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... Von allen Hochständen krochen, robbten und glitten Wendige durch den Schnee in unsere Richtung. »Flieh, Nik! Lauf!« Agard fuchtelte unbeholfen mit den Armen. Er hatte seine Worte, wonach die Wendigen viel schneller und ausdauernder sind als Menschen, offenbar vergessen.

Langsam ging ich auf ihn zu.

»Ich danke dir, Tarai«, sagte ich. »Mach dir um mich keine Sorgen.«

Der alte Historiker schluchzte. In seinen Händen hielt er den Spaten. Wollte er sich etwa in ein Handgemenge stürzen? Obwohl er nicht die geringste Chance hatte?

»Sie bringen dich um«, flüsterte er. »Sie bringen dich um, mein Junge.«

»Weshalb hat man dich hierhergeschickt, Tarai?«, fragte ich.

»Was spielt das jetzt ...« Agard schüttelte in stummer Empörung den Kopf. »Ich habe die Archive von Rig dem Stinkenden durchforstet! Ja, er hat der Pestepidemie ein Ende bereitet! Aber er hat sie auch entfesselt! Er hat die Ausbilder mit der Medizin ausgestattet ... und mit dem Erreger!«

Warum wunderte mich das nicht?

Die Geschichte der Geometer hatte sich allzu vage über denjenigen geäußert, der ihre Welt gerettet hatte. Allzu glatt waren auf diesem Planeten die Ausbilder an die Macht gelangt, diese weisen und guten Retter.

»Leb wohl, Agard«, sagte ich. »Halte durch. Vielleicht ... ändert sich irgendwann doch etwas.«

Er schwenkte kämpferisch den Spaten. In seinen Augen blitzte Wahnsinn auf. »Wir ... wir bleiben zusammen.«

Ich schüttelte den Kopf.

Cualcua, leite die Kampftransformation ein.

Ich empfehle, ins Meer einzutauchen, antwortete der Symbiont wie aus der Pistole geschossen.

Ich erzitterte, als ich den weißlichen Brei aus Eis und Wasser sah.

Du brauchst keine Angst zu haben zu erfrieren.

»Das ist das Milieu, an das sie gewöhnt sind«, flüsterte ich, den Blick auf das wogende Eis gerichtet.

Hast du mal darüber nachgedacht, an welches Milieu ich gewöhnt bin?

Selbst wenn die Ironie in diesem Satz zufällig sein sollte, ernüchterte sie mich. In einer Minute würden hier Dutzende von Wendigen auftauchen. Alle würde ich sie nicht besiegen können.

Ich klopfte dem Historiker auf die Schulter und wollte ihm zulächeln - was mir aber nicht gelang. Leider. Dann rannte ich zum Wasser.

»Nik!«, schrie mir Tarai hilflos hinterher. Das Letzte, was ich wahrnahm, waren die erhobenen Hände von zwei »Patienten«. Sie winkten mir zu und wünschten mir Glück.

Drei von zehn - das ist sehr viel. Für diese Welt lohnte es sich noch zu kämpfen.

Ich rannte durch das flache Wasser am Ufer, bis es mir zu den Knien reichte.

Da tauchte ich unter.

Das Eis brannte wie Feuer. Die Wattejacke weichte im Nu durch und hemmte meine Bewegungen. Luft bekam ich nicht mehr, was aber ganz gut war, andernfalls hätte ich geschrien und Wasser geschluckt. Keine Angst, keine Angst ... . flüsterte der Cualcua.

Wenn meine Rezeptoren eine Sekunde später abgeschaltet worden wären, hätte ich das Bewusstsein verloren. Aber der Cualcua schaffte es rechtzeitig.

Die Kälte war verschwunden. Als ich mich erschaudernd von dem Schock erholte, trieb ich an der Wasseroberfläche. Die nasse Kleidung zog mich zum Grund. Ich schälte mich aus der Wattejacke und den Hosen und sah mich um. Die Wendigen waren bereits am Ufer.

Vorwärts.

Ich schwamm gern. Diese Sportart lockt Faulpelze, und ich habe ihr immer meine Reverenz erwiesen. Allerdings waren auch meine Resultate immer danach gewesen. Als ich rund zwanzig Meter vom Ufer weggeschwommen war, hörte ich rhythmisches Platschen: Die Wendigen sprangen ins Wasser.

Ich tauchte wieder unter, drehte mich um und zwang mich, die Augen zu öffnen. Gerade noch rechtzeitig.

Die Wendigen Freunde schössen torpedogleich auf mich zu. Ihre Mäuler standen offen, das Wasser sprudelte und strömte durch den röhrenförmigen Körper. Wie ausgesprochen bequem, sich mit dem Düsenprinzip fortzubewegen.

Ich greife an.

Meine Finger schmerzten, denn der Cualcua beeilte sich zu sehr, als dass er auf meine Befindlichkeit hätte Rücksicht nehmen können. Weiße Fäden wuchsen heraus. den angreifenden Wendigen entgegen. Zehn sich schlängelnde dünne Fäden.

Um den Feind zu besiegen, muss man eins mit ihm werden. Die Japaner wären mit der Methode des Cualcua zufrieden gewesen.

Die Wendigen verfügten über eine ausgezeichnete sensitive Wahrnehmung. Die lebenden Torpedos teilten sich und manövrierten. Drei von ihnen schafften es jedoch nicht rechtzeitig.

Ich bemerkte nicht, wie die Fühler des Symbionten sich in die Wendigen bohrten. Vermutlich hatte ihm der erste Kampf ausgereicht, um sich an den Organismus der Aliens anzupassen, denn diesmal lief alles sehr schnell ab. Die Wendigen erstarrten, doch die Massenträgheit trug sie noch ein paar Meter vorwärts. Ein Körper glitt dicht an mir vorbei und sank allmählich.

Mit den Armen rudernd kämpfte ich mich nach oben. Ich schluckte Luft, die warm und zäh wie Sirup war. Die Menschen am Ufer kreischten auf, als sie mich sahen.

Wieder hinab ...

Die Wendigen umkreisten mich, wagten sich jedoch nicht näher heran. Es waren nur noch fünf oder sechs übrig. Da ich nicht alle zugleich im Auge behalten konnte, blieb mir nur die Hoffnung, mein Symbiont würde sich neben den menschlichen Augen auch der eigenen Sinnesorgane bedienen ...

Ein Schlag traf mich in der Seite, ein abgleitender, abgefederter Schlag. Der mich von hinten attackierende Wendige war bereits in dem Augenblick tot, als wir kollidierten. Aber sein Maul riss trotzdem noch an meinem Körper. Schmerz empfand ich nicht, es gab nur Schwere und eine kleine, matte Blutwolke, die durchs Wasser waberte.

Keine Angst, keine Angst ...

Unter mir sank leicht zitternd der Körper des Wendigen Freundes zum Grund. Die anderen umkreisten mich weiter. Waren sie wie Haie? Griffen sie nur einzeln an?

Das Blut strömte nicht mehr, der Cualcua hatte etwas dagegen unternommen. Dafür wurde mein Körper jetzt schwach. Der Blutverlust und das kalte Wasser - selbst wenn ich es nicht spürte - entzogen mir permanent Kraft.

Ein Platschen. Die Wendigen machten synchron kehrt -aber nicht, um mich anzugreifen. Nein, sie schwammen weg, zurück zum Ufer. Entweder war ihnen klar geworden, dass das Wasser ihnen keinen Vorteil mehr verschaffte, oder sie hatten eingesehen, dass das, was hier geschah, längst weit über eine Flucht hinausging.

Ich tauchte auf. Die Aliens krochen bereits ans Ufer, die Menschen wichen eiligst zurück, um ihnen Platz zu machen. Trotzdem blieb mein Auftauchen nicht unbemerkt. Einige schrien, andere winkten. Was auch immer sie in mir gesehen haben mochten, als ich die ungeschriebenen Gesetze des Sanatoriums übertreten hatte, jetzt war ich ein Mensch, der die Wendigen besiegt hatte.

Nur bedeutet ein Sieg über seinen Feind längst noch nicht, dass man auch sich selbst gerettet hat.

Hinter mir lag die Eiswüste, vor mir das Eismeer.

Die Wendigen würden den Vorfall melden. Ich hatte in der Welt der Geometer nichts bemerkt, was unserer Polizei oder Armee entsprochen hätte, aber dies hieß natürlich nicht, dass es dergleichen nicht gab. Wenn es sein musste, würden Regressoren und Piloten aus der Luft kommen, friedliche Landarbeiter zu Lasersicheln greifen, Arbeiter zu Atomhämmern.

Man würde mich suchen.

Schließlich galt es, den unzurechnungsfähigen Kranken zu retten, der das gemütliche Sanatorium verlassen hatte!

Ich schwamm, weiter und weiter vom Ufer weg. Der Cualcua schwieg, vermutlich hatte ihn der Kampf eben einiges gekostet. Sollte mir recht sein, wenn er schwieg. Ich musste meine Entscheidung selbst treffen. Mich retten oder sterben. Diese Welt besiegen - oder kapitulieren.