsentieren will. Mit dem feinen Porzellan des Geschirrs, dem Kristall der Weinkelche, mit Kalbsbraten, in Minzsauce geschmort, und rotem Beaujolais, frisch aus Frankreich importiert ... Denn es ist schön, anderen Menschen ein Vergnügen zu bereiten.
Oder wenn du dir selbst etwas Besonderes gönnen willst, in ein kleines, gemütliches Restaurant gehst ... und dich bei frisch gezapftem Bier über ein Schaschlik aus Hammelfleisch hermachst.
Etwas ganz anderes ist es jedoch, wenn du selbst alles vorbereiten musst, kochen, raffinierte Salate anrichten, ein Tischtuch auflegen, das Besteck verteilen ... nur damit du ein paar Stunden später, sobald alles aufgegessen und ausgetrunken ist, das Geschirr abwäschst und alle Spuren der Feier beseitigst.
Ist dergleichen nicht dumm?
Man könnte doch ebenso gut in der Küche sitzen, eine Pizza in der Mikrowelle aufbacken und für jeden eine Flasche tschechisches Bier aufmachen. Und sich das ganze Brimborium sparen. Sogar eine Kerze, in ein leeres Glas gesteckt, könnte man anzünden und in der Mitte auf den Tisch stellen ...
Während ich zwischen Küche und Esszimmer hin und her schwirrte, registrierte ich, wie sich der Tisch unter Maschas Bemühungen in eine Festtafel verwandelte. Sie hatte sogar irgendwo einen Kerzenhalter aufgetrieben, Servietten mit einem fröhlichen Muster und einen alten Eiskübel aus Neusilber ... Ich wusste nicht mal, dass wir derart viele überflüssige Dinge besaßen. Den Ehrenplatz nahm eine Platte mit dem paralysierten Lachs ein.