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Doch Salman hatte schon zu lange geschwiegen. Sein Blick glitt in die Runde, und seine Miene war ernst und voller Sorge, als er aufstand und beinahe provozierend vor den Tisch trat, an dem Godrik saß und ihn mit versteinerter Miene anstarrte wie ein Insekt, das es zu zertreten galt. „Wir alle haben die Zeichen gesehen. Über Monate hinweg. Wir haben die Gerüchte gehört. Wir haben unsere Kameraden der kalten schwarzen Erde übergeben, einen nach dem anderen, und dabei haben wir uns eingeredet, dass wir alles unter Kontrolle haben – Ihr habt uns eingeredet, dass Ihr alles unter Kontrolle habt.“ Er zeigte mit dem Zeigefinger auf Godrik; wenn der einäugige Blick des Enklavenvorstehers hätte töten können, wäre Salman auf der Stelle zusammengebrochen.

Doch auch, wenn man dem dicklichen Zauberer ansah, dass es ihn große Überwindung kostete, sich Godrik so offen zu widersetzen, sprach er aus, was ihm schon seit langem auf der Seele zu lasten schien. „Wir haben uns mit dem Gedanken beruhigt, dass niemand so dumm wäre, sich mit dem Sakkara-Kult einzulassen; vielleicht wollten wir es aber auch einfach nur nicht wahrhaben, aus Furcht davor, was dies für uns und den Rest der Welt bedeuten würde. Doch jetzt können wir nicht länger die Augen vor dem verschließen, was offensichtlich ist: Der Sakkara-Kult plant Schreckliches, und ich persönlich glaube jedes Wort von dem, was hier gerade gesagt wurde. Es war nur eine Frage der Zeit, bis so etwas geschehen würde. Ein Wunder, dass es nicht schon viel früher dazu gekommen ist.“

Er drehte sich langsam um, den Stock in Händen, und sah die übrigen Zauberer einen nach dem anderen an, doch die meisten wichen seinem Blick aus. „Wir müssen eine Entscheidung fällen“, sagte er eindringlich. „Nicht nur für uns, sondern vor allem für all die Unschuldigen dort draußen ...“ Er machte mit dem Stock eine Geste, die nicht nur Sternental einschloss, sondern die ganze Welt. „Wir sind vielleicht die Einzigen, die die Macht haben, die Katastrophe zu verhindern.“

„Und warum sollten wir das tun?“, fragte Godrik lauernd, in einem Ton, der an Selbstgefälligkeit und Arroganz nicht zu überbieten war, und sofort richteten sich sämtliche Blicke auf ihn.

Godrik wartete, bis er sich der Aufmerksamkeit aller Anwesenden sicher sein konnte, ehe er leise fortfuhr: „Selbst wenn sie Recht haben und dieses Gerede mehr ist als ein Hirngespinst: Warum, bei allen Göttern, sollten ausgerechnet wir Ancaria retten? Warum sollten wir verhindern, dass der König vom Thron gestoßen und die Welt in eine neue Ordnung gezwungen wird? Wir sind nur hier, weil der König uns wegen dem ablehnt, was wir sind und vermögen. Nur weil wir Kräfte haben, die er nicht kontrollieren und erst recht nicht begreifen kann. Weil wir Dinge wissen, die er nicht weiß. Und weil die Mächtigen alles ablehnen, was sich ihrer Kontrolle entzieht. Weil sie dadurch ihre Macht bedroht sehen. Darum – nur darum! – hat man uns vor tausend Jahren hierher verbannt, in diese Einöde.“

Godriks Worte wurden immer geringschätziger, bis er sie ausspie wie Brocken faulen Fleisches. „Was schulden wir dem König? Sein Geschlecht hat uns dieses Leben am Rand der Welt aufgezwungen, weitab von allem, was uns einst lieb und teuer war. Seine Vorfahren haben uns wie Tiere gejagt und eingepfercht, wo immer die Inquisition unsrer habhaft werden konnte. Nur wegen des Königs hausen wir hier, am Ende der Welt! Und ausgerechnet wir sollen helfen, die herrschende Ordnung aufrechtzuerhalten, in der wir nichts weiter sind als abnormes Menschenvieh?“

Er starrte mit wildem Blick in die Runde. Seine Wangen waren vor Erregung gerötet, und sein Atem ging keuchend, als er voller Zorn und Verbitterung hervorstieß: „Wir schulden dem König nicht das Geringste!“

„Es geht hier nicht um den König“, hielt die Seraphim dagegen, „sondern um die Menschen dieses Reichs.“

Godrik starrte Jael hasserfüllt an, und als er sprach, war seine Stimme kalt wie Gletschereis: „Was haben diese Menschen je für uns getan, dass sie unserer Hilfe wert wären?“

„Was habt Ihr jemals für diese Menschen getan, um Euch ihren Respekt zu verdienen?“, fragte Jael zurück. Godriks einäugiger Blick durchbohrte die Seraphim wie ein Dolch des Zorns, doch sie ließ sich nicht einschüchtern. Stattdessen bot sie dem Enklavenvorsteher die Stirn: „Ihr seid voller Verbitterung über die vermeintliche Ungerechtigkeit, die Euch und Euresgleichen hierher gebracht habt. Was ist mit Eurem Geschwafel, dass Ihr der Welt mit Euren magischen Studien und Eurem ganzen Hokuspokus nur helfen wollt? Ihr interessiert Euch in Wirklichkeit nicht im Mindesten für die Welt, nur für Euch selbst!“

Einige der zwölf Zauberer protestieren, doch Jael hob die Hand und brachte sie mit einer barschen Geste zum Schweigen. „Eins ist mir klar geworden“, sagte sie, nun ruhiger, und musterte die Zauberer reihum mit ernstem Blick. „Ihr habt vielleicht Macht, doch dass große Macht auch große Verantwortung mit sich bringt, ist Euch offenbar fremd!“

Sie starrte in die Runde, doch keiner der Zauberer wagte es, sie offen anzusehen, auch Salman nicht. Wie die meisten der Zauberer hatte auch er den Blick gesenkt und starrte betreten auf seine Stiefelspitzen. Lediglich Godrik schnaubte voller Zorn, und schließlich stieß er hervor: „Wer seid Ihr, dass Ihr es wagt, so mit uns zu reden?“

Jael antwortete ihm nicht. Stattdessen wandte sie sich an Salman, der noch immer vor dem Tisch des Enklavenvorstehers stand, die Hände um seinen Stab gekrampft wie ein Ertrinkender um einen Rettungsanker. „Wann ist die nächste Mondfinsternis?“, fragte sie. „Und am welchem Ort könnte der Sakkara-Kult dieses Ritual abhalten?“

Salman hob den Kopf. „Die nächste Mond ...“ Er brach irritiert ab und warf Godrik einen ängstlichen Blick zu, doch dann sammelte er sich und sagte angespannt: „Die nächste Mondfinsternis ist in der kommenden Nacht.“ Er trat nervös von einem Fuß auf den anderen. „Es ist eine besondere Nacht. Die Gestirne werden in einer Konstellation stehen wie schon seit tausend Jahren nicht mehr: im Zeichen der Jungfrau.“

Jaels Miene verfinsterte sich. „Dann bricht in der kommenden Nacht die letzte Stunde an“, murmelte sie, mehr zu sich als zu den anderen. „Die letzte Stunde der Welt, wie wir sie kennen ...“

Salman starrte sie aus großen Augen an.

Jael nickte. „Wenn sich die Erde zwischen Licht und Schatten drängt“, sagte sie leise und wiederholte damit, was Wigalf auf dem Friedhof gesagt hatte. „Der Sakkara-Kult wird in der kommenden Nacht das Tor zur Hölle öffnen, aber an einem Ort, den wir nicht kennen, und das, weil Ihr nicht den Mut hattet, etwas gegen diese Bedrohung zu unternehmen, als noch die Möglichkeit dazu bestand!“ Sie deutete mit dem Zeigefinger auf Godrik, der mit hasserfüllter Miene auf seinem Stuhl saß und mit weißen Knöcheln seinen Stock umklammert hielt. „Wenn dieses Reich untergeht“, knurrte sie, „könnt Ihr Euch das auf die Fahnen schreiben!“

„Wenn Ancaria untergeht“, hielt Godrik finster dagegen, „dann, weil dieses Land es nicht besser verdient hat!“

Salman holte tief Luft und setzte zu einer Erwiderung an, doch Godrik warf ihm einen Blick zu, der ihn zum Schweigen brachte, dann wandte sich der Enklavenvorsteher wieder der Seraphim zu: „Ich denke, wir haben unseren Standpunkt deutlich gemacht“, sagte er, als spräche er für alle im Saal, und keiner wagte es, Einspruch zu erheben oder ihm zu widersprechen, obwohl außer Salman noch zwei oder drei andere der zwölf Zauberer den Eindruck machten, dass sie keineswegs mit Godrik einer Meinung waren. „Ob Ihr nun einem Hirngespinst nachjagt oder nicht, von uns habt Ihr keine Hilfe zu erwarten. Natürlich kann ich Euch nicht zwingen, die Enklave umgehend zu verlassen, aber Euch sollte bewusst sein, dass Ihr von dieser Sekunde an nicht länger unsere Gäste seid. Ihr habt unsere Gastfreundschaft mit Füßen getreten. Ihr seid nicht länger in Sternental willkommen, und ich übernehme keinerlei Verantwortung für etwaige Fährnisse, die Ihr womöglich erleidet, wenn Ihr hier bleibt.“