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»Ich komme wieder. Ich werde dich töten!«

Dann trat er aus dem Haus, schloß die Tür sorgfältig hinter sich zu und nickte freundlich einigen Pionieren zu, die mit langen Eisenstangen die gesprengten Eisschollen vom Ufer stießen. Nach allen Seiten demütig grüßend, ging er die Uferstraße entlang und verschwand in dem Gewirr halbzerstörter Häuser und Schuppen am Rande von Orscha.

In einer erhalten gebliebenen Banja erst fiel die Demut von ihm ab wie der Pelz, den er auszog und in die Ecke warf. Einen Augenblick stand er wie versteinert da, doch dann konnte er es nicht mehr ertragen. Mit den Fäusten und der Stirn schlug er gegen die Wand, und aus seiner Brust entrang sich ein entsetzlich anzuhörendes Schluchzen:

»Gib mir die Kraft, das zu ertragen!« schrie er. »O Gott, laß mich nicht verrückt werden - laß mich nicht verrückt werden!«

Es war das erstemal in seinem Leben, daß er Gott anrief. Aber er merkte es nicht. In ihm war sonst nichts als ein schrecklicher, brennender, unerträglicher Schmerz.

Zu derselben Stunde, als Deutschmann den Schlitten bestieg, ohne sich um den fluchenden Fahrer zu kümmern, der bereits eine halbe Stunde in der bitteren Kälte gewartet hatte, tauchte bei der 2. Kompanie im vorderen Grabenabschnitt eine dickvermummte und dennoch zackig aussehende Gestalt auf, die allgemeines Verwundern erregte: Oberleutnant Bevern. Er kam von der 1. Kompanie Oberleutnant Wernhers herüber, um die Schanzarbeiten der 2. Kompanie zu kontrollieren.

Der erste Soldat, auf den Bevern stieß, war Wiedeck. Er lehnte die Spitzhacke, mit der er vergeblich gegen den steinhart gefrorenen Boden ankämpfte, bedächtig gegen die Grabenwand, baute ein nachlässiges Männchen und meldete:

»Schütze Wiedeck bei den Schanzarbeiten. Keine besonderen Vorkommnisse.«

»Welche Kompanie?« schnauzte Bevern. »Ist das eine Meldung? Schanzen Sie etwa für Latrinenreiniger?«

»Jawohl, Herr Oberleutnant!«

Bevern riß die Augen auf. »Was soll das heißen?«

»Jawohl, Herr Oberleutnant!«

Was sollte Bevern tun? Gegen dieses »Jawohl« - und er wußte, daß dieser sture Soldat auf alle seine weiteren Fragen nur Jawohl sagen würde - konnte er nichts ausrichten, wenigstens nicht hier im Graben. So sagte er nur: »Wir sprechen uns noch, Wiedeck, wir sprechen uns noch!«

Wütend stapfte er weiter, den Graben entlang, vorbei an einigen Soldaten, die ebenfalls stramm grüßten und ihre Meldung so laut hinausbrüllten, daß die nächsten und übernächsten bereits gewarnt waren, bevor Bevern bei ihnen auftauchte.

In den halbfertigen Bunkern lagen die anderen Männer der 2. Kompanie und schliefen erschöpft. Sie hatten die ganze Nacht gearbeitet, jetzt tagsüber durften sie ausruhen. Seit zwei Tagen mußten sie in den Stellungen bleiben. Es wurde befohlen, daß die Arbeit beschleunigt zu beenden sei. Aber sie waren ganz glücklich darüber, denn durch die Linien waren einige russische Scharfschützen gesickert und schossen vom nahen Wald aus auf alles, was sich in den Gräben bewegte. Sie waren so gut getarnt, daß man sie nicht ausmachen konnte. Ein deutscher Zug, der eingesetzt wurde, um sie aufzustöbern und zu liquidieren, war unverrichteterdinge zurückgekommen. Es war nichts zu machen. Der Wald war groß und dicht, und nicht nur ein einzelner Mensch konnte sich dorthin auf alle Ewigkeit verkriechen, sondern ein ganzes Bataillon oder Regiment. Zudem war durch diese Scharfschützen nicht nur die dünnbesetzte HKL bedroht, sondern auch die Männer des Strafbataillons. Und man war nicht bereit, ihretwegen die schwachbesetzte HKL noch schwächer zu machen und Leute zu Suchtrupps abzukommandieren. Der Antrag Oberleutnant Obermeiers und Hauptmann Barths, einen Zug des Strafbataillons - oder was noch besser wäre, eine ganze Kompanie - zu bewaffnen und in den Wald zu schicken, war bis jetzt unbeantwortet geblieben. So waren im Laufe von drei Tagen sechs Mann bei Obermeier und fünf bei Wernher durch Kopfschüsse ausgefallen.

Um wenigstens einigermaßen die Weiterarbeit zu sichern, hatten Obermeier und Wernher einige gegen den Wald vorgeschobene Posten aufgestellt, die mit ihren MGs auf jede verdächtige Bewegung schießen sollten. Allerdings waren diese Posten auf dem besten Wege, als erste abgeschossen zu werden. Bereits am ersten Tag fand die Ablösung zwei Tote hinter den Maschinengewehren; ihre Stahlhelme wiesen knapp über den Augen ein kleines, rundes Loch auf.

»Eine Saubande«, murmelte Bevern, als er einige Bunker besichtigt hatte. »Pennen wie die Ratten, ist das noch ein Krieg?« Tief gebückt - auch er wußte natürlich von der Gefahr, die von den Scharfschützen drohte, obwohl er eigentlich nicht so recht daran glaubte - ging er durch einen Laufgraben weiter nach hinten, um einen der Posten zu kontrollieren. Das letzte Stück Weges mußte er auf allen vieren kriechen, bis er zu einem Loch kam, in dem zusammengekauert ein Soldat - schlief.

Nein, es war kein Irrtum: Der Posten schlief.

Den breiten Kragen des Lammfellmantels hatte er hochgeschlagen, so daß nur der obere Teil des Stahlhelms heraussah, sein Gesicht war im Pelz vergraben, und in seinen regelmäßigen Atemstößen zitterten die dünnen Reiffäden, die sich rundum gebildet hatten. Die Hände hatte er in die Ärmel gesteckt und die Füße in Filzstiefeln unter den Mantel gezogen.

Das war ungefähr das Schlimmste, was Bevern passieren konnte. Ein schlafender Posten! Und als er kniend und unbeweglich auf den Schlafenden sah, erfüllte ihn fast triumphierende Befriedigung: Hier hatte er einen erwischt. Nur ganz kurz bedauerte er, daß er keinen Zeugen hatte. Aber das würde ja nicht notwendig sein. Sein Offizierswort würde bei der Verhandlung genügen, und die exemplarische Strafe, die nur Tod durch Erschießen heißen konnte, würde auf alle anderen in diesem verfluchten Haufen sehr erzieherisch wirken.

Sein Blick glitt langsam empor zu den Sandsäcken, die im Halbkreis, gegen den Wald sichernd, rund um das MG-Nest aufgebaut waren. Mitten darin befand sich eine schmale Scharte, davor stand das MG. Wenn er den Mann aufweckte, wollte er es nicht kniend tun, in einer, wie es ihm schien, lächerlichen Haltung, sondern so, wie sich’s gehörte: Hochaufgerichtet, auf ihn herabblickend. Langsam, jedes unnötige Geräusch vermeidend, rutschte er ins Loch und richtete sich auf - dabei immer zu den Sandsäcken aufschauend. Ob sie wohl genügend Schutz boten? Natürlich, sagte er sich, durch die kann keine Kugel durchdringen - und außerdem konnte ihn ja niemand sehen, wenn er den Kopf nicht herausstreckte. Dabei entging ihm, daß sich die unbewegliche Gestalt des Postens rührte. Als er wieder hinuntersah, den Mund bereits offen, um loszubrüllen, schaute er in zusammengekniffene, spöttische Augen - Schwaneckes.

Seine Verletzungen aus dem Messerkampf mit Tartuchin waren schmerzhaft, aber nicht gefährlich gewesen. Nachdem ihn Kronenberg gefunden und seine Stichwunden versorgt hatte, blieb Schwanecke noch ein paar Tage im Lazarett. Dann hatte ihn Bevern aufgestöbert. »Der Mann ist doch nicht krank«, hatte er zu Kronenberg gesagt. »Zum Faulenzen ist die Zeit zu ernst. Sorgen Sie dafür, daß sich Schwanecke morgen wieder dienstfähig bei seiner Einheit meldet ...«

Schwanecke hatte vor Wut gekocht.

»Aufwachen!« schrie Bevern und dachte nicht daran, daß es lächerlich war, »Aufwachen!« zu brüllen; und auch die einzige folgerichtige Antwort Schwaneckes ging an ihm vorbei, als hätte er sie gar nicht gehört. Er dachte nur daran, daß er ihn jetzt hatte. Jetzt gab es keine Ausflüchte und Mätzchen mehr. Der Mann war schon so gut wie tot. Und das war richtig so. Es war das Beste, was geschehen konnte, daß es gerade Schwanecke war, den er hier erwischt hatte.

»Warum? Ich bin ja schon wach«, sagte Schwanecke.

»Stehen Sie auf!«

Schwanecke stand langsam und sich reckend auf. Dann gähnte er. »Sie kommen immer in einem unrichtigen Augenblick«, sagte er, zum zweitenmal gähnend. »Ich habe gerade ...«

»Sie haben geschlafen!«