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»Die Nahen Freunde?«, fragte ich.

»Genau. Aber wir sind auch auf Unverständnis gestoßen, auf Nicht-Freundschaft. Und es hat Opfer auf unserer Seite gegeben. Die Ausbilder hatten jedoch inzwischen das Konzept der Freundschaft ausgearbeitet. Und damit haben wir die Nahen Freunde gewonnen.«

»Wer sind sie?«, wollte ich wissen.

»Dreh dich mal um.«

Der Vorschlag ließ mich zusammenfahren. Langsam drehte ich mich um.

Die Menschen an den Tischen, die jungen Kellnerinnen ...

»Sind sie uns ähnlich?«

»Du machst es einem wirklich nicht leicht ...«, gestand Tag schuldbewusst. »Manchmal schließt du Wissenslücken sofort. Und manchmal ... Ja, vor allem deine visuellen Erinnerungen haben gelitten. Ins Becken musst du sehen ...«

Ich schaute in das funkelnde, türkisfarbene Wasser. Am Boden registrierte ich eine kaum merkliche Bewegung. Etwas Langes, Schmales ...

»Sie haben keine Lautsprache«, teilte mir Tag leise mit. »Hören können sie allerdings. Und sie reagieren hervorragend auf Vibrationen. Es wäre sinnlos, ihre Eigenbezeichnung zu übersetzen, sie klingt wie Menschen. Deshalb nennen wir sie die Wendigen.«

»Die Wendigen und die Kleinen«, sagte ich. »Stimmt’s?«

»Ja. Aber die Kleinen gibt es auf Der Heimat fast nicht, die Bedingungen hier sind zu hart für sie. Du musst sie dir schon auf dem Inneren Planeten ansehen. Oder in ihrer Botschaft.«

»Ich schaue sie mir lieber auf Abbildungen an«, erwiderte ich. Irgendwie vermittelte mir der träge über den Beckenboden dahingleitende Körper ein unangenehmes Gefühl ... Die Wendigen ...

Ich leerte mein Glas und löste den Blick von diesem Nahen Freund.

»Soll ich noch Wein bestellen?«, fragte Tag.

»Ja.«

Wir verließen das Restaurant um ein Uhr nachts. Wir hatten den Wein ausgetrunken und - von der Kellnerin mit einem Blick purer Missbilligung bedacht - eine weitere Karaffe bestellt. Außer uns orderte anscheinend niemand Wein. Das hinderte die Menschen jedoch nicht daran, sich zu amüsieren. Im Halbdunkel - beim Licht der bunten Lämpchen vom Becken und der Laternen, im Schein der in den Schalen schwimmenden Dochte -fingen einige an zu tanzen. Von irgendwoher erklang Musik, die Melodie erkannte ich nicht, das Motiv war jedoch leicht und rhythmisch. Tag schlug mir vor, mich am Tanz zu beteiligen, doch ich lehnte ab. Ich traute meinen Fähigkeiten nicht, mich dieser komplizierten Bewegungen zu erinnern.

Auch tanzen würde ich neu erlernen müssen. Vieles würde ich neu erlernen müssen.

Wir brachen mit den letzten Gästen auf. Hinter den Kellnerinnen glitt eine überdachte Plattform her, die Frauen sammelten das schmutzige Geschirr von den Tischen ein, löschten die Kerzen und nahmen auf den Plattformen Platz. Sie waren jetzt nicht mehr so munter, der Abend hatte sie geschafft.

»Haben sie es weit?«, fragte ich.

»Hundert, hundertzehn Minuten«, antwortete Tag gähnend.

»Gibt es denn keine schnellere Transportmöglichkeit?«

»Das ist eine Komponente der Vorbereitung-zur-Arbeit«, tadelte mich Tag. »Es gibt eine große Zahl von Berufen, die dir nur geringe Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung bieten. Die Persönlichkeit muss auch auf ein solches Schicksal vorbereitet sein. Was ist? Tun dir die Mädchen etwa leid? Sie können sich ausschlafen ... einmal in der Woche in die Stadt fahren ... das ist so schlecht doch nicht. Nik ... Niki ...«

»Was bin ich nur für ein Idiot.«

»Das gibt sich!«

Wir kamen schnell zum Wohnheim. Bereits nach fünf Minuten hielt der Wagen vor einem flacheren, nur vierstöckigen Haus in Hufeisenform. In manchen Fenstern brannte Licht, über den Eingängen leuchteten grelle Lampen. Trotzdem herrschte absolute Stille.

Bevor wir aus dem Wagen stiegen, berührte Tag das Terminal. »Ich lösche den Auftrag«, erklärte er mir. »Wir brauchen jetzt ja kein Transportmittel mehr ...«

Ich schwieg, um nicht wieder irgendeinen Unsinn von mir zu geben, und folgte ihm. Wir hielten auf den zweiten Eingang von links zu. Eine Tür gab es nicht, aus einer nicht zu erkennenden Ritze strömte jedoch warme Luft, die das Innere von der Straße trennte. Sobald wir durch diesen Vorhang traten, ging das Licht an.

Eine kleine runde Halle. Ein paar Sessel, ein Tisch, ovale Bildschirme, eingelassen in die Wände. Einer lief, über ihn krochen Textzeilen. Vermutlich handelte es sich um ein Informationsterminal mit den neuesten Nachrichten.

»Nach oben«, sagte Tag, während er schon die schmale Treppe hinaufstieg.

Ich stapfte hinter ihm her. Zwei Schritte von uns entfernt befand sich ein Fahrstuhl, aber Tag wollte ihn offenbar nicht benutzen. Ob sich das nicht gehörte, wenn kein Notfall vorlag?

Jedes Stockwerk verfügte über einen schmalen Korridor, von dem ein Dutzend Türen abging, vermutlich in die Zimmer. Und zum Fahrstuhl ... Vielleicht wohnten wir ja gar nicht weit oben?

Im dritten Stock verwarf ich diese Hypothese. Tag deutete mit einer Kopfbewegung zu einer der Türen. »Das ist mein Zimmer«, informierte er mich. »Du wohnst im vierten Stock ... Wart mal. Leg die Hand hier drauf.«

Ich berührte mit der Hand seine Tür, und sie sprang einen Spalt auf. Im Zimmer schaltete sich das Licht ein.

»Das Schloss hat dich erkannt«, stellte Tag zufrieden fest. »Na, dann komm, ich bring dich zu deinem Zimmer.«

Tag wohnte unmittelbar neben der Treppe, ich am Ende des Gangs. Er öffnete meine Tür ebenso problemlos, wie ich die seine geöffnet hatte.

»Unabhängig von dir können der Ausbilder, Han und ich rein ... und vielleicht Katti?« Er grinste unverschämt. »Und natürlich alle, für die du das gegebenenfalls eingerichtet hast. Geh rein!«

Ich betrat mein Zuhause. Mein unbekanntes Zuhause ...

Das Zimmer war quadratisch, relativ groß, zehn mal zehn Schritt. Außer der Tür, durch die wir gekommen waren, gab es noch eine.

»Das ist das Bad«, erklärte Tag, als er meinen Blick auffing. »Soll ich dir erklären, wie da was funktioniert?«

»Ich glaube, daran werde ich mich erinnern«, lehnte ich ab. Tag lachte.

An einer Wand stand unterm Fenster das Bett. Meiner Ansicht nach war es ziemlich schmal und viel zu niedrig. Aber woher wollte ich eigentlich wissen, wie Betten zu sein hatten? Jenes Podest, auf dem ich bei den Alari geschlafen hatte, hatte ja in erster Linie dazu gedient, mich festzuschnüren, dann noch als Detektor, der meinen Körper erkundete, aber nicht als Möbel.

Was mich befremdete, war, dass es mir gefiel, unterm Fenster zu schlafen.

Die ganze gegenüberliegende Wand nahmen Regale ein. Halb leere, hier und da ein Stapel Bücher - alles sehr schmale Bände -, ab und an ein Stein von bizarrer Form, sorgfältig zusammengelegte Kleidung, eine Schale aus gelbem Metall mit geschwärzter Intarsienarbeit ... Alles sichtbar, alles extrem akkurat, aber die Freigabe zur allgemeinen Betrachtung löste einen gewissen Schmerz in mir aus, ebenso wie das Übermaß an ungenutzter Fläche und die nahezu zwanghafte Ordnung. Ich glaubte, meine Sachen momentan nicht mit dieser Pedanterie zusammenlegen zu können. Dann gab es noch einen völlig leeren Tisch und zwei Stühle. In die Wand war ein Bildschirm eingelassen, der aber gerade ausgeschaltet war, dazu gehörte ein Terminal.

»Ich zeige dir jetzt, wie die Bücher benutzt werden«, sagte Tag. Er durchforstete den Stapel und zog eines heraus. »Genau das, was wir brauchen! Ein Einführungskurs in das Regressorentum! Das vermittelt dir nützliches Wissen und Geschichtskenntnisse in einem!«

Er kam zu mir und schlug das Buch auf.

Assoziationen stellten sich bei mir keine ein ...

Das Buch war aus Plastik. Es bestand einzig aus dem Umschlag. Die Innenseite war hellgrau und leer. Die oberen Ecken des Umschlags wirkten allerdings leicht abgerieben ...