Ich steckte die linke Hand in den Trichter am Pult. Nur eine Hand, als würde ich mich selbst daran erinnern, dass ich keinen vollständigen Kontakt herstellen wollte.
»Wie lange dauert der Flug?«
Etwa vier Stunden.
»Wie lang ist das?«
Hast du das Zeitgefühl verloren?
»Ja!«
Ich stelle die Information auf dem Bildschirm dar.
Beide Monitore leuchteten auf. Auf dem, der sich gegenüber dem freien Sitz befand, war nur graue Dunkelheit zu sehen. Aber auf dem vor mir prangte ein quadratisches Zifferblatt, unterteilt in zehn Sektoren. Über das Zifferblatt kroch ein Zeiger, zwei weitere verharrten reglos in ihrer Position.
Ein Tag - das ist die Phase, in der sich Die Heimat einmal um die eigene Achse dreht. Ein Tag besteht aus zehn Stunden. Eine Stunde aus hundert Minuten. Eine Minute aus hundert Sekunden. Eine vollständige Drehung des grünen Zeigers dauert hundert Sekunden. Eine vollständige Drehung des blauen Zeigers hundert Minuten. Eine vollständige Drehung des roten zehn Stunden.
Wie einfach und natürlich das war! Anders konnte es ja gar nicht sein. Aber selbst das hatte ich vergessen!
Ich zog die Hand aus dem Trichter und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Nein, ich würde nicht wieder normal werden. Niemals mehr. Ich war krank, unvollkommen, ein Krüppel, nur noch des Mitleids meiner Gefährten würdig. Selbst wenn ich nach Hause käme, würde ich die mir bekannten Gesichter nicht erkennen. Ich würde meine Welt neu entdecken müssen. Mir einen neuen Platz im Leben suchen müssen.
Vielleicht in ein paar Jahren ... ein Jahr - das ist der Zeitraum, in dem Die Heimat um Das Mütterchen kreist ... immerhin, an etwas erinnerte ich mich ja doch noch ... in ein paar Jahren würde ich gelernt haben, normal zu sein. Genauer gesagt, es würde so wirken. Denn stets würde ich mich an diesen Moment erinnern, an dem ich das Zifferblatt gesehen habe und es mir komisch und dumm vorkam, dass ein Tag zehn Stunden hat, eine Stunde hundert Minuten ...
Ich steckte die Hand in den Trichter.
»Mein Gedächtnis und mein Wahrnehmungsvermögen sind ernsthaft gestört«, sagte ich. »Es ist richtig, dass du meine Befehle nicht befolgst, Bordpartner. Ich muss auf die Hilfe der Spezialisten warten.«
Eine tapfere und weise Entscheidung.
»Ich möchte mich an so viel wie möglich erinnern, Bordpartner. Teil mir mit, warum ich in den Kosmos aufgebrochen bin.«
Du gehörst zur Fernaufklärung.
»Die Wesen, die uns beide gefangen gehalten haben -sind die auf Der Heimat bekannt?«
Dazu liegen keine Daten vor. Deshalb nehme ich an, dass sie es nicht sind.
»Wie bin ich in Gefangenschaft geraten?«
Wir sind auf ihre kleinen Schiffe gestoßen. Du hast beschlossen, Kontakt aufzunehmen, indem du eines der Schiffe kaperst und nach Heimat bringst, damit dort freundschaftliche Beziehungen hergestellt werden können.
»War das ... eine richtige Entscheidung?«
Ja. Die empfohlene Prozedur zur Herstellung des ersten Kontakts sieht vor, einen einzelnen Vertreter der fremden Rasse in seine Gewalt zu bringen.
»Warum sind wir dann in Gefangenschaft geraten?«
Es sind neue Schiffe aufgetaucht. Sie besaßen große Feuerkraft. Fluchtbedingungen waren nicht gegeben. Unsere Energie war verbraucht. Wir wurden von dem größten Schiff des fremden Geschwaders geschluckt.
»Und weiter?«
Du hast die Verschmelzung unterbrochen und bist ausgestiegen, um einen Friedensprozess einzuleiten. Doch man hat dich angegriffen. Du hast das Bewusstsein verloren. Eine nicht-standardgemäße Anwendung der Bordmittel hätte zu deinem Tod geführt.
»Und dann?«
Es ist nichts passiert. Da keine Daten über deinen Tod vorlagen, habe ich weiter funktioniert. Sieben ganze Tage und viereinhalb Stunden bist du fort gewesen.
»Haben sie versucht, in dich einzudringen?«
Nein.
»Also besitzen die Nicht-Freunde keine Informationen über Die Heimat? Es besteht keine Gefahr?«
Höchstwahrscheinlich nicht.
»Ich werde warten«, versicherte ich. »Zu Hause wird man mir helfen. Bestimmt.«
Ruh dich aus. Du brauchst Ruhe für die Regeneration deines Organismus.
Ich berührte mein Gesicht. Die Wunden bluteten schon nicht mehr, sondern hatten sich geschlossen, ohne dass ich es gemerkt hätte. Dafür hatte ich gewaltigen Hunger.
Essen findet sich im Container zwischen den Sitzen. Ich öffne ihn.
Ein ovaler Behälter zwischen den beiden Sitzen öffnete seine Blütenblätter - ebenso, wie sich die Schutzhülle des Schiffs geöffnet hatte. Sein Inneres barg mehrere zylindrische Container. Ich befolgte die Anweisungen meines Bordpartners und öffnete einen, indem ich von der Oberseite eine hermetisierende Folie abriss.
Der Zylinder enthielt eine dicke, klumpige Flüssigkeit. Sowohl Essen als auch Trinken ... Freilich, es schmeckte besser als jener Dreck, den mir die Alari vorgesetzt hatten.
Ich aß etwas und versenkte den leeren Container in einer Luke, die mir mein Bordpartner ebenfalls geöffnet hatte. Zu gern hätte ich mich selbst mit allen Gerätschaften vertraut gemacht, schließlich war ich noch vor siebeneinhalb Tagen ein richtiger Pilot gewesen ...
»Wie habe ich dich früher genannt, Bordpartner?«
Partner. Einfach Partner. Das ist die übliche Form.
»Ich werde mich regenerieren, Partner«, versprach ich. »Alles wird wieder gut.«
Ja. Jetzt ruh dich aus. Das ist ein ärztlicher Rat.
»Erzähl mir von Der Heimat. Ich erinnere mich an nichts.«
Das wird nicht empfohlen. Deine Behandlung nehmen die Spezialisten vor. Schlaf.
»Ich kann jetzt nicht schlafen«, beklagte ich mich. »Wirklich nicht.«
Ich werde dir helfen. Schließ die Augen und sei entspannt-wachsam. Lass die Hand im Trichter.
Ich gab mir alle Mühe einzuschlafen. Wie versprochen, hielt ich die Hand in die warme, elastische Flüssigkeit getaucht und ließ mir das wenige durch den Kopf gehen, das ich wusste. Wie ein Baby, das mit bunten Rasseln spielt - dem wenigen, das es in der ihm zugänglichen Welt gibt. All, Schiffe, Heimat, Alari, die Experten, die mir so ähnelten, Bordpartner ...
»Ich kann nicht einschlafen, Partner«, sagte ich und schlug die Augen auf.
Du bist gerade aufgewacht. Wir nähern uns dem System.
»Was?«
Der Bildschirm.
Die größte Rassel der Welt - das Sonnensystem - funkelte vor mir. Das warme gelbe Feuer Des Mütterchens, halb verdeckt von der Scheibe Der Heimat.
»Zuhause ...«, flüsterte ich. »Mein Zuhause ...«
Nein, ich erinnerte mich an nichts. Bis auf das Gefühl, dass ich das schon einmal erlebt hatte: Diesen Blick auf den näher kommenden Planeten. Die wachsende Vorfreude auf die Begegnungen, die Ruhe, die Sicherheit. Licht, das nicht verlischt.
Ich schluckte und beugte mich zum Monitor vor. Alles würde gut werden! Man würde mir helfen, ich würde mich an alles erinnern, am Ende über meine Ängste lachen, über meine Flucht ... Die dämlichen aggressiven Alari würden unsere Freunde werden - so war es schließlich immer gewesen. Wir würden gemeinsam über die Fehler bei unserer ersten Begegnung lachen.
Das Komitee für Fernaufklärung ist informiert. Wir setzen beim Haupterholungszentrum auf Der Heimat auf Man holt dich dort ab, Nik.
»Vielen, vielen Dank, Partner!«, sagte ich. »Wir werden wieder zusammen fliegen!«