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Die schwache, nackte Birne verbreitete ein trübes, unbestimmtes Licht. An dem langen, roh zusammengezimmerten Tisch in der Mitte spielten einige Soldaten Karten, aber die meisten lagen schon auf ihren Pritschen. An einem Ende des Tisches saß der lange Oberst und starrte auf seine verbundene

Hand. Der ehemalige Major in einem Armeestab machte sich unlustig mit dem Besen zu schaffen; er hatte Stubendienst.

Deutschmann ging zu seinem Spind und holte aus der hintersten Ecke die Zigarettendose. Sie war aus schwarzem Leder, in Silber eingefaßt, mit seinem Monogramm in der unteren Ecke: ein Geschenk Julias. Dann setzte er sich an den Tisch, klappte die Dose auf und ließ sie vor sich liegen.

»Hat dich Krüllschnitt zur Schnecke gemacht, was?« fragte ihn ein Kartenspieler, ein kleiner, schmächtiger Mann mit einem Rattengesicht. Er lachte und zeigte dabei spitze gelbe Zähne. Früher einmal war er »Schlepper« in Berlin gewesen und ein kleiner Dieb, der das Stehlen nicht lassen konnte.

Deutschmann nickte. Er war zu müde, um zu antworten. Er war zu müde, um die Hand zu heben und eine von den zwei Zigaretten, die er sich für heute abend aufgespart hatte, aus der Dose zu nehmen und sie anzuzünden.

In diesem Augenblick polterte Schwanecke breit grinsend in die Stube. »Mensch«, sagte er, nachdem er die Tür hinter sich zugeschlagen hatte, »er dachte, er kann mich zur Sau machen. Aber er irrt sich.«

»Wo ist er jetzt?« fragte ein Kartenspieler.

»Er ist müde. Ging schlafen. Der verfluchte Hund. Der nicht«, sagte Schwanecke, »der Mann ist noch nicht geboren, der Karl Schwanecke fertigmachen kann.«

»Spielst du mit?« fragte das Rattengesicht.

»Gleich.« Jetzt sah Schwanecke den zusammengesunkenen Deutschmann. »Was is’n mit dir los?«

Deutschmann rührte sich nicht. Schwanecke ging um den Tisch und stellte sich neben ihn. »Was is’n los?« fragte er noch einmal. »War vielleicht jemand böse zu dir, Professor?«

Deutschmann hob die Hand und betastete die Zigaretten in der Dose. Und dann sah er plötzlich Schwaneckes große, behaarte Hand mit breiten Fingern und kurzen, schmutzigen Fingernägeln nach der Dose greifen und sie wegziehen.

Er sah auf.

Schwanecke drehte die Dose hin und her, betrachtete sie genau, nickte ein paarmal mit dem Kopf, hob sie vor die Nase, schnupperte daran, zog eine Zigarette heraus und zündete sie an.

»Geben Sie bitte die Dose her«, sagte Deutschmann schwach.

»Ganz hübsch«, sagte Schwanecke. »Was willst du dafür haben?«

»Geben Sie die Dose zurück!«

»Ich geb’ dir zwei Bilder. Du kannst sie selbst aussuchen.«

Deutschmann stemmte sich hoch und griff nach der Dose. Schwanecke wich einen Schritt zurück, steckte die Dose in die Brusttasche, knöpfte die Tasche zu, in seinem Mundwinkel steckte die rauchende Zigarette, die Augen hielt er vor dem Rauch verkniffen. »Ich heb’ sie auf«, sagte er mit verzogenem Mund, »bis du dich entschlossen hast, was du dafür haben willst. Drei Bilder. Kapiert?«

Damit schien die Sache für ihn erledigt zu sein. Er drehte sich um und ging zu den vier Kartenspielern. Deutschmann stützte sich auf den Tisch, schloß einen Augenblick die Augen, riß sie wieder auf und rief schrill, verzweifelt, fassungslos: »Die Dose ... geben Sie mir die Dose wieder!«

Der lange Oberst sah auf.

»Wer gibt?« fragte Schwanecke das Rattengesicht.

»Werner ... setz dich«, sagte das Rattengesicht.

Schwanecke zog mit dem Fuß einen Schemel unter dem Tisch hervor und wollte sich setzen. Doch da fühlte er sich an der Schulter gepackt und herumgewirbelt. Erich Wiedeck war auf bloßen Füßen lautlos herangekommen und stand jetzt vor ihm. Sein Gesicht war gerötet. »Gib ihm die Dose wieder, du Schwein!« sagte er.

»He ... langsam, Hände weg!« grinste Schwanecke.

Deutschmann stieß sich vom Tisch weg, machte zwei lange Schritte und packte Schwanecke am Arm. Dieser machte eine leichte, schnelle Bewegung, der keine Anstrengung anzusehen war, als ob er eine lästige Fliege wegwischen wollte. Deutschmann wurde weggefegt wie ein dünnes Blatt Papier, fiel rücklings über einen Schemel, schlug mit dem Kopf hart gegen einen Spind und blieb benommen liegen.

»Du Schwein!« zischte Wiedeck und packte Schwanecke an der Brust. Doch dieser schlug ihn mit einem kurzen, harten Haken in den Magen. Wiedeck ächzte, klappte zusammen wie ein Taschenmesser und wurde von dem zweiten Schlag Schwaneckes, der mit schrecklicher Wucht von unten her gegen sein Kinn schmetterte, wieder emporgerissen. Es gab einen kurzen trockenen Laut, als ob jemand mit flacher Hand auf nasse, festgetretene Erde geschlagen hätte. Wiedeck krachte mit dem Hinterkopf gegen eine Spindtür und rutschte langsam, mit glasigen Augen, zu Boden. Und während all dies geschah, grinste Schwanecke mit bleckenden, weißen Zähnen, schief, ohne die brennende Zigarette aus dem Mundwinkel zu nehmen.

»Wumm ... Vorkriegsschule«, sagte das Rattengesicht und fuhr sich mit schneller, feuchter Zunge über die Lippen.

»Noch jemand?« knurrte Schwanecke. Er stand leicht vorgebeugt da, die Augen vor dem Zigarettenrauch zusammengekniffen, sein klobiger, muskulöser Körper strahlte geballte Energie, katzenhafte Geschmeidigkeit und eine unbändige Kraft aus. »Noch jemand?« fragte er zum zweitenmal, und sein tierhaftes Grinsen vertiefte sich.

»Gib’s denen nur!« sagte ein Kartenspieler.

»Memmen ... Setz dich, Karl ...«:, sagte das Rattengesicht.

Doch da stand der lange Oberst langsam auf und ging schweigend um den Tisch. Zwei Schritte vor Schwanecke blieb er stehen und richtete sich auf. Wiedeck drehte sich ächzend auf den Bauch, versuchte sich hochzustemmen, sackte wieder zusammen und blieb mit dem Gesicht auf dem Boden liegen.

»Was willst du denn hier?« fragte Schwanecke den Oberst.

»Geben Sie sofort die Dose zurück!« sagte der Oberst.

Das Rattengesicht wieherte laut lachend auf, ein Kartenspieler stand langsam auf und lehnte sich mit verschränkten Armen über den Tisch.

»Ach!« sagte Schwanecke. »Und was noch? Hör mir zu, du lange Latte von einem verkrachten Oberst, hör mal gut zu: Mach dich ja nicht wichtig, hörst du? Denk ja nicht, du bist noch was! Du kannst mir überhaupt nicht imponieren, du bist genauso der letzte Dreck wie ich, verstehst du? Hau ab, sonst geht’s dir schlecht! Los! Hau schon ab!«

Der Oberst hatte mit unbewegtem Gesicht zugehört. Und als sich Schwanecke wegdrehte, sagte er wieder, jedoch jetzt mit schneidend erhobener Stimme: »Geben Sie die Dose sofort zurück und entschuldigen Sie sich bei Doktor Deutschmann und Wiedeck! Haben Sie verstanden?«

Schwanecke schnellte wie von einer Stahlfeder angetrieben herum. Wütend riß er die Zigarette aus dem Mund und schleuderte sie zu Boden.

»Maul halten!« schrie er. »Du sollst das Maul halten, du aufgeblasener >Von<! Ich hab’ genug von euch! Ich muß kotzen, wenn ich euch nur rieche. Herren! Immer noch Herren, was? Hör mal zu, du Herr ...« Und jetzt wurde seine Stimme ganz leise, zischend, tödlich ernst. In ihr klang der ganze blinde Haß des Kriminellen gegen die »Anderen« mit. Er brachte sein Gesicht ganz nahe an den anderen heran: »Hör mal zu: Ich habe mich immer von solchen, wie du einer bist, schikanieren lassen müssen, mich immer ducken müssen. Immer sagen müssen: Jawohl, Herr Sowieso! Ich könnte dich mit einer Hand zerquetschen, du Scheißoberst. Und ich tu’s, sage ich dir!« Er umklammerte mit einem eisernen Griff die Uniformjacke des

Obersten, zog sie zusammen, streckte die linke Hand schlagbereit nach hinten, und das Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden. »Ich tu’s, wenn du nicht sofort sagst: Jawohl, Herr Schwanecke! Hast du mich verstanden: Jawohl, Herr Schwanecke ...!«