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Ich senkte den Kopf.

Wie fatal ...

Eine Persönlichkeit ist nicht nur der unverwechselbare Genotyp, die Ansammlung von Wissen und das System der sprachlichen Kommunikation. Das Wichtigste an einer Persönlichkeit ist ihre Beziehung zur Umwelt, das Repertoire an Reaktionen, das sich im Laufe des ganzen Lebens herausbildet. Hier wiederum kommt es vermutlich vor allem auf die Stringenz an, mit der man Erscheinungen der Umwelt beurteilt. Diese Fähigkeit muss sich in einem unkritischen, unbewussten kindlichen Alter herausbilden, zu einem Axiom werden, das keiner Beweise bedarf und keine Zweifel hervorruft. Alles andere wäre fatal.

Ich hatte meine Axiome eingebüßt. Die sozialen Normen, die man nicht zu hinterfragen braucht. Und jetzt war es fast unmöglich, sie zurückzugewinnen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als etwas vorzutäuschen.

»Niki!«

Ich sprang Tag und Katti hinterher von der Plattform. Der siebte Saal dürfte sich in der Mitte des Postaments befinden. Und das Postament, daran hegte ich nicht den geringsten Zweifel, befand sich genau in der Mitte des Kontinents. Und die Säule aus hellblauem Licht, die aus dem Boden schoss und in die Kuppel hochstieg, sie durchbohrte und himmelwärts strebte, war die Achse, um die sich das ganze Leben auf Der Heimat drehte.

Hier hatte sich die Menge deutlich gelichtet. Mit Sicherheit gehörte es sich nicht, diesen Saal ohne triftigen Grund aufzusuchen. An der Säule aus kaltem blauen Licht standen zwei Figuren. Ich erkannte den Ausbilder Fed und Han.

»Kommen wir zu spät, Ausbilder?«, rief Katti. Statt einer Antwort winkte er uns nur mit der Hand herbei.

Das blaue Licht verströmte Kälte. Ich fühlte mich immer unbehaglicher, bekam Angst. Sogar Katti und Tag wurden nervös, obwohl sie sich nicht vor dem Weltrat zu verantworten brauchten ...

»Ihr seid pünktlich«, bemerkte der Ausbilder, als wir näher kamen. »Guten Tag, Jungs. Hallo, Katti ...«

Als Han mir zuzwinkerte, nickte ich unbeholfen.

»Du siehst gut aus, Nik«, lobte mich der Ausbilder. »Katti, hast du ihm geholfen, sich einzukleiden?«

»Ja, Ausbilder.«

»Hervorragend. Ich frage mich sogar, ob du nicht doch eine gute Modedesignerin geworden wärst. Bisher hatte ich immer den Eindruck, du würdest auf überflüssige Accessoires wie Krawatten, Bänder oder etwas in der Art bestehen ...«

Katti senkte den Blick. »Ich hatte ein weißes Band gewählt, Ausbilder. Nik hat es von sich aus abgenommen.«

»Hatte ich also doch recht«, sagte Fed schlicht. »Was ist, Nik, mein Junge, gehen wir? Es wäre unschön, den Rat warten zu lassen. Aber wenn du nervös bist ...«

»Nein, ich bin bereit.«

»Gib mir deine Hand.«

Ich erlaubte ihm, meine Hand zu ergreifen. Was ist, Ausbilder, glaubst du etwa, diese Berührung würde mir Zuversicht einflößen und meine Angst vertreiben? Da irrst du dich, dafür bin ich nämlich viel zu krank. Denn ich sehe nichts Schlimmes in der nonverbalen Kommunikation, und ich gerate ihretwegen nicht in Verzückung.

Ich bin zwar Nik - und doch schon ein Fremder.

Einander an der Hand haltend, traten wir in die Säule aus blauem Licht hinein.

Ich erwartete eine Art Fahrstuhl, mit dem wir nach oben fahren würden. Vielleicht eine Plattform oder einfach ein Kraftfeld.

Aber das blaue Licht markierte lediglich die Zone einer augenblicklichen Raumverschiebung. Wir betraten eine große und luxuriöse Kabine. Hier musste der Ausbilder die Befehle geben, ich vernahm nicht einmal die Stimme des Steuerungssystems.

Das Licht um uns herum erlosch, zog sich zusammen, die schemenhaften Konturen des siebten Saals sowie die Gesichter von Katti, Tag und Han verschwanden. Ich meinte, wir stünden in völliger Dunkelheit, so grell und feierlich strahlte die Welt außerhalb der Verschiebungszone.

Vom Ausbilder an der Hand geführt, trat ich in den Sitzungssaal des Weltrats.

Die Wände hatten keine Konturen. Genauer gesagt, sie waren zu bizarr, als dass ich ihre Form hätte erkennen können. Ich spürte eher, als dass ich es wusste: der Sitzungssaal des Weltrats befand sich im Kopf der Statue des »allegorischen Ausbilders«. Das Fußbodenmosaik lag auf Kinnhöhe. Und da ... diese monströse Ausbuchtung ... das war seine Nase, dieser Vorsprung der halboffene Mund, die gerippte, kuppelartige Decke sein Haar. Die Figur war nur von innen durchsichtig, und auf irgendeine Weise strömte das Licht Des Mütterchens in den Raum.

Mir fiel das Dampfbad wieder ein.

Die Einrichtung selbst erinnerte allerdings eher an ein Restaurant. Hundert kleine Tische, an denen Menschen saßen, meist Ausbilder. Manche aßen etwas, manche unterhielten sich bei einer Karaffe Wein oder einer Tasse dampfenden Kaffees. Einzelne Gruppen stritten lebhaft.

Hier wurde das Schicksal Der Heimat entschieden?

Wie verzaubert folgte ich Fed. Unwillkürlich heftete ich den Blick auf zwei extrem groteske Figuren, einen auf einem kleinen Sofa ausgestreckten langnasigen Mann mit schmalem, dunklem Gesicht und gewaltigen Augenbrauen, der in trägem Ton mit einem vor ihm hockenden ... Kleinen Freund sprach! Der Außerirdische beschwichtigte den Mann oder stimmte seinen Worten zu, strich zart mit der grauen Pfote über den Ärmel der Jacke seines Gegenübers und sah ihm in die tief liegenden Augen. Allerdings fühlte sich der Kleine Freund im Saal wohl nicht recht wohl, denn er steckte das Maul immer wieder in die Atemmaske, die auf seiner Brust baumelte.

Und da war ein Wendiger Freund - er hatte sich auf einem Sessel zu einem Knoten eingerollt und den Rest seines Körpers auf dem Tisch platziert. Die hin und her schaukelnde graublaue Röhre erinnerte an einen abgehackten Hals. Ein lachender Dicker neben ihm beugte sich immer wieder zu dem Wendigen Freund vor und sagte ihm etwas ...

So darf man nicht denken! Es gehört sich nicht, den Freunden gegenüber spöttische oder feindselige Empfindungen zu haben!

Wir gingen zu einem Tisch, hinter dem zwei Leute saßen. Ein breitschultriger, hochgewachsener Mann mit abstehenden Haaren und eine alte Frau mit demselben Igelschnitt, wie ihn auch Katti trug. Zwei schlicht in gedeckte Farben gekleidete Menschen, die uns mit wohlwollendem Lächeln ansahen.

»Die Verdiente Ärztin Der Heimat Ana und der Kommodore der Fernaufklärung Big«, stellte mein Ausbilder mir die zwei vor. »Dich kennen die beiden.«

»Erinnerst du dich nicht mehr an mich, Niki?«, fragte die Frau.

Ich schüttelte den Kopf.

»Setz dich, mein Junge«, befahl sie.

Wir vier verteilten uns um den Tisch. Big goss mir ungefragt aus einer Karaffe etwas Wein ein und schob mir das Glas hin.

»Trink das, Niki. Entspann-dich-sei-wachsam. Du hast einiges durchgemacht ...«

»Seine Rehabilitation kommt gut voran«, berichtete Fed, der sich ebenfalls Wein eingoss. »Die Kinder sind hervorragend, sie helfen dem Jungen.«

»Ich kenne den Bericht des Schiffs und habe gehört, was du dem Ausbilder erzählt hast«, fuhr Big fort. »Dein Flug war das wichtigste Ereignis seit dem Tag des Aufbruchs.«

»Des Aufbruchs?«, fragte ich zurück.

Big sah den Ausbilder verständnislos an.

»Ich habe mich noch nicht mit Niki beschäftigt«, erklärte Fed ungerührt. »Zunächst sollte eine grundsätzliche Entscheidung über sein Schicksal getroffen werden.«

»Ja, sicher«, erwiderte Big seufzend. »Niki, für wen hältst du dich?«

»Für Niki Rimer, Pilot der Fernaufklärung, Progressor und Regressor.«

Sie erwarteten noch mehr.

»Nur eigne ich mich im Moment nicht für diese Arbeit«, fügte ich hinzu. »Alles ist weg. Alles ist verloren. Vielleicht bin ich einfach Niki Rimer, der sein Schicksal suchen muss.«

»Großartig, Niki.« Big atmete tief durch und schielte zu der Frau hinüber.

»Die Überprüfung wurde absolut korrekt vorgenommen, ich teile die Schlussfolgerungen des Instituts der Fremden Lebensformen uneingeschränkt«, brachte Ana sachlich heraus. »Ich halte weder einen Sanatoriumsaufenthalt noch eine Einschränkung der sozialen Rechte für nötig. Was jedoch die Rückkehr zu den bisherigen Berufen angeht ...«