Wie gern hätte ich mich an sie erinnert!
Ich betrachtete Katti, ihr schmales, zartes Gesicht, die kurz geschnittenen braunen Haare, den zerbrechlichen Körper. Ihr Anblick war weitaus angenehmer als der der anderen. Sogar angenehmer als der jener Frau der fremden Menschen, die auf dem alarischen Schiff zurückgeblieben war ...
»Ich erinnere mich nicht«, gestand ich. »Aber ich glaube, dass ich dich gekannt habe. Verzeih.«
»Macht nichts, Niki.« Sie machte eine aufmunternde Kopfbewegung, dennoch legte sich Kummer in ihre Augen. »Das kommt alles wieder.«
Der Alte hüstelte. »Rimer.«
»Ja?«, reagierte ich.
»Man hat uns erlaubt, dich abzuholen. Das Komitee der Fernaufklärung erwartet jedoch einen detaillierten Bericht, weshalb ich mich daran erinnern musste, wie du früher warst ... und mich jetzt auf meine Pflichten besinnen muss. Ist mit deinem Schiff alles in Ordnung?«
»Ihm geht es viel besser als mir.«
»Wenigstens etwas. Es hat uns bereits derart umfangreiche neue Informationen zukommen lassen, dass alle Dienste vollauf beschäftigt sind. Han! Untersuch das Schiff! Bring es in die Box und nimm es vollständig auseinander! Versichere dich, dass keine Artefakte eingeschmuggelt wurden! Kontrolliere, ob jemand in das Bewusstsein des Bordpartners eingedrungen ist! Gründlich! Wenn alles in Ordnung ist, wird das Schiff eingeschmolzen. Und alle Messgeräte, die mit ihm Kontakt hatten, ebenfalls.«
»In Ordnung, Ausbilder. Wird erledigt.« Han lächelte und setzte sich in Bewegung.
Ich war völlig konfus und wusste nicht, was ich überhaupt sagen sollte.
Daran hatte mein Bordpartner also gedacht, als er behauptet hatte, die Chance einer Wiederbegegnung sei äußerst gering!
»Wir sehen uns heute Abend«, bemerkte Han, als er an mir vorbeiging. Aus irgendeinem Grund hatte ich erwartet, er würde mir auf die Schulter klopfen oder mich sonst irgendwie berühren. Aber das tat er nicht.
»Bist du verwirrt?«, fragte Fed. Er hatte mich nicht einen Moment aus den Augen gelassen. Offenbar vermochte er gut in meinem Gesicht zu lesen.
»Es ist alles neu, Ausbilder«, antwortete ich. »Irgendwie ... ganz ungewohnt.«
»Deine Kleidung, Nik - woher kommt die?«
»Es ist ein Geschenk einer fremden Rasse, die uns ähnelt. Es waren drei Personen: ein junger Mann, eine junge Frau und ein Alter. Sie haben mir bei der Flucht geholfen und mir eine Waffe sowie diese Kleidung gegeben.«
»Das Schiff hat uns darüber nichts mitgeteilt.«
»Es wusste nichts davon.«
»Gehen wir. Nik, Kinder ...«
Wir entfernten uns vom Schiff. Die Kuppel hatte sich bereits über dem ins Cockpit eingestiegenen Han geschlossen, jetzt flog das Schiff langsam und nicht sehr hoch über das Feld dahin. Ich sah ihm nach, dann zog ich mir die Jacke aus und warf sie mir über den Arm. Es war heiß, über dem Landefeld prangte ein wolkenloser Himmel, und Das Mütterchen leuchtete überall. Der Alte ging uns voran, vertieft in seine Gedanken, wir drei folgten ihm.
»Sind sie uns wirklich ähnlich?«, fragte Tag.
Ihn interessierte das sehr. Er brannte förmlich vor Neugier. Katti schien mein Zustand zu beunruhigen, was Fed umtrieb, ließ sich nicht abschätzen. Tag jedoch interessierte sich vor allem für die Neuigkeiten über die fremden Menschen.
»Ja. Sie sind uns ziemlich ähnlich.«
»Auf dem Niveau der Physiologie und Anatomie sind Unterschiede ja nicht so ungewöhnlich«, meinte Tag seufzend. »Aber was das Genom angeht ... Interessant ist das natürlich. Das ist also ihre Kleidung? Darf ich mal?«
»Klar.« Ich hielt ihm die Jacke hin. Tag wirbelte sie in den Händen herum und deutete mit einer komisch wirkenden Geste an, er wolle sie sich über die Schultern werfen. Schließlich steckte er einen Finger in die Risse an der Brust, die die Zähne der Alari hinterlassen hatten.
»Ziemlich unbequem«, urteilte er. »Schwer, nicht reißfest, aus einzelnen Stoffteilen zusammengesetzt. Lauter Nähte. Solche Sachen trugen unsere Urahnen. Wie hast du sie so zugerichtet?«
»Ich wurde angegriffen.«
Tag schnalzte mit der Zunge und zupfte das Tuch um seinen Hals zurecht. »Ist dir nicht warm in diesem Zeug, Nik?«
»Doch«, sagte ich.
Wir gelangten zu einer flachen weißen Plattform. Im ersten Moment glaubte ich, sie stünde im Gras, dann bemerkte ich jedoch, dass zwischen der Erde und dem Boden der Plattform ein schmaler Spalt klaffte. Alle kletterten auf die Plattform. Der Alte hockte sich auf sie, Katti nahm eine halb liegende Position ein, Tag schlug die Beine unter. Ich setzte mich ebenfalls auf die Plattform.
»Jetzt fahren wir zu Tag und bringen in Erfahrung, was mit dir passiert ist.« Fed sah mich streng an. »Hast du Angst?«
»Wovor?«, fragte ich ratlos.
»Davor, dass man dich, wenn alles in Ordnung ist, zum Umschmelzen schickt!«, bemerkte Tag lachend. Fed lächelte, selbst auf Kattis Gesicht zeichnete sich ein Lächeln ab.
»Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, womit ich rechnen soll«, gab ich zu. »Es hat mich verblüfft, von der Umschmelzung des Schiffs zu hören. Ich erinnere mich wirklich an nichts mehr.«
Das Lächeln verschwand vom Gesicht des Alten. »Nik, alles wird gut werden.«
Diese Beschwörungsformel war ich allmählich leid ...
»Du glaubst mir doch?«
»Wahrscheinlich schon.«
Fed seufzte. »Ein Ausbilder, dem man erklärt, man glaube ihm wahrscheinlich schon, sollte sich fortan damit befassen, den Strand von Abfällen zu säubern ... Aber ich nehme es dir nicht übel, Nik. Du bist ein besonderer Fall. Glaube mir.«
Die Plattform setzte sich in Bewegung - vermutlich weil ihr jemand einen mentalen Befehl erteilt hatte. Sehr schnell erreichten wir eine beachtliche Geschwindigkeit, aber irgendein Feld schwächte den Luftstrom zu einem leichten, angenehmen Wind ab.
»Han überprüft dein Schiff«, erklärte Fed. »Er ist ein sehr guter Spezialist für intelligente Systeme, du hast dich auf diesem Feld nie mit ihm messen können ...«
Ich hüllte mich in Schweigen.
»Und Tag überprüft dich. Er ist auf die nicht-menschlichen Lebensformen spezialisiert.«
Den Sinn dieser Aussage erfasste ich nicht auf Anhieb. »Ausbilder ...«
»Nik, ich bin mir so gut wie sicher, dass du du bist. Ich kenne dich, seit du sechs Jahre alt warst. Aber du musst die Situation begreifen. Wir befinden uns jetzt hier, in einem fremden Raum. Dass Das Mütterchen nach wie vor über Der Heimat und den Planeten der Freunde scheint, ändert nichts an dieser Tatsache. Wir leben in einer fremden Welt. Und wie diese ist ... besser als unsere bisherige oder grausamer ... lässt sich nicht einschätzen. Wir Menschen müssen uns davon überzeugen, dass du kein Fremder bist. Es ist fast eine Woche vergangen, seit du zu deinem Erkundungsflug aufgebrochen bist. Neun Tage! Du warst in Gefangenschaft! Und wer aus der Gefangenschaft zurückgekehrt ist, wissen wir noch nicht.«
»Das ist Nik, Ausbilder!«, mischte sich Katti ein. »Das kann ich reinen Gewissens sagen! Als Ärztin und ... als Freundin.«
»Auch ich bin dessen ja fast sicher«, beteuerte Fed. »Aber eben nur fast.«
Mir war, als habe man eiskaltes Wasser über mich gegossen.
Nach Hause zu kommen und zu erfahren, dass man dich verdächtigt, ein Fremder zu sein! Ein Regressor der Nicht-Freunde!
Ich legte mich auf den Rücken und betrachtete die gleichmäßigen Wolkenstreifen. Das Licht Mütterchens ließ mich blinzeln. Die fliegende Plattform vibrierte leicht unter mir.
»Verzage nicht, Rimer«, mahnte mich der Ausbilder streng. »Verzage nicht!«
»Niki, sollte ich herausfinden, dass du ein Fremder bist, wäre ich bereit, meine ganze Sammlung zu fressen!«, tröstete mich auch Tag. Er saß da, kaute auf einem Grashalm, den er unterwegs herausgerissen hatte, und wirkte völlig ruhig.