Ob sich die Regressoren auch jene Wesen, die uns so ähnelten, vornehmen mussten? Oder reichte deren Verstand, um unsere Hilfe freiwillig anzunehmen?
Ich wusch mir die Hände, entschied mich nach kurzem Zögern, gleich vom ersten Abend an die richtige Lebensweise zu praktizieren, und machte mich mit den Mechanismen der Dusche vertraut. Nach ein paar Minuten, nachdem ich mich zweimal mit Wasser übergössen hatte -erst mit eisigem, dann mit kochend heißem -, kam ich mit ihnen zurecht. Ich zog mich aus - etwas spät, nach zwei unfreiwilligen Duschen -, stieg in die Wanne und wusch mich sorgfältig.
Die nassen Sachen akkurat zusammenzupacken - das wäre natürlich idiotisch gewesen. Daher verteilte ich sie auf den Regalen, damit sie bis zum Morgen trockneten, kroch unter die Bettdecke und schlief ein. Ich war derart müde, dass mich nicht einmal die winzigen Maße des Kissens störten.
Ich träumte etwas, einen typischen Traum-zur-Diskussion-mit-dem-Ausbilder. Einen schrecklichen Traum.
Eine amöbenartige flüssige Kreatur kroch in mich hinein, floss durch meinen Körper, streckte ihre Fühler nach meinem Herzen und meiner Leber aus und trübte mit ihrem Gift mein Gehirn ... Ich wälzte mich auf einer unebenen Metallplatte, um mich herum standen alptraumhafte Wesen, unter ihnen auch ein Mensch, ein alter Mann, mein Ausbilder, auch wenn er nicht wie Fed aussah ...
Ich ertrug alles, was mit mir geschah, ertrug es, weil es nötig war und mein Verstand begriff: Mein ganzes Leben, mein ganzer Schmerz - die sind nur Staub im Wind des Schicksals, ein Partikel, nicht der Aufmerksamkeit wert ...
»Nik! Niki!«
Die Kreatur kroch in mir herum, machte sich daran, jede Zelle meines Körpers zu untersuchen, jeden Nerv und jeden Muskel, was durchaus nicht immer schmerzhaft, aber immer eklig war ...
»Niki!«
Ich stöhnte und wachte auf.
Katti saß neben mir am Bett und studierte besorgt mein Gesicht.
»Du hast geweint«, sagte sie. »Du hast im Schlaf geweint, Niki ...«
Ich schluckte, denn mein Hals war völlig ausgetrocknet, und mein Herz hämmerte wie irrsinnig in der Brust.
»Niki ...«
»Was ... was machst du hier?«
Na toll! Etwas Klügeres hätte ich mir wohl nicht einfallen lassen können!
Katti zuckte zusammen, als hätte ich sie geschlagen. Sie wollte schon aufstehen.
»Warte.« Unwillkürlich griff ich nach ihrer Hand. »Verzeih mir. Mir war schlecht. Du hast mir geholfen, danke. Ich habe mich nur gewundert, wie du hereingekommen bist.«
»Dein Schloss kennt mich.« Sie betrachtete leicht verwundert meine Hand. »Niki, wir waren doch schließlich ... Freunde ... Einen fröhlichen Morgen, Nik!«
Sie sah sehr gut aus. Nur diese Igelfrisur ... die gefiel mir überhaupt nicht. Dafür hatte sie sehr gute Augen, ein schönes Gesicht, einen halbnackten Körper. Heute hatte sie einen kurzen Rock an, und das Band, das Frauen statt eines Hemdes trugen, war ganz schmal und fast durchsichtig.
Bestimmt hatte ich sie früher wirklich geliebt.
Und ich war bereit, mich hier und heute sofort wieder in sie zu verlieben.
Etwas in meinem Kopf hakte sich fest: In dem vergeblichen Versuch, die eigenen Wünsche zu verstehen, musste ich in eine logische Sackgasse getreten sein.
Was sollte das? Nicht einmal die Worte reichten!
Zum ersten Mal weigerte sich mein »Reservegedächtnis«, mir zu erklären, was ich eigentlich wollte.
»Katti ...«, flüsterte ich hilflos. »Ich ... ich liebe dich.«
Sie entspannte sich sofort und lächelte sogar.
»Ich liebe dich auch, Niki. Alles ist gut. Du bist bereits auf dem Weg der Besserung.«
Vorsichtig zog sie die Hand aus der meinen und berührte meine Stirn.
Prompt fiel mir jene fremde Frau ein und ihre scheue Geste ...
»Deine Temperatur ist normal«, konstatierte Katti.
Hätte sie doch bloß geschwiegen!
»Steh auf, du Faulpelz!«, forderte sie mich munter auf. »Dir ist erlaubt, im Bett zu liegen, aber du solltest das nicht ausnutzen!«
Sie erhob sich und zog mir die Bettdecke weg.
So schnell, dass ich sie nicht festhalten konnte.
Und gestern Abend hatte mir doch die Kraft gefehlt, frische Unterwäsche zu suchen!
»Wasch dich und zieh dich an«, sagte Katti völlig unerschüttert. »Du hast gestern deine Sachen nicht in den Reinigungstrakt gebracht, ich habe sie für dich dort abgegeben. Und jetzt hoch mit dir!«
Ich setzte mich im Bett auf, was überraschend unbequem war, als hätte man ihm die Beine abgesägt, so dass es niedriger als normal war. Nachdenklich schaute ich Katti an.
Meine Nacktheit irritierte sie überhaupt nicht - im Unterschied zu jener fremden Frau. Fand man hier also nichts dabei?
Aber welches Verhalten stimmte dann nicht?
Warum konnte ich mich einfach nicht durchringen aufzustehen?
»Nimm eine kalte Dusche«, riet mir Katti. »Du hast einen Hormonschub. Das hat nichts zu bedeuten, dergleichen kommt nach Stresssituationen vor.«
Etwas in mir zerbrach. Ohne mich noch länger zu genieren, stand ich auf und ging ins Bad. Dort stellte ich, dem ärztlichen Rat folgend, das kalte Wasser an und ließ mich berieseln. Aus winzigen Löchern in der Decke ergoss sich echter Regen über mich, ich drehte mich in ihm, hob die Hände und fing die kalten Tropfen auf. Irgendwann lehnte ich mich mit der Stirn gegen die glitschige Wand und erstarrte.
»Ich habe dir deine Sachen gebracht«, teilte Katti freundlich mit, als sie das Bad betrat. Die Badezimmertür ließ sich nicht abschließen. Vielleicht hatte ich aber auch nur den Mechanismus des Schlosses nicht durchschaut. »Geht es dir gut? Tag hat gesagt, ihr habt zwei Karaffen Wein getrunken. Er leidet an einer leichten Vergiftung ...«
»Mit mir ist alles in Ordnung«, erwiderte ich, ohne mich umzudrehen.
»Deine Bioabwehr ist besser«, vermutete Katti. »Dein Organismus hat die toxischen Stoffe problemlos abgebaut.«
»Katti, ich leide an psychischen Störungen«, bemerkte ich. »Mir ist ... ich bin ...«
Sie wartete geduldig, während ich nach Worten suchte.
»Ich verspüre ein gewisses Unbehagen, wenn ich nackt neben dir stehe!«, brachte ich schließlich heraus.
»Das passiert dir nur mit mir?«, erkundigte sie sich sachlich.
»Also ... ich glaub schon. Gestern, bei der Untersuchung, habe ich dieses Unbehagen auch jedes Mal empfunden, wenn du mich angesehen hast.«
»Keine Sorge. Das ist eine bekannte Erscheinung. Eine psychische Regression. Sie tritt mitunter bei Kindern während der Adoleszenz auf, manchmal auch unter starkem Stress. Es gibt dafür einen Fachausdruck: Schamhaftigkeit.
Normalerweise ist die Schamhaftigkeit aufs andere Geschlecht gerichtet.«
»Und was soll ich jetzt machen?«, fragte ich begriffsstutzig.
»Das geht vorbei. Wir müssen die bei dir aufgetretene falsche Verhaltensform ändern. Wenn du willst, gehen wir zusammen in ein Dampfbad. Wir haben noch Zeit.«
»Das musst du wissen«, antwortete ich.
»Dann zieh dich an, und wir gehen zu Tag.«
Vielleicht war es eine Regression - aber ich entspannte mich erst, nachdem Katti das Bad verlassen hatte.
Tag fühlte sich wirklich miserabel.
»Alkoholhaltige Getränke müssten verboten werden«, brummte er, während er durchs Zimmer tigerte. Bei ihm herrschte die gleiche penible Ordnung wie bei mir, allerdings besaß er mehr Sachen. Vor allem Photographien von entsetzlichen Monstern, die an den Wänden hingen, und allerlei unappetitliche Substanzen in breiten, flachen Gefäßen. »Das ist Gift. Ich werde ein Gesuch beim Weltrat einreichen, im Namen des ganzen Instituts ...«
»Warte damit noch ein, zwei Tage, dann wirst du es dir überlegt haben«, lachte Katti. Sie saß in einem Sessel, heiter und sorglos. Ob sie vielleicht tatsächlich glaubte, mit mir käme wieder alles in Ordnung? Oder wollte sie mich nur aufheitern?