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„Vielleicht hat keiner von uns die Magie in sich, die nötig ist, um diesen Zauber zu wirken“, grübelte Zara. „Nicht jeder ist zum Zauberer geboren.“

„Vielleicht“, stimmte Jael zu, „doch ein wenig Magie wohnt in uns allen – Reste unserer göttlichen Herkunft, schließlich stammen wir alle – egal, ob Mensch oder Seraphim, Dunkelelf oder Ork – in irgendeiner Form von den Göttern ab. Also muss ein Funken ihres Zaubers in uns allen sein.“

Sie trat vor, nahm Falk das Buch aus der Hand und griff in die Schale mit dem Schwefelsalz, um es selbst zu versuchen. Ihre Stimme hallte entschlossen von den Wänden der Turmkammer wieder, als sie laut die Beschwörungsformel aufsagte: „Ph’angli agwa’nafhti, wgah’nagl fhtagn! Eyt Ph’nglui mglw’nafh, wgah’nagl fhlogn!“

Doch genau wie zuvor bei Falk tat sich nicht das Geringste.

„Ich hab ihn nicht gesehen, den Funken“, spöttelte Zara.

Jael warf ihr einen grimmigen Blick zu und versuchte es noch einmal, das Gesicht starr vor Anspannung, als sie verbissen nach jenem Funken Magie in ihrem Innern forschte, wie ein Grubenarbeiter, der in den Eingeweiden der Erde nach einem funkelnden Edelstein sucht. Sie erinnerte sich ihrer göttlichen Herkunft und bemühte sich, den Zauber in sich selbst zu finden, doch auch, als sie das Ritual nun wiederholte, regte sich nichts, und auch ihr dritter Versuch zeigte keine Wirkung.

Frustriert nahm sich Jael noch einmal das Buch vor und überprüfte erneut jedes Symbol und jede Zeile, um sicher zu gehen, dass sich nicht irgendwo ein Fehler eingeschlichen hatte, während Falk ihre Position einnahm und da weitermachte, wo Jael aufgehört hatte: Das Schwefelsalz in der hohlen Hand, versuchte er, sich ganz auf das Ritual zu konzentrieren. Er zwang sich, in seinem Innern nach der Tür zu suchen, von der Jael gesprochen hatte, sprach die Zauberworte und warf das Salz.

Doch auch nach seinem nächsten Versuch und nach dem danach öffnete sich kein Portal. Nichts geschah. Der einzige Erfolg ihrer Bemühungen war, dass ihnen allmählich das Schwefelsalz ausging, doch obgleich er im Hintergrund Zara vernahm, die ihn aufforderte, aufzuhören – „Spar dir die Mühe! Das wird nie was!“ –, machte er mit einer Verbissenheit weiter, die ebenso sehr etwas von Verzweiflung wie von Besessenheit hatte. Ohne auf die resignierten Kommentare seiner Begleiterinnen zu achten, richtete Falk den Blick auf die schwarze Kerze im Zentrum des Portalkreises, zwang sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen, ruhig und gleichmäßig, und tauchte in sich selbst ab.

Doch egal, wie oft er die Beschwörungsformel wiederholte oder wie viel Schwefelsalz er in den Kreis warf- es war sinnlos!

Kein Donnerschlag ertönte.

Kein magisches Tor tat sich auf.

Es geschah einfach gar nichts. Und im selben Maße, wie seine Misserfolge zunahmen und das Licht draußen vor dem Turmfenster allmählich diffuser und die Schatten in der Kammer länger wurden, desto verzweifelter wurden Falks Bemühungen, der einfach nicht bereit war, aufzugeben und zu akzeptieren, dass es ihnen letztlich doch nicht bestimmt war, die Welt zu retten.

Seine Gefährtinnen waren da realistischer.

Lass es!“, fuhr Jael ihn schließlich mit lauter Stimme an und packte ihn an der Schulter. „Hör auf, Falk! Es hat keinen Sinn.“ Ein trauriger Schatten fiel über ihr blasses Gesicht, und sie seufzte; Zara kam der Gedanke, dass sich so ein Sterbender anhörte, der seinen letzten Atemzug tat – und wusste, dass es sein letzter war. „Wir sind einfach nicht dazu bestimmt“, sagte sie müde. „Wir haben nicht den Zauber.“

Ihr vielleicht nicht“, murmelte Falk trotzig, „aber ich schon ...“

Entschlossen schüttelte er Jaels Hand ab, wandte sich wieder dem Kreis zu und versuchte, seinen eigenen Mittelpunkt zu finden und seelisch zur Ruhe zu kommen.

„Der innere Funken“, murmelte er, mehr zu sich als zu seinen Gefährten, und starrte konzentriert auf die ruhige Flamme der schwarzen Kerze, indes er versuchte, alles andere um sich herum auszublenden – die Turmkammer, seine Gefährten, die Gedanken in seinem Kopf, ja, sogar sich selbst. Er dürfte nicht an die Bedrohung denken, die über Ancaria schwebte; er musste frei und offen sein, ohne Druck, ohne Zwang.

Er richtete seinen Blick nach innen, auf seine Seele, und suchte behutsam nach dieser besonderen Tür, die irgendwo in seinem Inneren sein musste, indes er langsam und bedächtig anfing, den Zauberspruch aufzusagen, und während die arkanen Worte über seine Lippen kamen, versuchte er, eine Verbindung zwischen diesen Worten und jener magischen Tür herzustellen, von der er nicht wusste, wo sie war oder ob es sie überhaupt gab. Doch er ließ keine Selbstzweifel zu, sondern richtete seine ganze Aufmerksamkeit, seinen ganzen Verstand, sein ganzes Sein auf diese Verbindung zwischen den Worten, die aus seinem Mund kamen, und der Tür ...

... und plötzlich war es, als würde sich der Vorhang lüften, der über seiner Seele lag, und ein roter Faden, den ausschließlich ersehen konnte, wand sich durch die verwickelten Windungen seines Selbst tief in sein Inneres. Falk folgte dem Faden im Geiste, hangelte sich daran entlang in seine Seele vor wie in ein zwar vertrautes, aber doch unbekanntes Gebäude, und dann tauchte die Tür mit einem Mal vor ihm aus dem Zwielicht seines Verstandes auf!

Einen magischen Augenblick lang sah er sie so deutlich vor sich, als stünde er tatsächlich davor: Es war eine kleine, überraschend unscheinbare Holztür, mit Eisenbeschlägen und einem rostigen alten Vorhängeschloss, und obwohl er keine Ahnung hatte, wieso, wusste er plötzlich, dass er den Schlüssel dafür nicht zu suchen brauchte. Er war hier, lag in seiner Hand, ein großer, klobiger alter Türschlüssel, und irgendetwas sagte ihm, dass er ihn schon immer in Händen gehalten hatte, diesen ganz besonderen imaginären Schlüssel, sein ganzes Leben lang, nur hatte er bis jetzt nicht gewusst, zu welchem Schloss er passte.

Jetzt wusste er es, und ohne Zögern schob er den Schlüssel ins Schloss.

Der Schlüssel passte perfekt.

Falk spürte, wie er ins Schloss glitt, ohne jeden Widerstand, und während die letzten Silben der Beschwörungsformel über Falks Lippen rollten, drehte er den Schlüssel im Geiste um. Drakenschanze, dachte er dabei, so intensiv und konzentriert, wie er nur konnte – Drakenschanze, Drakenschanze – und einen Moment lang war es, als zuckten Bilder vor seinem inneren Auge auf, vage Impressionen eines Ortes, an dem er selbst noch nie gewesen war – Sümpfe, Trauerweiden und darüber ein nachtschwarzer Himmel voll strahlend heller Sterne.

Plötzlich war es, als erhebe er sich in die Lüfte, als hätte er die Schwerkraft abgestreift wie einen mit Wasser voll gesogenen Mantel und stiege einfach in die Höhe, immer höher, wie schwerelos. Dann klackte es vernehmlich, als der Schlüssel seine Drehung vollendete, Falk warf das Schwefelsalz in den Portalkreis, das Schloss schnappte auf – und …

Falk riss voll freudiger Erwartung die Augen auf, jetzt wieder ganz bei sich, überzeugt davon, es geschafft zu haben. Er war sicher, dass sich jetzt vor ihm das Tor öffnen würde, dass Funken sprühten und sich im Zentrum des Portalkreises ein flirrendes magisches Portal öffnen würde, eine Tür zu einem anderen, weit entfernten Ort.

Stattdessen geschah – nichts.

Schon wieder.

Falk konnte es nicht glauben. Fassungslos starrte er auf die Flamme der Kerze, die ebenso ruhig und kalt brannte wie zuvor, so als wäre nichts geschehen. Er blinzelte mehrmals, doch es nützte nichts.

Es passierte einfach nichts, so sehr er auch darauf hoffte.

Falk konnte es nicht begreifen. Dabei war er sich so sicher gewesen, dass es diesmal klappen würde ...

Mit einem resignierten Seufzen wandte er sich zu den anderen um. „Ich geb’s auf, sagte er niedergeschlagen, und seine Entschlossenheit war plötzlich wie fortgewischt. „Ich war mir so sicher, dass es diesmal funktionieren würde. Ich habe sie gefunden, die Tür – und den Schlüssel auch! Ich habe den Zauber gespürt – wie eine Kraft, die mich durchströmte und mich von Kopf bis Fuß erfüllt hat. Und ich habe Drakenschanze gesehen. Ich weiß nicht wie, aber ich hab’s gesehen!“ Er fluchte verhalten. Er konnte es noch immer nicht fassen, nichts von dem, was er gerade erlebt hatte. Dass er die Magie in sich gespürt hatte, schien ihm ebenso unwahrscheinlich wie der Umstand, dass es doch nichts bewirkt hatte. Wieder seufzte er enttäuscht. Er ließ die Schultern hängen. „Aber wie es scheint, bin ich wirklich nicht in der Lage, dieses verdammte Portal ...“