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»Ja, schon gut. Wohin?«

»Zum Ausgang. Und dann zur Transportkabine.«

In dem Krankenhausblock, in dem der Karzer lag, herrschte gähnende Leere. Wir liefen an den durchscheinenden Wänden der Zimmer mit den sorgfältig gemachten kleinen Betten entlang, an dem großen, schneeweiß blitzenden Operationssaal, kamen in einen Gang, der bereits zum allgemeinen Internatsteil gehörte, und hielten auf die Tür zu. Unter der Kupferglocke am Eingang stand noch immer der kleine Junge. Er sah mich mit nahezu heiligem Entsetzen an.

Armer Lotti. Wie lange deine sinnlose Wacht am Internatseingang wohl noch dauern wird ...?

»Ri ... Nik, versprich mir, dass du nicht versuchst abzuhauen.«

»Warum das?«

»Ich will die Kinder nicht mit dem Anblick der Waffe erschrecken.«

»Gut«, lenkte ich ein. »Steck sie weg.«

»Aber ich kann sie jederzeit ziehen«, warnte mich Han.

Da fing ich an zu lachen. Was sollte das? Spielten sie selbst heute noch Regressor?

So verließen wir Mütterchens Licht, drei Freunde, einer lachend, die beiden anderen noch über den Witz grübelnd ...

Ich bedauerte ein wenig, dass Katti nicht noch kam. Dagegen freute mich, dass Fed weggeblieben war. Als wir den Waldrand fast erreicht hatten, blickte ich noch einmal zurück auf das Internatsgebäude und meinte, hinter dem flugs erlöschenden Fenster im dritten Stock die Figur des Ausbilders erkannt zu haben. Ob wir uns je wiedersehen würden?

Der Weg zurück zur Kabine kam mir kürzer vor. Da es bereits dämmerte, achteten Tag und Han darauf, sich dicht hinter mir zu halten. Die beiden waren nervös. Na klar, vielleicht würde ich mich plötzlich in das Wäldchen schlagen, mich dort verstecken und nachts die Kinder erschrecken, indem ich in dem friedlichen Park Geschrei und das Geräusch von Ohrfeigen produzierte ...

Das ist ein gutes Wort, Ohrfeigen. Wer sich das ausgedacht hatte ... Dehnbar und kränkend.

»Nik ...«, ließ sich Tag hinter mir zaghaft vernehmen. »Nik, hörst du mich?«

»Ja.«

»Wir werden versuchen, eine Revision der Entscheidung zu erlangen. In einem Jahr oder in zweien. Wenn deine Genesung Fortschritte gemacht hat.«

»Was ist ein Sanatorium, Tag?«

»Ein Ort, an dem asoziale Verhaltensformen behandelt werden.«

»Und wie?«

»Das weiß ich nicht, Nik.«

»Gibt es nur ein einziges Sanatorium für die ganze Heimat?«

»Natürlich nicht.«

»Das heißt, es gibt viele mit asozialen Neigungen?«

Lange Zeit sagte niemand ein Wort.

»Das wissen wir nicht, Nik«, räumte Han schließlich ein. »Es gehört sich nicht, darüber zu reden.«

»Ihr lebt ein bequemes Leben, Leutchen.«

Wenn ich mich nicht täuschte, seufzte einer der beiden.

»Du hast einen Fehler gemacht, Nik«, sagte Tag. »Du hast dich absolut unanständig verhalten. Direkt widerlich.«

»Ich werde ja Zeit haben, meine bisherige Meinung zu ändern. Oder zu festigen. Werdet ihr mich besuchen?«

»Ich weiß nicht, ob das erlaubt ist«, gab Tag zu.

»Verstehe. Wenn ihr wollt, bringt es in Erfahrung. Wisst ihr, wo ich hinkomme?«

»Dein Sanatorium heißt Frischer Wind. Das merken wir uns.«

»Ein schöner Name«, gab ich zu.

Durch die Bäume drang schwaches Licht. Die Kabine schimmerte, das Plastik leuchtete, es zuckten fliederfarbene Blitze darüber.

»In unserer Kindheit sind wir gern hierhergekommen«, sagte ich. »Wir haben uns im Gebüsch versteckt und dieses Licht beobachtet. Und davon geträumt, dass jemand ins Internat kommt und wir uns mit ihm unterhalten. Dass wir den Kopf gegen seine zärtliche Hand schmiegen. Vielleicht würden uns ja auch einmal unsere Eltern besuchen. Obwohl das absolut unwahrscheinlich war.«

Hinter mir breitete sich Stille aus.

»Du erinnerst dich daran?«, fragte Tag.

»Nein, Freunde. Ich weiß, dass es so gewesen ist.«

»Wieso das?«

»Weil ich ein kranker, asozialer Typ bin.«

Vor der Kabine blieb ich kurz stehen und genoss das Spiel des Lichts. »Welche Nummer hat die Kabine im Frischen Wind?«, erkundigte ich mich.

»Dort gibt es nur eine Kabine.« Tag druckste, bevor er verlegen hinzufügte: »Du kannst das Terminal nicht mehr benutzen. Dir wurden doch deine sozialen Rechte genommen.«

»Dann erledige du das.«

Er trat an die Kabine heran und berührte den Aktivator. Die Türen öffneten sich.

»Sehen wir uns noch mal?«, fragte ich.

Die beiden hüllten sich in Schweigen.

»Grüßt Katti von mir«, bat ich. »Sagt ihr, dass es mir leid tut, wie alles gekommen ist. Aber ich konnte nicht anders.«

»Aber warum? Warum, Nik?«, presste Tag mit gequälter Stimme heraus.

»Weil Mistkerle eins auf die Schnauze kriegen müssen. Ungeachtet der Folgen.«

Inzwischen war es völlig dunkel, und ich konnte ihre Gesichter nicht erkennen. Ich trat in die Kabine und hob die Hand zum Abschied.

Raumverschiebung ohne Rückkehr. Sanatorium Frischer Wind.

»Los schon, du Blechdose«, knurrte ich.

Unter mir flammte Licht auf, und die Dunkelheit außerhalb der Kabine verzog sich kurz.

Schon war ich da.

Das Sanatorium trug seinen Namen mit gutem Grund. Der Wind hier war frisch. Sogar sehr frisch.

Ich stand bis zu den Knöcheln im Schnee. Eishagel peitschte auf mein Gesicht ein. Meine Aufmachung war hier reichlich fehl am Platze. Aber ich sollte froh sein, dass ich nicht Shorts und ein kurzärmliges Hemd trug.

Der Zylinder der Transportkabine schien der einzige Hinweis auf eine Zivilisation in diesem endlosen Schneefeld zu sein. Graue Finsternis bedeckte den Himmel, nur im Westen schimmerte er unter den letzten Strahlen Des Mütterchens noch zart durch. Ich drehte mich nach links und nach rechts - in einem Anflug von Panik, dass sie genau das für mich vorgesehen hatten: Eine einsame Kabine mitten in einer Schneewüste. Und den Entzug der sozialen Rechte.

Meine Rechte hätten mir allerdings sowieso nichts genützt. In der Kabine gab es ja nicht mal ein Terminal. Ich war über eine Einbahnstraße hierhergekommen.

Ich machte einen Schritt, dann noch einen, spürte, wie mir trockener, loser Schnee in die Schuhe geriet. Ich sackte bis zu den Knien ein.

»Das darf doch nicht ...«, flüsterte ich. Alles war so dämlich, so hoffnungslos! »Ihr Mistkerle!«

In dem Moment sah ich einzelne Lichter, die sich in einer Kette am Horizont entlangzogen.

Also gab es hier doch Leben ...

Dort mussten Hochstände oder Türme stehen. Ziemlich weit weg. Ob ich zu denen gehen sollte?

Ich tastete mit dem Blick noch einmal den akkuraten Kreis der Lichter ab. Anscheinend begrenzten sie etwas.

Entweder die Transportkabine oder ... .

Etwa zweihundert Schritt entfernt standen, halb unter Schnee begraben - weshalb ich sie auch nicht gleich gesehen hatte -, flache, unscheinbare Gebäude.

»Da haben wir ja auch das Sanatorium«, sagte ich laut und fing mit dem Mund Schneespritzer auf. »Wird Zeit, dich zu erholen, Niki ...«

Durch den Schnee zu waten war schwierig. Und vor allem: ärgerlich. Noch hatte ich die makellosen Straßen der Stadt vor Augen, die Pfade des Internats. Mein Körper erinnerte sich noch an die sommerliche Wärme. Das hier schien nachgerade die Kehrseite der Welt zu sein.

Kälte und Nacht.

Vielen Dank, Ausbilder.

Schließlich erreichte ich die Häuser mit ihren geriffelten Mauern, den dunklen Fenstern, den flachen, mit Schneewehen und einer Eiskruste verzierten Dächern doch. Vor den Türen war der Schnee platt gestampft, was mir Hoffnung gab.

Also dann ...

Im Grunde hatte ich sowieso keine Wahl. Deshalb steuerte ich auf die nächstgelegene Tür zu. Ich berührte sie mit der Hand, doch es passierte nichts. Ich stieß gegen die Tür - denn sie würde ja wohl nicht nach außen aufgehen, das wäre bei einem solchen Schneefall einfach unklug, morgens würde man das Haus nie verlassen können ... Woher wusste ich das nun schon wieder?