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Wie glücklich waren wir doch in diesen zwei Jahren, glücklich trotz des Krieges! Wir haben es nur nicht gewußt. Oder nicht immer gewußt, weil wir uns unter dem täglichen Kleinkram begraben ließen, dem Ärger mit Bezugsscheinen, der Müdigkeit, dem Verdruß über Mißerfolge, Rückschläge und Trugschlüsse. Ich weiß, manchmal war ich ungeduldig, vielleicht auch zänkisch, immer wieder stolperte ich über Kleinigkeiten. Daß es unwichtige Kleinigkeiten waren, das weiß ich jetzt, damals wußte ich es nicht. Was würde ich heute alles dafür geben, Deine Wäsche in der ganzen Wohnung zusammenzusuchen, wenn Dir plötzlich einfiel, Dich umzuziehen! Was würde ich heute dafür geben, wenn Du mir gegenübersäßest und Du Deinen Teller leerschaufeltest, als ginge es um eine Wette im Schnellessen! Wie glücklich wäre ich heute, wenn wir am Abend in unserer >Gemütsecke< wieder zusammen sitzen könnten und Du meine Fragen nur mit einem >Ha< beantworten würdest! Wie habe ich mich über dies alles und über tausend andere Kleinigkeiten damals geärgert! Wie ungehalten war ich, wenn Du unseren Hochzeitstag vergessen hast - und vergessen hast Du ihn ja oft. Und - wie wütend war ich, wenn ich glaubte, daß Du meine Arbeit, von der ich überzeugt war, daß sie mindestens so wichtig ist wie die Deine, nicht richtig gewürdigt hast.

Ernsti, mein Ernsti, wie lächerlich, kindisch und unwichtig war das! Heute erkenne ich es. Heute weiß ich, daß es allein maßgebend ist: Wer bist Du? Was hast Du getan? Wichtig ist allein unsere Liebe, und wichtig ist: Was bin ich? Was habe ich getan? Wichtig ist, den Platz zu erkennen, auf dem man steht, auf dem ich stehe, die Aufgabe zu sehen, die ich zu erfüllen habe.

Nein, ich bin keine zweite Madame Curie. Aber ich will den Platz, auf den ich gestellt worden bin, ausfüllen. Heute sehe ich, daß es nicht meine Aufgabe ist, mit Dir zu wetteifern, sondern Dir zu helfen. Und jetzt - jetzt ist meine Aufgabe vor allem, Dich nicht nur für mich allein zu erhalten, sondern auch für die anderen, für Deine Arbeit, für Deine Träume, für das, was Du getan hast und was Du noch tun würdest.

Ich sehe meinen Weg.

Ich weiß, es ist gefährlich, was ich tue, aber ich muß es tun. Wenn ich nur mehr Zeit hätte! Wenn ich nur wüßte, wie Du lebst, wo Du bist!

Wenn ich an Dich denke, Ernsti, dann werde ich wieder zu einem kleinen verliebten Mädchen, das in den Sternenhimmel sieht und von dem Mann träumt, dem es gehören möchte. Ich gehöre Dir, ganz, Du lebst in mir, wir haben eine lange und doch so schrecklich kurze Zeit zusammen verbracht - und trotzdem möchte ich einen kleinen, winzig kleinen Stern für uns beide aussuchen; wenigstens ihn könnten wir beide sehen. Klein müßte er sein, fast unsichtbar, dann würde er nur uns gehören, dann gäbe es niemand sonst, der zu ihm hinaufschaut und in ihm den anderen sucht.

Es ist sehr spät abends. Schlaf gut, Ernsti, ich mache die Augen zu, denke ganz fest an Dich, und vielleicht, vielleicht werde ich Deinen Gutenachtkuß fühlen: an den Mund, an die Augen -und zuletzt an die Nasenspitze ...«

Julia legte die Füllfeder weg, lehnte sich zurück, schloß die Augen und lächelte.

Über ihre Wangen glitten stille, glitzernde Tränen.

Am Mittwoch, am Tage seiner Ankunft, hatte Schwanecke den Oberfeldwebel Krüll dazugebracht, daß er eine Weile nicht wußte, was er tun sollte. Und am Samstag gelang es ihm, den Spieß sprachlos werden zu lassen, eine Tatsache, die dem Oberfeldwebel seit seinen Anfängen als Unteroffizier seitens der Untergebenen nicht mehr passiert war.

Schwanecke hatte ein Meisterstück vollbracht.

Hinter der Baracke 2, in welcher der erste und der zweite Zug der 2. Kompanie lagen, stand eine Kiste. Und in der Kiste lag ein Kaninchen.

Oberfeldwebel Krüll ging zuerst daran vorbei, ohne sonderlich darauf zu achten, obwohl eine Kiste hier nichts zu suchen hatte. Er war zu sehr mit dem Problem Oberleutnant Bevern und der vorgeschriebenen Abmagerungskur beschäftigt. Dann aber blieb er stehen, rekapitulierte das Geschehene und fuhr wie von einer Tarantel gestochen herum.

Ohne Zweifeclass="underline" Es war eine Kiste, und in der Kiste hockte ein lebendes, wohlgenährtes Kaninchen.

»Wem gehört das Viehzeug?« schrie Krüll außer sich.

Wütend blickte er auf die Soldaten, die nach dem Revierreinigen frei hatten und in den letzten Strahlen der herbstlich flachen Sonne standen. »Deutschmann, wem gehört das Vieh?«

»Ich weiß es nicht, Herr Oberfeldwebel!« brüllte Deutschmann zurück. Er hatte bereits gelernt, daß die Lautstärke beim Militär wesentlich war. Je lauter, desto besser. Je lauter der Soldat, desto mehr wird er von seinen Vorgesetzten geschätzt.

»Mir -«, sagte Schwanecke und trat zwei Schritte vor.

»Ach -«, schnappte Krüll.

»Jawohl. Ich bin ein Tierfreund, Herr Oberfeldwebel.« Schwanecke strahlte Krüll an. »Ich kann ohne so ein kleines, liebes Tierchen nicht leben.«

»Woher?«

Krüll stand über die Kiste gebeugt und betrachtete das fette Tier. Es ließ ab von einer Mohrrübe und rückte erschreckt in den Hintergrund. Drei Fragen peinigten den Oberfeldwebeclass="underline"

Erstens: Woher kam das Kaninchen?

Zweitens: Woher kam die Kiste?

Drittens: Woher kam die Mohrrübe?

»Zugelaufen -«, sagte Schwanecke.

Der Oberfeldwebel wandte sich wortlos ab und ging. Vor der Schreibstube traf er auf Oberleutnant Obermeier, der gerade das Lager verlassen wollte, und meldete ihm den unerhörten Vorfall. Doch dieser hatte nur ein halbes Ohr für Krülls Nöte. »Freuen Sie sich doch über das Leben in der Kaserne, genießen Sie es noch ausgiebig!« sagte er und klopfte dem strammstehenden Spieß auf die Schulter. »Wenn wir einmal nach Rußland kommen, wird das sowieso anders.«

Dann ging er, und Krüll stand allein auf dem weiten Platz und sann darüber nach, was der letzte Satz bedeuten sollte. Vor dem Wort »Rußland« hatte er eine höllische Angst. Weil er aber die Fähigkeit besaß, Unangenehmes alsbald fortschieben zu können, und weil er wußte, daß es nichts einbringt, sich mit Rätseln herumzuschlagen, gab er die unnützen Überlegungen auf und wandte sich wieder dem naheliegenderen und greifbaren Problem zu - dem Schützen Schwanecke und seinem Kaninchen.

Mit großen, weit ausholenden Schritten eilte er um die Baracke.

»Geklaut!« sagte er zu Schwanecke, als er ankam. Es klang endgültig, es gab keine Zweifel mehr.

»Zugelaufen!«

»Und die Kiste ist auch zugelaufen, was? Und die Mohrrübe ist auch zugelaufen, was? Kommt durch die Luft gesegelt -sssst - schon ist alles da!«

»Jawohl, Herr Oberfeldwebel!«

Krüll zog die Luft durch die Nase ein, bis es aussah, als würde er jeden Augenblick platzen. »Um den Platz! Marsch, marsch!« brüllte er. »Schneller! Schneller!«

Schwanecke trabte und grinste.

»Noch einmal!« schrie Krüll, als Schwanecke zurückgelaufen kam. Und Schwanecke trabte wieder. Dann blieb er schnellatmend vor Krüll stehen.

»Geklaut!«

»Aber, Herr Oberfeldwebel! Was denken Sie von mir? Zugelaufen!«

Das war der Augenblick, in dem es Krüll innerlich einen Riß gab. Er wandte sich stumm ab, um wegzugehen - und stolperte fast über Oberleutnant Bevern, der unbemerkt herangekommen war und wortlos die Szene beobachtete.

Krüll wollte eine Meldung machen, doch Bevern winkte ab. Langsam, mit einer dünnen Gerte seine Stiefel peitschend, trat er gegen Schwanecke.

»Sie sind also ein Spezialist in Karnickeln?« fragte er freundlich.

»In Karnickelböcken.«

Deutschmann drehte sich ab. Er konnte es nicht mehr mitansehen. Mein Gott, dachte er, der Mann redet sich noch einmal vor ein Erschießungskommando!