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Wigalf zuckte mit den Schultern. „Bislang weiß ich es zwar nicht konkret, aber es muss etwas Gewaltiges sein, etwas, das nicht einfach das aufgreift, bei dem Iliam Zak gescheitert ist, sondern noch darüber hinausgeht. Hier geht es nicht um Sternental oder Hohenmut oder den Thron; Thurlak will die ganze Welt unterjochen, und kaum einer in der Enklave ist bereit, ihm entgegenzutreten und ihm die Stirn zu bieten. Zwar hat sich im Verborgenen mittlerweile so etwas wie eine Gegengruppierung zum Sakkara-Kult gebildet, eine Gruppe von Zauberern wie ich selbst, denen es nie darum ging, sich mit ihrer Kunst persönliche Vorteile zu verschaffen, sondern darum, dem Leben selbst zu Diensten zu sein. Doch wir sind wenige, und viele haben Angst, sodass wir im Grunde nichts gegen den Sakkara-Kult ausrichten können. Der Kult ist längst so mächtig, dass er uns leicht in den Abgrund befördern könnte.“

Er schnippte mit den Fingern. „Wir allein sind ohne die Unterstützung der Bruderschaft nicht in der Lage, den Kult aufzuhalten. Und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis er sein Ziel erreicht hat, und wenn es erst einmal soweit ist...“

Wigalf verstummte düster, als wäre es nicht notwendig, das Offensichtliche auszusprechen.

„Niemand wird seines Lebens mehr sicher sein“, fuhr er dann fort, und jetzt trat zum ersten Mal seit seinem Auftauchen so etwas wie Furcht und Unbehagen in seine Züge. „Nicht Mensch, nicht Ork, nicht Elf ... niemand, in ganz Ancaria nicht. Auch ich nicht. Mit jedem Tag, der vergeht, mit jedem Wort, das ich zu Euch sage, rückt mein Ende näher, wenn nicht jemand etwas gegen diese Verschwörer unternimmt. Deshalb rede ich mit Euch: Weil Ihr die Einzigen seid, die Willens sind, sich der Gefahr zu stellen, wenn ich mir auch nicht sicher bin, ob Ihr fähig seid, ihr auch Herr zu werden. Aber ich fürchte, das wird sich schnell zeigen.“

Zaras Stirn legte sich in Falten. „Was meint Ihr damit?“

„Der Kult verliert allmählich seine Scheu vor Entdeckung“, erklärte Wigalf. „Jetzt, da praktisch jeder weiß, dass es sie gibt, geben sie sich kaum noch Mühe, ihre üblen Praktiken im Verborgenen zu treiben. Im Gegenteil; inzwischen ist es bereits so weit, dass sie ihre verderbten Rituale in unser aller Mitte praktizieren, nur einen Steinwurf von der Großen Burg entfernt, die ihre Augen angeblich überall hat und doch blind ist gegen die Bedrohung direkt vor ihrer Nase.“

„Ihr wisst, wo sich die Verschwörer aufhalten?“, forschte Jael.

„Ich weiß, wo sie sich treffen“, sagte Wigalf. „Es gibt da einen Friedhof, ein wenig außerhalb von Sternental, wo sie sich inzwischen jede Nacht zu Schwarzen Messen zusammenfinden und ihre verderbte Magie praktizieren. Dann erhellt der Lichtschein ihrer Fackeln die Nacht über dem Totenacker, und seltsame Gesänge liegen in der Luft, so alt und Grauen erregend, dass sie einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Niemand weiß genau, was sie dort treiben, da keiner den Mut hat, nachzusehen, aber es müssen grausige, barbarische Rituale sein, so jenseits der Grenzen des Bösen, dass wir es uns nicht einmal vorzustellen vermögen.“

Jael war sofort voller Tatendrang; die Möglichkeit, aus erster Hand mehr über die Praktiken des Sakkara-Kults zu erfahren und ihm womöglich so schnell auf die Spur zu kommen, ließ ihr Misstrauen verfliegen. „Und wie weit ist es von hier bis zu diesem Friedhof?“, fragte sie.

„Nicht weit“, erwiderte Wigalf, hob seinen Stock und deutete damit grob in westliche Richtung. „Gleich außerhalb der Stadtmauern, am Rande des Forsts; nah bei der Enklave, aber doch abgelegen genug, dass man ungestört ist.“ Sein Blick heftete sich erst auf die Seraphim und glitt dann weiter zu ihren Begleitern, und so etwas wie verzweifelte Hoffnung lag in seinen Worten, als er sagte: „Dann seid Ihr also gewillt, der Bedrohung die Stirn zu bieten?“

„Deswegen sind wir hier“, sagte Jael knapp. „Im Übrigen: Wenn wir es nicht tun – wer dann?“

VI.

Der Friedhof lag eine gute halbe Stunde von Iliam Zaks Turm entfernt am Rande der dichten, dunklen Nadelwälder, die an den Grenzen des Talkessels zu den Hängen hin zunehmend dichter und undurchdringlicher wurden. Düster und unheimlich schoben sie sich an den steil abfallenden Hängen des Tals in die Höhe.

Umgeben von einer mannshohen Bruchsteinmauer, die hier und da in sich zusammengefallen war, erstreckte sich ein nahezu quadratisches Gräberfeld, durch das sich ein schachbrettartiges Netz verschneiter Wege zog. Links und rechts des doppelfiügeligen Friedhofstors ragten aus rotem Bruchstein gemauerte Säulen empor, auf denen steinerne Fantasiewesen saßen wie stumme steinerne Wächter, und über dem Portal spannte sich ein moosbewachsener schmiedeeiserner Bogen, in den in kunstvoll schwungvollen Lettern ein Sinnspruch eingearbeitet war:

Das ist nicht tot, was ewig liegt, Bis dass die Zeit den Tod besiegt

Die Gräber selbst waren schlicht: keine Blumen, keine Verzierungen, kein Schnickschnack. Da gab es bloß die Erdhügel unter der weißen Schneedecke und grobe Grabsteine, in die lediglich die Namen und Daten der Verstorbenen eingemeißelt waren, und hier und da auf einigen Gräbern kleine rote Glasgefäße mit Ewigen Lichtern, die den Nebel in waberndes Rot tauchten. Zuweilen ragten auch die Umrisse schlichter Holzkreuze auf, dort, wo Angehörige der Ein-Gott-Religion begraben waren. Der Nebel sickerte aus den umliegenden Wäldern und waberte in dichten, milchigen Schwaden über dem Totenacker, und im hinteren Teil des Friedhofs, wo sich im Schatten mehrerer riesiger verkrüppelter Trauerweiden die älteren Grabstätten befanden, sah man die Silhouetten zwar massiger, aber nichtsdestotrotz sehr ärmlich wirkender Krypten zwischen den Gräbern; vermutlich hatten dort die Vorgänger des Enklavenvorstehers Godrik ihre letzten Ruhestätten gefunden.

Obwohl Zara Friedhöfe, seit sie eine Vampirin war, stets als etwas Heimeliges empfunden hatte, bereitete ihr dieser Totenacker Unbehagen. Vielleicht lag es an dem Wissen, dass alle, die hier in der kalten, harten Erde lagen, Zauberer gewesen waren, die den Verbotenen Künsten nachgegangen waren und deren Geheimnisse womöglich nicht halb so tot waren wie sie selbst. Womöglich hatte es aber auch damit zu tun, dass von Ishmael Thurlak und seinen Mitverschwörern ebenso wenig zu sehen war wie von einer Schwarzen Messe.

Wigalf hatte sie von Zaks Turm durch die Wälder hierher geführt, und sie hatten erwartungsvoll die eisernen, mit scharfen Eisenspitzen gekrönten Torflügel des Friedhofstors aufgeschoben und den Totenacker betreten. Sie waren kampfbereit und auf alles gefasst. Doch statt schauriger Gesänge und Opferrituale im Fackelschein erwartete sie lediglich dräuende, allumfassende Stille. Das neblige Gräberfeld lag leer und verlassen vor ihnen im Zwielicht der Nacht; alles, was sich regte, war der Nebel, der in milchigen Schwaden zwischen den Gräbern umherkroch.

Gleichwohl, die Anspannung blieb, ein flaues Gefühl in Zaras Magengrube, das sie gemahnte, vorsichtig zu sein, als sie die Gräber Reihe für Reihe abschritt, um sich zu vergewissern, dass nirgends böse Überraschungen auf sie lauerten. Ihre Vorsicht war unbegründet: Sie waren allein auf dem Friedhof – allein mit den Toten.

Jael ließ ihren Blick über den verwaisten Friedhof schweifen und wandte sich missmutig zu Wigalf um, der noch immer unter dem Tor des Friedhofs stand, so als hätte er Angst, das Reich der Toten zu betreten. „Hier ist keine lebende Seele“, sagte sie. „Seid Ihr sicher, dass wir hier richtig sind? Vielleicht sind wir zu spät, oder Ihr habt Euch im Friedhof geirrt.“

„O nein, nein, nein – wir sind genau da, wo wir hinwollten!“, versicherte Wigalf eifrig, seinen Stock in der linken Hand.