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»War ich immer so ernst?«, fragte ich.

»Meist schon«, erwiderte der Ausbilder. »Selbst wenn du Unfug gemacht hast.«

Er schaute noch einen Moment auf das Photo von Inka, dann trat er ans Terminal und sagte mit aufgesetzter Munterkeit: »Also dann, Gruppe zwölf! Ihr seid für drei Tage Gäste des Internats!«

»Hurra«, brachte Han völlig ernst heraus.

»Den Gast aus ... äh ...«

»Gruppe sieben. Ausbilderin Seni Aruano«, erinnerte ihn Katti.

»Für den Gast aus Gruppe sieben gilt das ebenfalls.«

»Hurra«, bestätigte Katti.

»Eine vorübergehende Arbeit werden wir schon für euch finden.« Fed seufzte. »Eine medizinische Kontrolle kann nie schaden, genau wie ein Vortrag über fremde Lebensformen. Und du, Han, musst dich wohl mit unseren Steuerungssystemen befassen.«

»Ist hier immer noch der alte Kram installiert?«, erkundigte sich Han in sachlichem Ton.

»Wozu sollten wir uns hyperschnelle Anlagen zulegen«, erwiderte Fed achselzuckend. »Gut, und wo bringen wir euch unter ...«

Er berührte das Terminal. Der Bildschirm ging an.

»Euer Zimmer ist belegt«, teilte der Ausbilder bedauernd mit. »Meine Güte, ein Chaos ist das in dieser Gruppe ...«

Mit ein paar Schritten trat ich an den Tisch.

Auf dem Bildschirm war ein schmales, langes Zimmer zu sehen. Eine Aufnahme von oben. Vier Betten, auf zweien war Kleidung ausgebreitet. Hosen, Hemden, Unterwäsche. Ein durchbohrter kleiner Stein, aufgezogen auf einen Faden. Das Bild bewegte sich die ganze Zeit, kam näher, wich wieder zurück, erfasste die Wände, die Tür, die Fenster, als ob sich eine gierige und hartnäckige Kamera in einem fremden Haus umsah. Ein überfallartiger, schneller Schwenk auf ein aufgeschlagenes Heft. Die Kamera tastete die Zeilen ab und drehte sich, um besser lesen zu können. Anscheinend handelte es sich um Gedichte.

»Ihr Ausbilder ist ... Don ... glaube ich ...« Fed schielte zu mir rüber. »Was ist mit dir, Niki?«

Ich sagte nichts.

»Jetzt kommt übrigens dein erster Test.« Fed lächelte. »Was würdest du in dieser Situation machen, um die Kinder zur Ordnung anzuhalten?«

Das Bild veränderte sich erneut. Die Kamera schaute im Bad vorbei und hielt sich missbilligend über den zusammengeknautschten und in die Ecke geworfenen Socken auf ...

»Vor allem würde ich nicht in fremde Zimmer schauen«, flüsterte ich.

Tödliche Stille trat ein.

»Das ist kein fremdes Zimmer, Niki«, presste der Ausbilder in abgehackten Worten heraus. »Das sind die Schützlinge unseres Internats.«

»Wissen sie, dass sie beobachtet werden?«

»Selbstverständlich nicht!«

Die Kamera lugte angewidert ins Klo und zog sich aus der Toilette zurück.

»Das ist ekelhaft«, sagte ich. Ich drehte mich um, denn ich suchte in den Gesichtern meiner Freunde nach Unterstützung.

Aber darauf durfte ich nicht hoffen.

»Was ist ekelhaft, Niki?«, rief Fed aufgebracht aus. Das schlaffe alte Gesicht erzitterte in stummer Empörung. »Ist es ekelhaft, diesen minderjährigen Rangen zu verbieten, sich aus dem Internat zu stehlen und heimlich in den Weltraumbahnhof zu laufen? Ist es ekelhaft, ein Fehlverhalten gleich im Keim zu ersticken? Ist es ekelhaft, dafür zu sorgen, dass Kinder, die nach Mitternacht noch schwatzen, sich vor dem neuen wunderbaren Tag ausschlafen und dafür die Infrastrahlung einzuschalten?«

Ich hätte mich beinahe übergeben. Meine Hände zitterten. letzt glaubte ich gern, dass ich früher an Impulsivität gelitten hatte ...

»Es ist ekelhaft, jemanden auszuspionieren«, sagte ich. »Es ist ekelhaft, zu spionieren und zu befehlen. Sein Wissen auf Verrat aufzubauen, seine Güte auf Kontrolle.«

»Du hast unrecht, Niki«, brachte Han hinter mir brummig heraus.

»So geht das nicht, Nik!«, sprang ihm Tag bei. »Du musst dich entschuldigen ...«

Ich? Ich musste mich entschuldigen?

Nur Katti sagte kein Wort ...

»Wenn du Ausbilder bist«, sagte Fed leise, »wirst du das verstehen.«

»Ich werde nicht spionieren!«

»Dann kannst du den Kindern nicht helfen.«

»Dann werde ich eben kein Ausbilder!«

Der Alte schüttelte den Kopf. »Komm zu dir, Junge! Ich habe vor dem Rat für dich gebürgt!«

»Das war ein Fehler!«

»Du hast doch gewusst, dass das gesamte Internatsgelände überwacht wird! Alle erfahren das, sobald sie erwachsen sind! Alle verstehen, dass das nötig ist!«

»Ich bin nicht alle!«

»Wenn Seni Aruano nicht auf die Mädchen aufgepasst hätte, die ihre Puppen anziehen, und Katti nicht geholfen hätte, ihre Begabung als Ärztin zu entdecken und sich ihre künstlerische Unzulänglichkeit einzugestehen, dann wäre Katti heute eine untaugliche, unter der eigenen Unfähigkeit leidende Designerin!«, brüllte der Ausbilder. Er holte Luft. »Wenn ich deine jugendlichen Gedichte nicht gelesen hätte, wärst du zu einem nichtsnutzigen Dichter herangewachsen. Du hättest deine Gedichte öffentlich vorgetragen ...« Er runzelte die Stirn:

»Zu Tausenden fliegen Vögel gens Licht

Zu Tausenden stürzen sie zu Tausenden

zerschmettern sie

Zu Tausenden geblendet zu Tausenden verblutend

Sterben sie zu Tausenden ...«

»Wenn sie so talentlos waren«, entgegnete ich absolut gelassen, »warum erinnern Sie sich dann bis heute daran?«

»Es ist meine Pflicht, mich an sämtliche Fehler meiner Schützlinge zu erinnern!«

»Ich erinnere mich auch an das Gedicht«, mischte sich Katti unvermutet ein. »Wie heute erinnere ich mich noch daran, wie du es vorgetragen hast, Niki ...

Der Leuchtturmwärter kann’s nicht ertragen

Er liebt die Vögel zu sehr

Egal sagt er Jetzt reicht’s!

Und er macht alles dunkel

In der Ferne sinkt ein Schiff.

Ein Schiff von den Inseln kommend

Ein Schiff mit Vögeln beladen

Tausenden Vögeln von den Inseln

Tausenden Vögeln die ertrinken.«

»Das ist blanker Unsinn«, konstatierte der Ausbilder in scharfem Ton. »Und Katti erinnert sich nur daran, weil eure Beziehungen immer viel zu emotional waren. Natürlich hatte niemand etwas dagegen! Ihr wurdet für ein harmonisches Pärchen gehalten, und eure kindlichen Streiche ...«

»Sie sind ein Dreckskerl, Ausbilder«, sagte ich. Und gab ihm eine Ohrfeige.

Keine sehr heftige.

Denn ich wollte dem alten Mann keinen Schaden zufügen.

Doch in der sicheren Überzeugung, dass der Moment gekommen war, da ein leichter Schlag auf die Wange lange und wirre Formen der Darlegung bezüglich der empfundenen Antipathie ersetzte.

Fed taumelte, als hätte ich ihn mit voller Kraft geschlagen. Er presste die Hände vors Gesicht.

Mir selbst wurden die Arme auf den Rücken gerissen.

Ich schaute hinter mich. Tag und Han hielten mich unbeholfen, aber eifrig gepackt. Wo waren nur ihre Vorbehalte gegenüber jeder Form von Körperkontakt geblieben?!

»Das ist nicht nötig«, versicherte ich. »Ich habe nicht vor, noch einmal zuzuschlagen.«

Trotzdem ließen sie mich nicht los.

Es wäre ein Leichtes gewesen, mich loszureißen, die beiden abzuschütteln und ihnen heftige Schmerzen und Verletzungen zuzufügen.

Aber ich wollte meine Freunde nicht schlagen, selbst wenn sie im Unrecht waren.

»Tausenden Vögeln die ertrinken ...«, hauchte Katti, während sie langsam in die Ecke des Zimmers zurückwich. »Tausenden Vögeln die ertrinken ...«