Die Vampirin schaffte es gerade noch, mit der freien Hand zuzupacken, um die Spinne – keine zehn Zentimeter vor ihrem Gesicht – abzufangen. Das Tier wand sich wie wahnsinnig in ihrem Griff und versuchte, sie mit seinem Giftstachel zu treffen; wie bei einer Wespe schnellte er aus ihrem Hinterleib hervor. Doch ehe sie Zara erwischen konnte, schleuderte diese die Spinne mit solcher Wucht gegen die Felswand, dass der Chitinpanzer knackend brach.
Die Riesenspinne stieß ein wütendes, pfeifendes Fauchen aus und rammte gleichzeitig alle vier Vorderbeine nach vorn.
Zara schaffte es zwar, dem ersten Beinpaar auszuweichen, doch dann trafen sie die beiden anderen Beine mit solcher Wucht, dass Zara förmlich vom Boden gehoben wurde und mehrere Meter durch die Luft segelte. Sie krachte hart gegen die Felswand.
Zara stöhnte, blinzelte, um ihren Blick zu klären – und sah bereits die nächste Attacke der Monsterspinne auf sich zukommen. Zugleich huschte von rechts eine weitere Giftspinne heran, lief ein Stück den Fels hinauf, bis sie auf Kopfhöhe mit Zara war, und schoss einen Giftpfeil ab, dem Zara allerdings knapp entging, weil sie sich zu Boden fallen ließ.
Doch da waren bereits die Vorderbeine der Riesenspinne und stießen vor wie Rammböcke. Zara wurde mit brutaler Gewalt gegen den Fels in ihrem Rücken geschleudert.
Ihre Zähne schlugen laut krachend aufeinander. Jeder Knochen in ihrem Leib schien aufzuschreien, und eine Woge des Schmerzes raste siedend bis in ihre Fingerspitzen. Vor ihren Augen explodierte ein Feuerwerk, durch das Zara verschwommen die gewaltige Silhouette der Monsterspinne vor sich aufragen sah.
Sie hielt Zara mit ihren zwei Vorderbeinen fest gegen die Felswand gepresst, sodass sich die Vampirin kaum rühren konnte. Ihr massiger Schädel befand sich direkt vor Zaras Gesicht, und die winzigen Augen starrten sie böse an. Die Kieferklauen schnappten unruhig vor und zurück, während das zweite Paar Vorderbeine zitternd, ohne Hast, nach oben glitt; die spitzen Enden richteten sich wie Speere auf Zaras Brust. Es war, als würde das Ungetüm seinen Triumph in vollen Zügen auskosten.
Die Beine zuckten vor. Doch Zara war schneller und schlug mit ihrer Faust in das große Zyklopenauge auf der Stirn der Monsterspinne. Es war, als würde ihre Faust in Gallerte tauchen.
Das Ungetüm stieß ein schmerzerfülltes schrilles Kreischen aus und ließ augenblicklich von seinem Opfer ab, um hastig ein paar Schritte vor Zara zurückzuweichen, schwankend wie ein verwundeter Olifant. Plötzlich war Zara frei. Sie fiel keuchend nach vorn, auf die Knie, und rappelte sich mühsam auf. Doch wenn sie gedacht hatte, die Spinne besiegt zu haben, irrte sie; der Verlust ihres Hauptauges hatte das Spinnenmonster bloß noch wütender gemacht, und kaum, dass Zara wieder aufrecht stand, stürmte das Ungeheuer bereits wieder mit schwirrenden Vorderbeinen auf sie zu.
Zara wehrte die heranzuckenden Homstelzen mit ihrem Schwert schwerfällig ab und kämpfte um ihr Gleichgewicht, während sie wieder vor der Spinne zurückwich. Ihr Schädel dröhnte, als würde er jeden Moment zerspringen.
Sie parierte die Angriffe der Monsterspinne mit dem Mut der Verzweiflung, doch ihre Kraft schwand zusehends, und als die Spinne geschickt eine Attacke mit ihren Vorderbeinen antäuschte, um dann mit den hinteren zuzustoßen, ging Zara der Finte auf den Leim. Die Homstelzen durchbrachen ihre Deckung, ehe sie wusste, wie ihr geschah, und dann traf eins der spitzen Beine mit voller Wucht ihre Brust und drang tief ein. Nur wenig fehlte, und die Spitze wäre ihr am Rücken wieder ausgetreten.
Der Schmerz war so gewaltig, dass er Zara schier die Sinne raubte. Sie schrie ihre Pein hinaus, packte den Griff des Schwerts mit beiden Händen und schlug mit aller Kraft zu.
Die Klinge traf das rechte Vorderbein der Spinne, das in ihrer Brust steckte, mit solcher Wucht, dass Hornsplitter davonschwirrten. Das Gesicht zu einer Maske der Qual verzerrt, holte Zara erneut aus und schlug noch einmal zu, und noch einmal, und dann glitt die Klinge knirschend durch das Spinnenbein und durchtrennte es.
Das Spinnenmonster kreischte und humpelte ungelenk rückwärts, auf sieben Beinen weit weniger majestätisch denn auf acht. Doch dann schoss das Ungetüm sofort wieder vor, stieß mit dem verbliebenen Vorderbein zu und schleuderte Zara in hohem Bogen zu Boden.
Das Schwert entglitt der Vampirin und landete am Rand des Dickichts, während sich Zara keuchend und würgend auf der hart gefrorenen Erde wand und die Monsterspinne ihr zischend nachsetzte. Zara sah mit tränenverschleiertem Blick, wie der gewaltige Giftstachel aus dem Hinterleib des Monsters glitt, und sie versuchte verzweifelt, vor der Bestie wegzukriechen.
Der riesige Hinterleib ruckte in die Höhe, um wuchtig niederzusausen, und mit ihm der giftige Stachel, der sich genau dort ins hart gefrorene Erdreich bohrte, wo Zara gerade noch gelegen hatte. Hastig hatte sie sich zur Seite gerollt, um dem tödlichen Stachel zu entgehen.
Trotz ihrer schweren Verletzung gelang es ihr, sich unter dem massigen Leib der Monsterspinne hervorzurollen – und ...
Plötzlich war da ein kurzer stechender Schmerz in ihrer Schulter, und als Zara überrascht den Kopf wandte, sah sie eine der kleineren Spinnen, die mit fast provozierender Langsamkeit ihren Hinterleib senkte, und bevor Zara noch recht begriff, was das bedeutete, spürte sie, wie sich das Gift durch ihre Adern und Venen in ihrem Körper ausbreitete; innerhalb von Augenblicken waren ihre Zehenspitzen wie abgestorben, und dann fing es auch in ihren Fingerspitzen an. Nicht lange, und ihr geschwächter Körper würde ihr nicht mehr gehorchen, und wenn das geschah ...
Wenn das geschah, waren sie alle drei verloren!
Sie versuchte verzweifelt, gegen das lähmende Gift anzukämpfen, und kroch mühsam rückwärts. Die Monsterspinne folgte ihr ohne Hast, so als wüsste sie, dass ihre Beute ihr nun sicher war. Ihr Stachel zuckte unruhig, das Gift tropfte in einem glitzernden Faden von der Spitze auf Zaras Hosenbein. Doch die Kriegerin registrierte es nicht, sondern mühte sich, vor der Spinne wegzukriechen, auch wenn sie wusste, dass es sinnlos war.
Sie war am Ende ihrer Kräfte, verletzt, geschunden, halb bewusstlos vor Schmerz, und mit jeder Sekunde gewann das lähmende Gift in ihrem Körper mehr die Oberhand. Sie spürte bereits, wie ihre Beine taub wurden und unnütz wie Holzklötze an ihr hingen, doch sie zog sich trotzdem weiter über den harten Boden, auf ihre Ellbogen gestützt.
In diesem Moment sah sie im Augenwinkel und im zuckenden Schein des Feuers Metall aufblitzen.
Jaels Schwert, nur einen halben Meter von ihr entfernt!
Neue Hoffnung durchströmte sie. Sie wollte mit dem unverletzten rechten Arm nach der Waffe greifen, doch da war die Monsterspinne wieder heran, und als würde sie ahnen, was Zara vorhatte, rammte sie ihr verbliebenes Vorderbein nach unten, traf Zaras rechten Arm und nagelte ihn förmlich am Boden fest.
Zara biss die Zähne zusammen, um einen Schrei zu unterdrücken; zumindest diesen Triumph wollte sie dem Ungeheuer nicht gönnen. Sie versuchte sich zu bewegen, aber es war ihr kaum noch möglich. Die Monsterspinne warjetzt direkt über ihr, ein gewaltiges haariges Ungetüm, das bereit war, Zara den Todesstoß zu versetzen.
Der armdicke Giftstachel zielte direkt auf Zaras untotes Herz.
So endet es also, dachte Zara. Sie starrte den zitternden Giftstachel an, der stark genug war, um selbst dickste Rüstungen zu durchdringen, und spürte, wie Trauer sie überkam. Trotz – oder vielleicht gerade wegen – ihres langen Lebens fürchtete sie den Tod; nicht so sehr, weil sie Angst vor dem Sterben hatte, sondern vor dem, was danach folgen würde. Sie, die Untote, die Vampirin hatte so viel Böses und Grausames getan, so viel Leid und Schmerz über die Sterblichen gebracht... ihre eigenen Eltern hatte sie umgebracht... sie hatte gemordet und das Blut Unschuldiger getrunken ... bis die Seraphim ihre Seele in ihrem untoten Körper wiedererweckten.