Darauf verstummten wir. Sie hatte ja recht ...
»Entschuldige, Großpapa«, sagte ich. Mit einem Mal wollte ich auch etwas Alkoholisches trinken. Natürlich keinen Wodka, aber in der Küche musste es Wein geben.
»Du auch, Petja.« Mein Großvater rieb sich die Stirn. »Lass Tyrann rein, er winselt ...«
Ich ging in die Küche und holte die Flasche moldawischen Nigru de Purkai und einen Korkenzieher. Von der Vortreppe klang tatsächlich Hundegejaule herüber. Ob der Regen wieder eingesetzt hatte? Oder hielt der Hund es für seine Pflicht, an unserem Essen teilzunehmen?
Mit der Flasche in der Hand schlenderte ich zur Tür, schaltete in der Diele das Licht an und schloss auf. Tyrann kam aufgeregt angelaufen.
»Was machst du für einen Radau wie eine Ratte im Keller?«, fragte ich. »Wenn du wenigstens anständig kläffen würdest!« Aber kläffen konnte er nicht.
Tyrann stolzierte mit dem Gebaren vollendeter Pflichterfüllung herein, den schlaffen Körper des Reptiloiden über den Fußboden schleifend. Seine starken Kiefer hielten den Hals des Zählers fest umschlossen. Der Hund ließ den Außerirdischen vor mir fallen und stupste mich mit der Schnauze ins Knie.
Lobe mich, mein junger Herr ...
»Großpapa!«, schrie ich. »Großpapa!«
Zweiter Teil
Die Alari
Eins
Er wog nicht mehr als ein kleines Kind, fünfundzwanzig, dreißig Kilo. Als ich Karel auf Sofa bettete, beschmierte ich das beigefarbene Velours mit Dreck. Anschließend richtete ich mich wieder auf.
Sicherlich hatte der Zähler noch im letzten Moment versucht, sich zur Kugel einzurollen. Doch da war es schon zu spät gewesen. Tyrann stammte aus einem ruhmreichen Geschlecht, falls es denn in Hundekämpfen Ruhm gibt. Sein Vater war der berühmte Temirlan, der sich brüsten durfte, ohne jede Hilfe drei Bullterrier getötet zu haben.
Der Reptiloid hatte gegen Tyrann keine Chancen gehabt.
»Petja!« Mein Großvater legte mir eine zitternde Hand auf die Schulter. »Ihr müsst doch ... ihr müsst doch Kurse in kosmischer Medizin gehabt haben!«
Ich schüttelte bloß den Kopf. Gerade mal ein paar Brocken Wissen hatte man uns hingeworfen, darüber, wie man Aliens das Leben rettet, wenn der Zufall es einmal erlaubte, sich ihnen anzubiedern und diesen Dienst zu leisten. Wer wie atmete, bei wem man wie eine Blutung stoppte.
Aber über Zähler wusste ich nichts, nicht mal, ob sie Blut hatten.
Ich schaute zu Mascha hinüber. Sie war ebenfalls schockiert.
»Wie ihr sie foltern und umbringen könnt, das hast du dir überlegt«, sagte ich. »Aber wie man sie wiederbeleben kann, nicht, oder?«
Ihre ganze Selbstsicherheit hatte sich in Luft aufgelöst. Ihre Lippen zitterten.
»Karel ...«, rief mein Großvater ohne jede Hoffnung. Er hockte sich vors Sofa und legte dem Alien die Hand an den Hals. »Karel, stirb nicht!«
Vielleicht war er schon tot ... Blut gab es zwar keins, der geschuppte Hals des Reptiloiden wirkte auch nicht gebrochen, aber womöglich war er erstickt? Schließlich gehörte er zu den atmenden Lebewesen - das immerhin wusste ich.
Tyrann bellte fordernd und streckte meinem Großvater seine Pfote hin. Er bat um einen Handschlag.
»Bring den Hund weg!«, krächzte mein Großvater mit brüchiger Stimme. »Schaff ihn mir aus den Augen!«
»Warum hat eigentlich die Alarmanlage nicht funktioniert ...?«, flüsterte Mascha plötzlich. »Sie hätte ... doch ...«
Ich packte Tyrann beim Halsband und zog ihn aus dem Esszimmer. Der Hund wollte schon loskläffen, spürte jedoch, dass mit mir jetzt nicht zu scherzen war, und zog es vor zu schweigen. Ich verfrachtete ihn in die Diele und schloss die Tür. Als Tyrann kläglich zu jammern anfing, löste sich meine Wut auf.
»Du bist ja nicht schuld«, versicherte ich. »Das haben wir Idioten selber zu verantworten ...«
Ich ließ den verzweifelten Hund allein und kehrte zu den anderen ins Zimmer zurück. Dort war alles wie gehabt. Es lief der zweite Akt, immer noch dieselben Personen, der Körper des Reptiloiden lag auf dem Sofa, mein Großvater kniete davor, Mascha stand zur Salzsäule erstarrt da.
Wenn ich abends vom Holzfällen zurückkam, würde ich in einer Ecke meiner Baracke ein Stück schreiben: Tod eines Aliens.
»Man kann eben nicht alles einplanen«, sagte ich. »Großpapa ...«
Ich wollte schon erklären, ich würde die Verantwortung für all das übernehmen und jetzt die Miliz oder besser gleich den FSB anrufen.
In dem Moment krampfte sich der Reptiloid jedoch zusammen. Er öffnete die Augen und riss den Kopf hoch.
Mein Großvater wich vom Sofa zurück, wobei er unbeholfen nach hinten fiel. Mascha stürzte vor, schaffte es, ihn abzufangen und gleichzeitig mit einer Bewegung hinter sich - ob sie auf dem Rücken ihres Abendkleides ein Holster trug? - den bereits vertrauten Prototyp dieses Paralysators zu ziehen.
»Gewaltanwendung ist nicht nötig ...«, zischelte der Reptiloid. Er linste zu mir hoch. »Guten Tag, Pjotr Chrumow.«
Keiner von uns brachte einen Ton heraus. Der Zähler schaute Mascha an.
»Meine gute Frau«, sagte er mit seiner normalen, gequälten Flüsterstimme, »von meiner Seite droht Ihnen keine Gewalt. Sie können auf die Waffe verzichten.«
Mascha rührte sich nicht.
»Außerdem gibt es keine Garantie, dass mir die Waffe überhaupt etwas anhaben könnte«, fügte der Zähler hinzu.
Mein Großvater stemmte sich ächzend vom Boden hoch. »Und was, wenn ich den Hund rufe?«, fragte er.
Mit einem Satz war der Zähler auf der Sofalehne. »Ich habe wichtige Informationen, die das Schicksal der Menschheit zum Besseren wenden könnten!«, ratterte er los.
Mein Großvater lachte. »Die Idee, mir einen Hund zuzulegen, war goldrichtig«, meinte er zu mir.
Der Reptiloid wartete und drehte den Kopf so, dass er uns alle im Blick behielt.
»Steck die Pistole weg, Mascha«, verlangte mein Großvater schließlich. »Ich glaube nicht, dass unser Gast ein Killer ist.«
»Die moralischen Normen unserer Rasse erlauben keinen Mord«, beteuerte der Zähler.
»Und was erlauben sie?«, wollte mein Großvater wissen.
»Zielt die Frage darauf, was für uns am wichtigsten ist?«
»Genau.«
»Das Begreifen der Urwahrheit.« Der Zähler erschauderte sogar, als er diese Worte aussprach. »Aber dieses Bestreben verlangt Freiheit ...«
»Wer ist an der Verschwörung beteiligt?«, wechselte mein Großvater abrupt das Thema.
Karel starrte demonstrativ zu Mascha hinüber. Die schnaubte nur.
»Sie ist auf Menschenseite Teilnehmerin an dem Projekt«, stellte mein Großvater in resolutem Ton klar.
»Von unserer Rasse abgesehen sind die Alari und die Cualcua an der Aktion beteiligt«, brachte der Zähler heraus.
Warum hatte mein Großvater immer hundertprozentig recht? Ich setzte mich an den Tisch, entkorkte die Weinflasche und goss mir ein volles Glas ein.
Der Zähler zeigte keinerlei Absicht, das Sofa zu verlassen. Mein Großvater bestand allerdings auch nicht darauf. Ihm ging es offenbar nur darum, den Reptiloiden nicht zu berühren.
Sollte der Zähler das menschliche Bewusstsein tatsächlich beeinflussen können, war diese Vorsicht mehr als geboten. Im Nachhinein verstand ich auch, dass die idiotische durchsichtige Pelerine, die mein Großvater in seinem Zimmer getragen hatte, als Schutz gegen genau diese Form der Manipulation hatte dienen sollen. Vielleicht war das sogar gerechtfertigt - falls der Reptiloid nämlich die elektromagnetische Wechselwirkung benutzte. Aber was, wenn sie auf der Ebene irgendwelcher Mikroleptonen erfolgte? Oder auf der der Tachyonen?
»Als Hausherr ...« Mein Großvater lächelte den Zähler an, der daraufhin mühevoll die Zähne bleckte. »... möchte ich eine Reihe von Fragen stellen. Je nachdem, wie ehrlich und umfassend die Antworten ausfallen, werden sich unsere weiteren Beziehungen gestalten. Wenn ich dich drei Mal bei einer Abweichung von der Wahrheit ertappe, muss ich die Unterredung beenden.«