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Niemand rührte sich. Alle warteten auf etwas.

»Was tut er?«, fragte ich Agard. Dessen Gesicht wirkte mit einem Mal leer und tot.

»Er geht auf Jagd. Hier gibt es viele Fische.«

Das Wasser am Ufer schäumte, der Körper des Wendigen tauchte auf. Das uns zugewandte Körperende hatte sich verändert und - gespalten in drei gleiche Teile - geöffnet. Scharfe Zähne blitzten auf, die einen schwach zappelnden, erschlaffenden Fisch gepackt hielten.

»Sie fressen unsere organischen Stoffe?«, staunte ich.

»Sie fressen alles. Es sind hochangepasste Organismen.«

In Agards Stimme lag keine Wut, sondern nur Schmerz. Der Wendige kroch gemächlich ans Ufer, wobei er im Schnee eine geschlängelte Furche hinterließ. Seufzend griff ich nach dem Spaten. Zeit für die Arbeit ...

»Wendiger Freund!«

Der Schrei ließ mich zusammenfahren. Ein hoher, hysterischer Aufschrei von Kleys Schatz, der die Stille zerriss. Der Mann rannte mit rudernden Armen das Ufer entlang zu dem Alien. »Wendiger Freund!«, schrie er.

Den Alien scherten die Schreie offenbar nicht. Er kroch weiter von uns weg. Kley stürzte seinem Freund hinterher. »Tikki! Bleib stehen, Tikki! Halt!«

Agard packte mich am Oberarm. »Er verlässt die Zone. Rühr dich nicht von der Stelle, Nik!«

»Wendiger Freund! Wir haben einen asozialen Kranken! Einen gefährlichen Kranken! Unternimm was gegen ihn!«

»Bleib stehen, Tikki!«

Etwas Mitleiderregendes und zugleich Tragisches lag in dieser Szene. Das Schwulenpaar liebte sich wirklich.

»Wendiger ...«

Ich bekam den Augenblick nicht mit, als Tikki die Zone verließ, jene Linie zwischen den beiden Hochständen übertrat. Sie war in keiner Weise markiert, diese unsichtbare Grenzlinie. Sie existierte nur in dem nicht-menschlichen Bewusstsein des Wendigen Freunds.

Und der Alien reagierte. Er kroch zurück, ohne sich umzudrehen, sondern indem er mit der Leichtigkeit eines Wesens, das zwei Köpfe hat, die Richtung änderte. Das Ende, das bisher den Schwanz abgegeben hatte, formte sich zu einem dreigeteilten Maul.

Aufheulend blieb Tikki stehen. Vielleicht hätte der Wendige, wenn sich Tikki wieder hinter die Grenze zurückgezogen hätte, die Verfolgung aufgegeben. Aber Tik hatte zu viel Schwung drauf und verfügte nicht über die Fähigkeiten des Aliens. Er fiel auf die Knie, die Strickmütze landete im Schnee. Der Wendige schoss auf ihn zu, presste ihn zu Boden, wand sich um Tiks Körper und riss seinen zweiten Kopf, in dessen Maul immer noch der Fisch hing, in die Höhe. Ein schmatzender Laut war zu hören. Dabei konnte er doch gar keine Töne von sich geben!

»Er verwarnt ihn ...«, flüsterte ich, als wollte ich mich selbst überzeugen.

»Verwarnt worden sind wir längst alle!«, schnauzte Agard.

Im nächsten Moment rannte ich bereits. Der Spaten in meinen Händen störte, ich schmiss ihn weg. Der Wendige schlängelte sich weiter um Tiks Körper, während das zweite Maul, das hoch in den Himmel aufragte, in wenigen Happen den Fisch verschlang.

»Du Mistvieh!«, schrie Kley. Er überholte mich, nicht einmal der gebrochene Arm beeinträchtigte ihn. Mit einem Sprung stürzte er sich auf den Alien.

Die Schuppen des von dem Wendigen ausgespuckten Fischs funkelten auf. Das zweite Maul schlug gegen Kleys Brust, wie gefällt ging er zu Boden.

Kampftransformation!

Der Wendige spürte wahrscheinlich, dass ich mich näherte. Aber solange ich die Grenze nicht überschritt, achtete er nicht auf mich. Er formte einen Bogen und saugte sich mit beiden Mäulern an den krampfhaft zuckenden Körpern fest. Über den graublauen Körper schoss eine bunte Welle, der Wendige, dieser kleine, widerwärtige Regenbogen, erstarrte über seinen besiegten Opfern.

Und dann überschritt ich die unsichtbare Grenze ...

Der zwei Meter lange, glänzende Körper federte sich in die Höhe und katapultierte sich in meine Richtung.

Mit einem Mal verlief die Zeit langsam, unterwarf sich mir.

Ich streckte die Arme aus und fing den Schlag ab. Der Körper des Wendigen war glitschig und elastisch wie ein Gummischlauch. Es gelang mir nicht, ihn zu packen. Doch durch die Handschuhe wuchsen schon lange, spitze Krallen aus meinen Fingern heraus. Der Cualcua schmolz meinen Körper wie Wachs.

Der Wendige erzitterte, als die Krallen ihm die Haut aufritzten. Brauner Eiter floss heraus. Die Enden seines Körpers peitschten auf meine Beine ein. Irgendwann reckte sich ein Maul hoch zu meinem Gesicht, ich musste mich ducken, um den Zähnen zu entkommen. Meine Krallen steckten tief in der Haut des Aliens, und voller Entsetzen begriff ich, dass mich absolut nichts gegen die Mäuler des Wendigen schützte.

Der Kontakt ist hergestellt. Soll ich ihn unterwerfen oder töten?

»Bring ihn um!«, schrie ich, ohne zu erfassen, wovon der Cualcua eigentlich sprach.

Etwas floss aus meinen Händen in den Körper des Wendigen hinein. Etwas, das noch agiler und fähiger war als der Alien. Etwas Amorphes, das die Haut schmolz, die Nervenzentren suchte ...

Den Wendigen schüttelte ein leichter Krampf, und wie ein Schlauch, durch den mit vollem Druck Wasser schoss, wurde er noch straffer. Seine Haut verlor die Farbe, glänzte wieder graublau. Die Kiefer klappten langsam zu.

Nervensystem, Lymphknotenkontur, Herzgefäß, zählte der Cualcua methodisch auf. Er tobte sich jetzt aus, dieser kleine Mistkerl, der ein Teil von mir geworden war und gerade mein Leben rettete. Er erkundete und eroberte den neuen Körper. Vielleicht brauchte er selbst das gar nicht unbedingt, aber jeder Cualcua war bereit, seinem Wirt zu dienen ...

Soll ich die Prozesse seiner Nerventätigkeit unterbinden?

»Ja!«

Der Körper des Wendigen erschlaffte.

Ich lag da, atmete gierig die eisige Luft ein und spürte, wie die Krallen in meinen Körper zurückkrochen. Der Wendige entglitt meinem Griff. Ein paar der weißen Sehnen spannten sich jedoch immer noch von den zerrissenen Handschuhen hinein in sein Fleisch. Sie pulsierten, als ströme etwas durch sie hindurch.

»Komm raus ... komm raus ...«, flüsterte ich.

In zehn Sekunden. Ich habe noch Hunger.

Ich weiß nicht, wie, aber ich hielt diese Sekunden aus, während deren der Cualcua aus dem Körper des Wendigen die Stoffe saugte, die er benötigte.

Und erst als ich sah, dass die Sehnen wieder in mir verschwanden, drehte ich den Kopf zur Seite und erbrach mich, ausschließlich Galle.

»Nik! Nik!«

Agard zappelte an der Grenze, riskierte es aber nicht, sie zu übertreten.

»Nik!«

Ich erhob mich und torkelte zu Tik und Kley. Tik war bereits tot. Seine Wattejacke war an der Brust aufgerissen, die riesige Wunde rauchte im Frost. Die offenen Augen blickten verängstigt und verständnislos gen Himmel.

Kley atmete noch. Er kroch zu seinem Geliebten und ergriff dessen Hand. Der Schnee unter ihm schmolz unter dem heraussprudelnden Blut, und ich war froh, dass der ehemalige Ausbilder auf dem Bauch lag und mir der Anblick seiner Wunde erspart blieb.

»Weshalb?«, flüsterte er.

Ich ließ mich auf die Knie fallen. Es roch nach Blut. In der Kälte nahm der Geruch eine durchdringende Stärke an, abermals würgte es mich.

»Weshalb ... hast du dich da eingemischt?«, wiederholte Kley.

»Ich wollte helfen«, brachte ich die einzige Dummheit heraus - die der Wahrheit entsprach.

»Das hättest du besser nicht getan ... du Dummkopf ... Regressor ...«

Der letzte Funken Leben glühte in seinen Augen auf, bevor er, die Worte gleichsam ausspuckend, hinzufügte: »Für wen bist du ... Regressor?«

Ich erhob mich.

Es gab bereits niemanden mehr, dem ich hätte antworten können.

»Nik! Nik!«, schrie Agard von der Grenze aus. »Nik, dreh dich um!«