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»Kommt es zu einer Kursüberschneidung?«

Alles ging viel zu schnell, als dass ich in Panik geraten konnte.

»Eventuell ...«

»Wie viel Zeit bleibt noch?«

»Plus zweihundert Sekunden bis zum Eintritt in den Orbit. Transaero, wir haben bereits offiziell Protest eingelegt ...«

Ich drückte auf den Knopf, mit dem ich den Lautsprecher abschaltete. Sollte die Gesellschaft doch später entscheiden, ob sie die Flugkontrolle von Hyxi vor ein interplanetares Gericht stellte. Ich musste jetzt meinen Hintern retten.

Das Jumper-Pult war mit einer transparenten Plastikscheibe abgedeckt. Ich klappte sie hoch und setzte den Generator in Betrieb.

Diese Arschgeigen! Diese verdammten Arschgeigen -denen ich nicht mal etwas vorwerfen konnte. Bis zum Jump hatte ich noch zwei Minuten. Aus Sicht der Außerirdischen reichte das vollauf, um dem Raumkreuzer auszuweichen.

Notjump!, gab ich ein. Ausgangspunkt: Hyxi. Zielpunkt: Erde. Selbstbestimmung des Zwischenpunkts. Toleranz ... Einen Moment stockte ich, während ich überschlug, was ich mir da maximal leisten konnte. Null Komma null drei Prozent ... Enter.

Entweder blieb ich unter den drei Hundertsteln, oder mir würde ein lustiges kosmisches Bockspringen bevorstehen.

Die Startrampe steuerte mich immer noch und gab mir die letzten Prozente orbitaler Geschwindigkeit. Hyxi dehnte sich zu einem gelb-weißen Hügel aus. Um mich herum gab es nichts als Dunkelheit und Sterne.

Der Sitz sackte unter mir weg, mein »Gravitationsindikator« - ein mit einer Angelschnur befestigtes Mäuslein aus weichem synthetischen Fell - schwebte durch die Luft. Die Rampe hatte sich abgeschaltet, und die Schwerelosigkeit nahm das Schiff in die zärtlichste Umarmung der Welt. Das war’s. Ich befand mich im freien Flug. Und -was am wichtigsten war - außerhalb der Atmosphäre. Jetzt konnte ich den Jumper einschalten, ohne mir darüber Sorgen zu machen, dass ein Teil des Planeten zusammen mit meinem Schiff auf Reisen ging. Abermals blickte ich auf das Radar.

Ein winziger Punkt leuchtete am äußersten Bildschirmrand. Ein großer Raumkreuzer. Ein sehr großer. Die kleinen, possierlichen Alari liebten gigantische Schiffe ...

»Komm schon!«, beschwor ich meinen Rechner. Die Meldung »Berechne Jump« auf dem Monitor flößte mir kein sonderliches Vertrauen ein. Manchmal dauerte eine solche Berechnung bis zu einer halben Stunde.

Der Punkt kam näher. Ich schätzte die Richtung ab, riss den Kopf herum und schaute nach vorn, in Flugrichtung. In dem Moment erspähte ich den fernen Schimmer über dem gebogenen Horizont.

Meine Fähre würde kaum so unglücklich fliegen, dass sie den Kreuzer frontal rammte. Aber das war auch gar nicht nötig. Näherte ich mich ihm bis auf acht Kilometer, würde mich der Energieschild des Kreuzers einfach zermalmen. Vielleicht würde ich auch bloß in den Bereich des gekrümmten Raums abdriften und die nächste Viertelstunde im Kielwasser des Kreuzers festhängen. In dem Fall würde das Shuttle bersten wie ein morsches Boot unter den Peitschenschlägen eines Tsunamis.

»Komm schon, du Miststück!«, schrie ich den Jumper an. Er schien mich irgendwie zu verstehen.

Berechnung beendet.

Ich guckte mir die Kursdiagramme gar nicht erst an. Den Blick fest auf den Raumkreuzer gerichtet, diese inzwischen mit bloßem Auge erkennbare Scheibe, entfernte ich die Verriegelung und drückte den Starter. Der Jumper fuhr sich leise surrend hoch.

Der alarische Kreuzer war wunderschön. Die Scheibe hatte einen Durchmesser von achthundert Metern und war mit Türmen bestückt, deren Funktion sich mir nicht erschloss. Vielleicht handelte es sich um Waffenstationen, vielleicht auch um Wohneinheiten. Welcher Mensch konnte sich schon damit brüsten, je auf einem Kreuzer der Alari gewesen zu sein? Falls mich mein Gedächtnis nicht im Stich ließ, war die Scheibe fünfzig Meter dick und wies an der Unterseite drei Gitter von Gravitationstriebwerken auf. Jetzt mussten sie mit einem fliederfarbenen Licht blinken, denn der Raum, welcher die Gigawatt Energie nicht ertrug, die in den Kosmos strömten, riss auf. Möge Gott verhüten, dass ich dieses Licht je sah!

Die Alari galten nicht als sonderlich kriegerische Rasse. Dennoch waren ihre Kreuzer hervorragend ausgestattet. Ich erinnerte mich an einen Dokumentarfilm, der uns während der Ausbildung gezeigt wurde: Zwei alarische Kreuzer, die einen Planeten in Staub verwandelten. Ein graziöser Tanz in den Umlaufbahnen, zarte Strahlen, die Streifen auf die Planetenoberfläche warfen, und matt orangefarbene Feuerwellen, die über die Kontinente wogten. Als die Alari irgendwann die Triebwerke des Schiffs dem Planeten zudrehten, hatte eine fliederfarbene Flamme den Bildschirm eingenommen. Danach gab es nur noch Staub und Asteroidenschwärme, in die sich der Planet verwandelt hatte. Steinbrocken, die an den Kraftschilden der Kreuzer verbrannten. Ein Inferno, geschaffen binnen weniger Minuten.

Wir wussten nicht mal, um welchen Planeten es sich handelte. Ob er bewohnt war oder nicht. Die Alari hatten uns die Aufzeichnung einfach so zur Verfügung gestellt, zur Kenntnisnahme.

Und wir hatten sie zur Kenntnis genommen.

Sahen sie mich jetzt, die Alari? Bestimmt. Ich schaute auf die Maus, die über dem Pult tanzte. Sie könnte als leicht verkleinerte Kopie eines Alari durchgehen. Wie komisch der Kosmos war - er hatte uns gelehrt, vor Mäusen Angst zu haben. Vor zwanzig Kilo schweren bepelzten Nagern, deren Kreuzer Planeten zerlegen.

Was ging ihnen durch den Kopf, wenn sie eine dieser Nussschalen von uns Menschen erblickten? Wenn ihnen diese Schiffe mit ihren Flüssigkeitsraketentriebwerken entgegenkamen? Erwarteten sie dann ein Feuerwerk? Jetzt leiteten sie jedenfalls kein Manöver ein. Seit ein paar Monaten schon krochen sie auf Hyxi zu, brachen sie sich stur durch den Raum. Nun träumten sie bloß noch davon, endlich festen Boden unter die Füße zu bekommen.

»Macht’s gut, Mäuse«, sagte ich, während ich den Knopf für den Jump drückte.

Der Jumper fiepte leise, als die Kondensatoren die angesammelte Energie auf die Antenne jagten. Anscheinend sollte ich das Glück haben, das Nichts zu sehen.

Der Raum um das Schiff öffnete sich und nahm meinen Vogel in sein Inneres auf.

Der Jump.

Schon richtig, wir waren die rückständigste Rasse in dieser Welt. Die primitivste.

Ein Jump. Das hieß gut zwölf Lichtjahre überwinden, die Strecke war konstant, blieb immer gleich, unabhängig davon, wie der Jumper konstruiert war oder welche Masse das Schiff hatte. Hier kam etwas zum Tragen, das in der Natur des Raumes selbst verankert und unveränderlich wie die Gravitationskonstante oder die Zahl Pi war. Deshalb sprang ich nicht Richtung Erde, denn die lag zu dicht an Sirius. Mein Shuttle driftete seitlich weg, verschwand in eine Gegend des Weltalls, von der aus die Entfernung zur Erde eben »gut zwölf Lichtjahre« betrug.

Der Jump.

Keine Zeit, keine Wahrnehmung. Nur Freude brachte er. Euphorie in Reinform. Funkelnde Dunkelheit, absolute Sicherheit und Ruhe. Sex, Drogen und Alkohol können abstinken im Vergleich zum Jump. Total.

Nur schade, dass ich nicht vor Glück stöhnen konnte.

Beim Jump existiert nämlich keine Zeit. Wir bewegen uns außerhalb des gewohnten Raums, und kein Chronometer ist in der Lage, jenen Zeitausschnitt einzufangen, in dem das Schiff die »gut zwölf Lichtjahre« zurücklegt. Subjektiv betrachtet dauert der Jump endlos.

Eine süße Ewigkeit lang ...

Und genau das ist es, was uns wieder und wieder ins All treibt. Nicht Geld und Orden locken uns, die von den Fluglinien und Regierungen großzügig verteilt werden.

Nicht die Exotik fremder Welten - denn die existiert im Grunde für uns gar nicht, da niemand den Raumhafen verlassen darf.

Nein, uns lockt die süße Ewigkeit des Jumps. Jene Euphorie, mit der sich kein terrestrisches Vergnügen vergleichen lässt.