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»Kann man das immer?«

»Ich sag’ dir was: Du warst noch nicht an der Front, und deshalb ist dir das nahegegangen, obwohl du ein Arzt bist und so etwas gewöhnt sein müßtest. Aber es ist was anderes, hier an der Front, als in einem Krankenhaus, ich verstehe. Nur glaube mir, wenn ich anfinge zu denken, würde ich mir auf der

Stelle in den Mund schießen! Vor ein paar Minuten habe ich nachgedacht. Es war schlimmer als das schlimmste Trommelfeuer. Ich hab’ mir vorgenommen, nie wieder zu denken, Kumpel! Komm, zieh dich jetzt an, wir wollen abhauen, nach Hause sozusagen ...«

Grinsend ging er über die Dorfstraße zu seinem Schlitten. Untersetzt, breit, in seinem Pelz noch massiger wirkend. Deutschmann sah ihm nach. Ehr kleines, zaghaftes Lächeln huschte über sein Gesicht. Nach Hause ... dachte er. Wenn ich zu Julia ging, dann sagte ich: Ich gehe nach Hause. Jetzt gehe ich zum Krüll und sage: nach Hause. Zuviel denken ... Abschalten. Wie kann man das? Ein Mann läuft mit einem halb abgerissenen Kopf und brüllt »Hurra«. Oder er denkt, daß er immer noch »Hurra« brüllt. Schwanecke hatte gedacht, und es war schlimmer als ein Trommelfeuer. Wie werden die Leute leben ohne Beine? Wie kann man leben, wenn man nicht mehr gehen kann, wohin man möchte? Nach Hause gehen, zu Julia, zu Krüll. Unsinn.

Er drehte sich um und ging ins Haus, um sich für die Fahrt »nach Hause« fertig zu machen.

Oberfeldwebel Krüll war in großer Fahrt.

Auf dem Tisch vor ihm lagen genaue Streckenpläne der auszuhebenden Gräben, und er war dabei, die ausgeschanzten Stücke in Rot einzutragen. Die Karte hatte er im Maßstab 1: 2000 gezeichnet und nach längerer Anstrengung ausgerechnet, daß die 2. Kompanie mehr als fünfzig Meter zuwenig ausgeschanzt hatte. Das Soll war nicht erfüllt worden, trotz Spitzhacken, Sprengladungen und zehnstündiger Arbeitszeit. Für Krüll bedeutete dies ein schweres militärisches Versagen, das einzig und allein ihm in die Schuhe geschoben würde. Fünfzig Meter zu wenig! Er rechnete noch einmal nach, doch die fünfzig Meter wurden nicht weniger. Es war anzunehmen, daß Oberleutnant Obermeier dies noch nicht wußte. Und Krüll sann darüber nach, wie er dieses Debakel dem Kompaniechef beibringen konnte.

Zunächst nahm er den Weg aller Hauptfeldwebel und befahl die Gruppenführer zu sich in die Schreibstube. Weil er aber zugleich beschlossen hatte, gegen die nun immer mehr um sich greifende Disziplinlosigkeit und militärische Nächlässigkeit vorzugehen, tat er es kasernenmäßig: Dienstanzug, umgeschnallt, mit Stahlhelm.

Unteroffizier Peter Hefe tippte sich an die Stirn, bevor er mit den Unteroffizieren Kentrop und Bortke eintrat: »Der hat ‘nen Stich, Jungs! Paßt auf, er hat wieder was ausgeknobelt, von dem wir uns nur auf der Latrine befreien können!«

Sie traten in die Schreibstube, bauten unlustig ihre Männchen und sahen auf Krüll, der hinter seinem improvisierten Schreibtisch hockte, die Streckenpläne deutlich sichtbar vor sich.

»Aha!« sagte Kentrop laut. Krüll fuhr empor.

»Jawohl! Aha! Die 2. Kompanie scheint mir ein Altersheim für gebrechliche Pensionäre zu sein. Immer langsam voran. Die Russen werden schon warten, bis die Herren fertig sind. Hier ...«:, schlug er mit der Faust auf den Tisch, »hier habe ich ausgerechnet, daß fünfzig Meter Graben fehlen!«

»Hast du dich auch nicht verrechnet?« fragte Bortke sanft.

Oberfeldwebel Krüll wurde rot. »Wir sind im Dienst, Unteroffizier Bortke! Ich verlange ...«

»Halt ‘n Rand!« Peter Hefe nahm seinen Stahlhelm ab, das Theater widerte ihn an. Er setzte sich auf eine Kiste und nahm sich den Streckenabschnitt von Krülls Schreibtisch. »Das ist die Strecke, die nur nachts gegraben werden kann. Am Tage ist Feindeinsicht, die Russen sehn hier jede Maus, die herumkriecht.«

»Na und?« Krüll riß Hefe das Blatt aus der Hand. »In der HKL leben die anderen unter ständiger Feindeinsicht, ohne sich in die Hosen zu machen!«

»Dort stecken sie in der Erde. Wir aber stehen obendrauf und müssen graben.«

»Dafür sind wir auch kein Kegelklub.«

»Nein, sondern glatte Zielscheiben, wenn wir am Tage schanzen.« Bortke machte es Hefe nach und nahm den Helm ab. »Vielleicht kommst du mal mit ‘raus und siehst dir die Sache an. Wie wär’s?«

»Wie bitte?« Oberfeldwebel Krüll lehnte sich zurück. »Verantwortlich sind die Gruppenführer«, sagte er, sanfter gestimmt. Bortkes Antrag ließ ihn vorsichtiger werden.

»Wenn dem Bataillon gemeldet wird, daß die Schanzarbeiten zu langsam vorangehen, ist der Teufel los!«

»Dann soll sich das Bataillon den Mist da vorne mal ansehen«, sagte Hefe mißlaunig.

»Wir reden alle ziemlich viel Unsinn«, meinte Unteroffizier Kentrop. »Wann hat sich ein Bataillon so etwas schon angesehen? Was hast du für Vorschläge?« fragte er Krüll. Er war der einzige, der noch stand und der seihen Helm aufbehalten hatte. Korrekt, sehr ruhig, sah er den Oberfeldwebel an. Vor seinem kalten, leidenschaftslosen Blick hatte Krüll Respekt; Kentrop war ihm unheimlich mit seiner Ruhe und Gelassenheit. Auch jetzt sah Krüll nur kurz zu Kentrop und wandte sich dann wieder an Hefe:

»Wir müssen versuchen, auch am Tage zu schanzen. Die fehlenden fünfzig Meter müssen wir herausholen. Wenn vorne unsere Kameraden den Kopf hinhalten, können wir hier nicht Versteck spielen!«

»Ganz richtig!« Oberleutnant Obermeier war eingetreten. Er kam durch die zweite Tür, die eine Verbindung zu den zerstörten Stellen herstellte. Als die Unteroffiziere aufspringen woll-ten, winkte er ab, trat zum Tisch und nahm die Zeichnungen. »Saubere Arbeit, Oberfeldwebel.«

»Mit genauen Maßstäben, Herr Oberleutnant. Wir können damit den Fortgang der Arbeit täglich gut kontrollieren.«

»Können Sie das wirklich?«

»Jawohl, Herr Oberleutnant.«

»Hier vom Schreibtisch aus?« Oberleutnant Obermeier legte die Pläne vor Krüll hin. »Sie haben die Streckenkarte nicht an Ort und Stelle gezeichnet. Wer garantiert Ihnen, daß Ihre fünfzig Meter nicht auf einen Rechen- oder Zeichenfehler zurückzuführen sind? Am besten ist, Oberfeldwebel, Sie überzeugen sich morgen am Ort von der Richtigkeit Ihrer Berechnungen. Rücken Sie mit der Kompanie aus und messen Sie mit dem Bandmaß die Gräben aus. Das tragen Sie dann noch einmal in Ihre Pläne ein. Von besonderem Interesse sind natürlich diese vom Feind eingesehenen Stellen.«

Krüll wagte nicht zu antworten. Das hatte er nicht erwartet. Sein Herz fing heftig und schwer zu pochen an. Er fühlte, daß er sehr blaß aussehen mußte, und die andern, die Unteroffiziere, starrten ihn an und grinsten unverschämt.

»Alles klar, Oberfeldwebel?«

»Jawohl, Herr Oberleutnant.« Krüll atmete tief. Die Angst in seinen Knochen konnte nicht größer sein als die Disziplin.

»Morgen früh also. Wann rückt Ihre Gruppe aus, Hefe? «

»Um halb sechs, Herr Oberleutnant.«

»Sie nehmen den Oberfeldwebel mit.«

»Mit Vergnügen, Herr Oberleutnant!«

Obermeier fuhr herum: »Unterlassen Sie diese dämlichen Bemerkungen! Der Krieg ist kein Vergnügen, das war er noch nie! Stellen Sie sich vor, Sie werden beschossen und dem Oberfeldwebel passiert etwas. Oder können Sie mir garantieren, daß nichts passieren wird?«

»Nein, Herr Oberleutnant!«

»Na also!« wandte sich Obermeier zum Telefon. Krüll hatte diesen Wortwechsel wie aus weiter Ferne gehört, ohne ihn richtig zu begreifen. Über seine Beine empor kroch eine flaue Schwäche. Er hielt sich an der Tischkante fest und stierte auf die Pläne, ohne etwas zu sehen. Und dann hörte er Kentrops Stimme:

»Sie können sicher sein, Herr Oberleutnant, daß wir alle unser Leben einsetzen werden, um Herrn Oberfeldwebel wieder herauszuholen, wenn etwas passiert. Wenn es nicht sofort gelingt, dann wird er höchstenfalls bis zur Nacht warten müssen.«