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»Schwer?«

»Ziemlich.«

»Also voraussichtlich Amputation. Wer ist es denn?«

»Ich«, sagte Julia.

Einen Augenblick war es auf der anderen Seite still. Dann kam aus dem Hörer ein zischendes Geräusch, als hätte der Mann am anderen Ende die Luft tief und krampfhaft eingeatmet, und dann hörte sie wieder seine Stimme, doch jetzt hoch, verändert, fassungslos: »Julia - Julia - was machst du, was ist geschehen?«

»Ich habe Ernsts Versuch wiederholt.« Julia zwang sich ruhig und klar zu sprechen, obwohl das Zimmer um sie zu tanzen begann und sie sich wie betrunken fühlte. »Die einzige Möglichkeit ist ... mit Ernsts Aktinstoff ... Hör zu, Franzclass="underline" Du kannst mich jetzt abholen. Ich liege im Labor auf dem Sofa. Auf dem Tisch wirst du den Aktinstoff finden und die Gebrauchsanweisung.« Bei dem letzten Wort nahm sie dreimal Anlauf, bevor sie es mit der trockenen, wie Glaspapier rauhen

Zunge bilden konnte. »Halt dich daran, sonst ist alles umsonst. Hast du mich verstanden?«

»Ja - aber ...«

»Ich kann jetzt nicht mehr weitersprechen. Mach’s gut, Franzl und .«

Sie wollte »Auf Wiedersehen« sagen, aber sie brachte die Worte nicht sogleich heraus, und dann vergaß sie, was sie ihm sagen wollte. Mühselig legte sie den Hörer wieder auf und sank dann zurück. Es geht weiter, dachte sie sinnlos, immer weiter und hundert Millionen kleine Biester ... eine Milliarde ...

Oberfeldwebel Krüll schien an seinen Streifzügen durch die fertigen und halbfertigen Gräben Spaß gefunden zu haben. Die überraschten Gesichter der Männer, vor denen er plötzlich auftauchte, verschafften ihm eine tiefe Befriedigung, die größer war als seine Furcht vor russischem Artilleriefeuer. Zudem war es seit einigen Tagen an der Front merkwürdig still - eine Stille, die alte Soldaten nichts Gutes ahnen ließ - und so erschien ihm das Risiko der Besichtigungen nicht allzu groß. Möglich auch, daß er sich nach seinem ersten Erlebnis im Graben selbst beweisen wollte, er wäre nach der Feuertaufe ein furchtloser Krieger geworden. Jedenfalls fuhr er eines Abends zum drittenmal zu den Gräben. Doch diesmal lief es nicht so glimpflich ab. Als der Bautrupp am Waldrand entlangfuhr, wurde er plötzlich von Partisanen beschossen. Es war kein starker Feuerüberfall, eigentlich kaum der Rede wert, und niemand hätte ein Wort darüber verloren - wenn nicht ausgerechnet Krüll etwas abbekommen hätte.

Auf dem Verbandsplatz in Barssdowka fiel Kronenberg aus allen Wolken, als sich die Tür der Scheune öffnete und Oberfeldwebel Krüll eintrat.

Kronenberg warf seine Verbände hin und schob sich zwischen den Betten auf den Gang, den Krüll entlangkam. Erst jetzt sah er, daß sich der Oberfeldwebel auf einen Stock stützte und anscheinend nur mühsam gehen konnte.

»Das ist doch nicht möglich ...«

»Was denn, mein Sohn?«

»Sie - Sie sind doch nicht verwundet?«

»Wenn es Sie beruhigt - ja, mich hat’s erwischt. Schuß in den Hintern!«

»Wo - wohin?« Kronenberg schluckte. Das war einer der schönsten Augenblicke seines Lebens. »Was haben Sie gesagt? In den ...?«:

»So ist es - genau in die linke Backe. Ich habe sie eine Zehntelsekunde zu langsam herunterbekommen.«

»Und da machte es bumm?«

Krüll verzog den Mund. Er hatte offensichtlich Schmerzen, und es war ihm nicht mehr zum Scherzen zumute. »Kronenberg«, sagte er langsam, »wenn Sie, dämliche Mißgeburt, denken, mit mir einen Zirkus zu veranstalten, dann haben Sie sich schwer getäuscht! Welches Bett?«

»Über die Einweisung ins Lazarett entscheidet der Herr Stabsarzt. Ob Sie ein Bett bekommen, Herr Oberfeldwebel, hängt davon ab, wie groß das Loch da hinten ist ... Vielleicht genügt ambulante Behandlung. Es wäre nicht das erstemal.« Kronenberg ging um Krüll herum. »Man sieht ja gar nichts -!«

»Als anständiger Mensch habe ich die Hosen gewechselt.«

»Wieder einmal - nach einem Jahr!« schrie einer aus der Tiefe der Scheune. Brüllendes Gelächter folgte. Kronenberg grinste diskret.

»Sie dürfen nicht auf sie hören, Herr Oberfeldwebel«, sagte er wie entschuldigend. »Sie wissen ja - jede Abwechslung .«

»Idioten!« schrie Krüll laut und verächtlich.

In der Tür erschien Dr. Hansen. Er trug einen weißen Chirurgenkittel und eine lange, blutbespritzte Gummischürze. Krüll

meldete sich, immer noch stramm. Blaß, sichtlich von Schmerzen gepeinigt, aber mit Haltung den Spott um sich herum schluckend, stand er zwischen den grinsenden Gesichtern. Dr. Hansen empfand fast Mitleid mit ihm. Er legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Kommen Sie mit, Oberfeldwebel, ich werde Sie untersuchen. Schon eine Tetanusspritze bekommen?«

»Jawohl, von Sanitäter Deutschmann.«

Krüll dachte an diese Situation nicht gern zurück. Nachdem ihn Wiedeck und Hefe nach dem Feuerüberfall in den Schlitten geschleift und nach Gorki gebracht hatten, setzte sich Deutschmann neben ihn und begann Mullbinden zu zählen.

»Nur noch 17 Stück«, sagte er bedauernd. »Herr Oberfeldwebel haben von Verschwendung gesprochen, als ich Schütze Siemsburg mit vier Binden verband. Bei Ihnen muß es jetzt wohl mit zwei gehen .«

»Machen Sie keinen Quatsch, Deutschmann!« stöhnte Krüll. Die Wunde brannte. Sein linkes Bein war gefühllos. Ich sterbe langsam ab, dachte er entsetzt.

»Zuerst die Spritze!« Deutschmann schnitt ihm die Hose auf. Als er die blutverkrusteten Fetzen der Unterhose mit einem Ruck von dem Einschuß riß, schrie Krüll auf. Es war nicht sehr viel zu sehen. Eine einfache Fleischwunde: Die kleinkalibrige Kugel einer Maschinenpistole hatte den Muskel nicht tief unter der Haut glatt durchschlagen.

»Oh, oh, oh - der halbe Hintern ist weg!« sagte Deutschmann voll spöttischen Mitleids.

»Halten Sie den Mund und geben Sie die Spritze!«

»Sofort!« Deutschmann holte die Spritze, suchte eine besonders stumpfe Nadel aus, die er eigentlich schon zurückgeben wollte, zog aus der Ampulle das Serum und klopfte Krüll väterlich auf das nackte Gesäß. »Nur ein bißchen Geduld -jetzt macht der Onkel Doktor pik, und dann ist alles vorbei!« »Ich - jei!« schrie Krüll hell auf. Deutschmann hatte die Nadel langsamer als erlaubt in das Fleisch hineingedrückt und drückte nun das Serum nicht minder langsam in den Muskel. Als er die Nadel wieder herauszog, konnte er dem tiefen Wunsch, noch einmal anzufangen, kaum widerstehen.

»Fertig?« stöhnte Krüll.

»Aber nein, ich muß die Wunde noch säubern und verbinden.«

»Macht man das nicht hinten?«

»Ab und zu kann man’s auch hier machen. Sie wissen ja, ich bin immerhin ein Gelernter.«

»Machen Sie’s mit - Betäubung?«

»Aber, aber! Bei Ihnen doch nicht. Sie sind doch nicht wehleidig, oder?«

»Und dann?«

»Mal sehen, was der Herr Oberleutnant sagt.«

»Wann bringen Sie mich zurück nach Barssdowka?«

»Ich glaube nicht, daß dies so dringend notwendig ist. Dort kommen nur schwere Fälle hin, wissen Sie, Sie haben das ja selbst befürwortet ...«

»Aber Sie sagten doch ... es ist eine große Wunde ... das kann Gasbrand geben ...«

»Und dann eine große Narbe. Sie sind doch keine Schönheitstänzerin, Herr Oberfeldwebel, da macht es ja nichts.«

Das Verbinden war für Krüll nicht weniger schmerzhaft als die Tetanusspritze. So hatte er mit zusammengebissenen Zähnen beschlossen, sich an Deutschmann bei erster sich bietender Gelegenheit zu rächen. Nachts wurde er dann nach Barssdowka gebracht. Die ganze dienstfreie Kompanie war versammelt, als er zu dem Schlitten humpelte und mit schmerzhaft verzogenem Gesicht hinaufkletterte. Als er abfuhr, sangen einige Stimmen: »Muß i denn, muß i denn, zum Städtele hinaus ...« Krüll verkroch sich in seinen dicken Pelz. Er hätte vor Wut weinen können, vor Wut und vor der plötzlichen Erkenntnis, daß er ganz allein war, daß alle gegen ihn standen und sicherlich wünschten, seine Verwundung wäre viel schwerer - oder sogar tödlich gewesen ...