Vielleicht lag es an der Anspannung, vielleicht auch am Wein, den ich abends getrunken hatte - jedenfalls wachte ich um halb vier auf. Im Bett liegend, versuchte ich den Atem des Zählers zu hören.
Aber im Zimmer herrschte absolute Stille. Als ob der Reptiloid auch die Atmung nur imitiert hatte. Die Ziffern der Uhr schimmerten, draußen wogten die Bäume. Der Regen hatte aufgehört ... endlich.
Als mir nach zehn Minuten klar wurde, dass ich nicht wieder einschlafen würde, tastete ich nach der Fernbedienung auf dem Nachttisch und schaltete den Fernseher an. Nachdem ich mich im blassen Licht des Bildschirms davon überzeugt hatte, dass der Zähler immer noch da war, zappte ich mich durch die Kanäle.
Im Nationalen Fernsehen moderierte Darja Narjalowa eine Sendung über das Leben und die Kultur von Außerirdischen. Für die breite Masse mochte das interessant sein.
Mir fiel jedoch auf, dass die Sendung aus einzelnen Fetzen zusammengeschnitten war, aus Aufnahmen von Touristen und Piloten, aber auch aus Propagandafilmen der Außerirdischen und einigen Mitschnitten von Sendungen der Hyxoiden, eine der wenigen Rassen, die etwas besaß, das sich mit unserem Fernseher vergleichen ließ. Weiter. Der erste Kanal brachte eine Seifenoper für Erwachsene. Ich schaute kurz der freizügigen Bettszene zu. Und weiter. Das Russische Fernsehen wiederholte den Bücherwurm, der TV-Prozessor wertete die kodierte Information aus und teilte mir mit, es blieben nur noch sieben Minuten bis zum Ende der Sendung, eine Wiederholung gäbe es morgen Mittag. Ich blieb bei dem Kanal und ließ mich auf die schlichte Inszenierung ein. Auf einer nackten Bühne stand eine Frau in prachtvollem Kleid, die Hände vor der Brust verschränkt, und deklamierte in den Raum: »Wie ich deinen Namen hasse! Nimm einen andren an, und ich gehöre dir! Bedeute ich dir denn weniger als dieses leere, verhasste Wort!«
Von der Seite her trat ein leicht kahlköpfiger Mann auf, ebenfalls altmodisch gekleidet, mit einem Degen an der Hüfte. Er streckte der Frau die Hände entgegen. »Ich habe dich nie gezwungen, mir das zu sagen«, trompetete er. »Schenk mir deine Liebe - und ich ändere meinen Namen!«
Mich beschlich das idiotische Gefühl zu kennen, was da lief ... Inzwischen umarmten der Mann und die Frau sich, der Bildschirm wurde dunkel, ein Buch in reißerischem Einband wurde gezeigt. Ein blutüberströmter Jüngling mit einem Dolch in der Brust vor einem Sarg, dem eine bleiche, an einen Vampir erinnernde Frau entstieg.
»In der Serie ›Klassische Frauenromane‹«, sprach eine weiche Stimme ein, »stellen wir Ihnen den Roman Romeo und Julia von William Shakespeare vor, der nun endlich in einer adäquaten modernen Übersetzung vorliegt! Nun können auch Sie dieses anerkannte Meisterwerk der Weltliteratur lesen und eintauchen in flammende Leidenschaften, in ein Feuerwerk an Gefühlen, eine schöne Landschaft und ein Labyrinth an Intrigen! Und sorgen Sie sich nicht wegen des traurigen Endes - eigens für diese Ausgabe hat der talentierte Literaturwissenschaftler Viktor Busdugan eine Fortsetzung geschrieben, Julia Montague, die ganz dazu angetan ist ...«
Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Vermutlich eher lachen. Mit dem Kopfkissen vorm Mund erstickte ich mein Gelächter. Nachdem mein Lachkrampf vorbei war, schaltete ich auf den Petersburger Kanal um. Dort lief der alte SF-Film Alien. Ganz schön mutig, das musste ich zugeben. Die Programmmacher könnten durchaus wegen Verbreitung von Xenophobie belangt werden ... Ich ließ mir die Informationen zur Ausstrahlung anzeigen: Er war recht bescheiden als »Klassiker« angekündigt, ohne Titel. Nach dem Film würde der bekannte Schriftsteller und Kritiker Andrej Nikolajew einen Auftritt haben. Vermutlich, um die eingeschränkte Sichtweise des Regisseurs zu entlarven.
Im Moskauer 24-Stunden-Kanal wurde der neue Beschluss Poljankins diskutiert, enorme Zuschüsse für alle zu zahlen, die nach Moskau zogen und hier arbeiteten.
Die Kommentatoren stimmten dahingehend überein, eine solche Maßnahme würde nichts bringen, die Bürger würden lediglich das Geld einstreichen und die Stadt damit umgehend wieder verlassen. Wer würde denn schon - sofern er noch alle beisammen hatte - freiwillig Nishni Nowgorod, Wladiwostok oder Petersburg gegen die verdreckte, laute und chaotische ehemalige Hauptstadt eintauschen?
Der letzte der Nachtsender war der Sechste Kanal. Auch der bot nichts Anständiges, sondern bloß einen Teleshop. Ich landete mitten in einem Werbespot für einen elektrisch betriebenen Wunderkorkenzieher, mit dem man bis zu zwanzig Weinflaschen pro Minute öffnen konnte.
Genau in dem Moment hakte etwas bei mir aus, und ich brach lauthals in Gelächter aus. Auf dem Bildschirm quälte sich eine hübsche junge Frau mit einem normalen Korkenzieher ab. Irgendwann trat ein schmieriger Typ auf, warf den althergebrachten Korkenzieher aus dem Fenster und holte den elektrischen heraus ... Ich lachte wie ein Irrer, saß auf dem Bett und presste beide Hände vor den Mund, ohne dass es etwas genützt hätte.
Der Zähler schnellte in seinem Sessel hoch. Seine Augen leuchteten auf.
»Ent ... entschuldige ...«, stöhnte ich.
»Bis zu zwanzig Flaschen pro Minute!«, erklang es aus dem Fernseher. Ein weiterer hysterischer Lachanfall schüttelte mich.
»Ich habe dich nicht manipuliert!«, stellte der Reptiloid klar.
Ich konnte nur nicken, ein vernünftiges Wort brachte ich nicht heraus. Als ob uns irgendwelche Aliens manipulieren müssten! Als ob nicht jeder sein eigenes Gerät zur Gehirnwäsche zu Hause hätte: den Fernseher!
»49 Dollar und 99 Cent oder 89 Rubel oder drei Spacebucks! Rufen Sie gleich an, und Sie erhalten für den genannten Preis auch noch ein Set Korken, mit dem Sie den Wunderkorkenzieher testen können!«
Nachdem ich mich ausgelacht hatte, drehte ich den Ton weg. »Entschuldige«, erklärte ich dem verwirrten Zähler. »Ich konnte nicht schlafen. Da habe ich den Fernseher eingeschaltet ... und einen Lachanfall gekriegt.«
»Den Fernseher?« Verschlafen wirkte der Zähler dümmer als sonst.
»Siehst du den nicht oder was?«
Der Reptiloid drehte den Kopf in Richtung Apparat. »Ja, da ist Licht ...«, sagte er. »Aber ich kann die Bildabfolge eurer Fernseher nicht aufnehmen.«
»Warum nicht?«
»Die Abtastung ist zu langsam, die Segmente, aus denen sich das Bild aufbaut, sind zu groß ... Außerdem gibt es Unmengen von Störungen. Es ist äußerst schwierig, solche Informationen zu verarbeiten.«
Für mein Empfinden lieferte der Fernseher ein ideales Bild.
»Aber du hast doch auch die Information auf dem Monitor im Schiff gelesen!«
»Das habe ich nicht. Ich habe die Daten auf dem Weg zum Schirm eingelesen. Das ist wesentlich bequemer.« Der Zähler rollte sich wieder zu einer Kugel zusammen.
»Setz deine Erholung ruhig fort, ich werde das Geräusch nicht mehr als äußerliches Ärgernis wahrnehmen.«
Schon im nächsten Moment schlief er wieder. Genauer gesagt, er schlief nicht, sondern überließ sich kognitiven Prozessen ... Sie hatten eine praktische Physiologie. Ich ließ die Beine aus dem Bett baumeln und lehnte mich seufzend gegen die Wand. Schlaf wollte sich einfach keiner mehr einstellen.
Konnte man eine Fähre kapern?
Im buchstäblichen Sinne nicht. Die Startvorbereitungen enden erst eine Stunde vor dem Abschuss. Und selbst dann braucht man noch hundert Leute, damit das Schiff startet.
Konnte man die Mannschaft austauschen? Eine Buran hatte bei ihren Transportflügen drei Mann dabei, den Kommandanten, der zugleich auch der erste Pilot war, den Copiloten und den Jump-Navigator. Ging ich einmal davon aus, Danilow nahm mich tatsächlich in seine Crew auf ... als Co-Pilot wahrscheinlich. In welcher Phase ist die Kontrolle der Mannschaft am geringsten? Im Autobus, auf dem Weg zum Start, wimmelt es von Leuten. Vielleicht am Starttisch, bevor sie in den Fahrstuhl steigt. Aber wie sollte ich meinen Großvater und den Zähler dort hinbringen? Und was wurde in dem Fall aus Danilow und dem Jump-Navigator? Blieben sie im Startbereich zurück, wäre das Mord. Wenn die ›Energija‹ die Buran in den Orbit hochträgt, wird der Starttisch von einem Feuerfluss überflutet. Wenn wir sie aber laufen ließen, würden sie Alarm schlagen ...