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»Nein!«

»Mit der Armbinde und der Fahne kommen wir durch wie nichts!«

»Und die Minenfelder?«

»Du hast noch immer nicht kapiert, daß ich den Dreh ‘raushabe. Ich rieche eine Mine auf 50 Meter! - Und du willst ein Intellektueller sein? Ich weiß gar nicht, warum du dagegen bist. Ich muß weg. Ich kann mir keine Masche aussuchen, wie

Hilfssani und so, mir hacken sie die Rübe ab, und ich wär’ schön blöd, wenn ich warten würde.«

»Aber laß mich dabei aus dem Spiel!«

Schwanecke drehte sich um, trat an das winzige Fenster und sah hinaus auf die Dorf Straße. Krüll stand im hohen Schnee, den Mantelkragen emporgeklappt, und schrie auf einen Soldaten ein. Es war der schmächtige, halbverhungerte Professor, den man nur zu leichten Arbeiten innerhalb der Kompanie einsetzen konnte. Er hatte die Straße vom Schnee freigefegt und sich einige Augenblicke erschöpft auf den Stiel seines Drahtbesens gestützt. So traf ihn Oberfeldwebel Krüll an, als er einen Rundgang durch das Dorf machte. An ihm konnte er seine Wut vor der eigenen Angst auslassen. Während er ihn hin und her jagte, konnte er wenigstens eine Zeitlang vergessen, wo er war, und die Ahnungen niederdrücken, die ihn ruhelos herumhetzten und vor denen er nirgends sicher war.

»Sie akademischer Schlappschwanz!« brüllte er, »das Abitur machen, den Hintern auf den Universitätssitzen weichrutschen, große Fresse haben über dußlige Philosophen - das kann er, aber ‘ne Straße fegen, da geht der Kerl in die Knie! Hopphopphopp, Herr Professor, dreimal um die Schreibstube herum, marsch, marsch!«

Der Professor nahm seinen Besen wie einen Speer in die Hand und rannte los. Keuchend, mit vorquellenden Augen, taumelnd, die linke Hand auf das Herz gepreßt. Krüll stand auf der Straße und kommandierte:

»Schneller! Schneller! Beine müssen fliegen! Kopf hoch! Mehr Haltung, Sie philosophischer Knülch. Denken Sie an Sokrates, das war doch einer von Ihrer Sorte. Denken Sie an Kant, nehmen Sie sich ein Beispiel an ihm, er schlief in einem Faß, in der frischen Luft! Hier haben Sie frische Luft! Noch eine Runde! Hopphopp!«

Der Professor taumelte, stolperte, warf den Stahlbesen weg, schlug mit den Armen um sich und fiel vornüber in den Schnee. Mit dem Gesicht auf dem Eis lag er mitten auf der Dorfstraße, ein lebloses Bündel Kleider, aus denen ein schmaler grauhaariger Kopf sah.

Krüll sah verblüfft auf den Liegenden und schüttelte den Kopf. »Na, so was«, sagte er, drehte sich herum und schrie: »Deutschmann! Deutschmann! Herkommen!«

Schwanecke drehte sich böse grinsend vom Fenster. »Geh raus«, sagte er. »Deine Freunde haben den Professor zur Sau gemacht. Geh nur, bald bist du dran!« Ohne Deutschmann weiter zu beachten, ging er an ihm vorbei. Deutschmann lief hinterher.

Krüll stand breitbeinig neben dem Ohnmächtigen. Als Deutschmann mit der Medizintasche in der Hand näher gelaufen kam, fragte er, jetzt doch ein bißchen nervös geworden: »Gibt’s auch dafür eine Spritze?«

»Mal sehen.« Deutschmann kniete in den Schnee und drehte den Liegenden herum. Über die Stirn des Professors zog sich ein tiefer Schnitt. Das Blut gefror in der Kälte. Als Deutschmann die Lider des Ohnmächtigen hob, waren die Augen verdreht und glanzlos.

»Ist er etwa - verreckt?« fragte Krüll.

»Noch nicht. Herzkollaps.«

»Sprechen Sie deutsch mit mir!« Krüll tippte mit der Stiefelspitze in die Seite des Mannes, der bewußtlos auf dem Boden lag. »Was hat er?«

»Masern!« sagte Deutschmann wütend und kümmerte sich nicht mehr um den verdatterten Oberfeldwebel. Er sah sich hilfesuchend um und bemerkte Schwanecke, der an der Hauswand lehnte und ausdruckslos hinüberstarrte. »Komm her -hilf mir!« rief Deutschmann und packte den Ohnmächtigen unter den Armen.

Schwanecke schlenderte langsam näher. »Laß das«, sagte er, hob den Professor auf seine Arme und trug ihn hinüber zum Revier. Sie betteten den leblosen Körper auf einen Strohsack, Deutschmann knöpfte die Uniform auf und massierte die schmale Brust, aus der die Rippen ragten wie die Sprossen einer Leiter.

Der Professor kam langsam zu sich, sein Mund öffnete und schloß sich, und kaum verständlich röchelte er: »Luft - Luft -Luft!« Doch dann wurde er wieder ohnmächtig.

»Wasser!« rief Deutschmann.

Schwanecke rannte in eine Ecke, füllte einen Kochgeschirrdeckel mit Wasser, kam zurück und begann die Brust des Professors zu massieren. Deutschmann klopfte mit der flachen Hand die Herzgegend ab.

»Gib ihm doch ein Herzmittel!« sagte Schwanecke.

»Ich habe nichts hier, nur Sympathol!«

»Dann gib’s ihm doch!«

»Das hilft nicht.«

»Das ist doch wurscht. Vielleicht hilft’s doch. Wir müssen den Kerl durchkriegen. Er ist in Ordnung. Krüll - dieses Schwein - dieses verfluchte Schwein!«

Deutschmann nahm aus einer Sanitätstasche ein kleines Fläschchen heraus und träufelte fünfzehn Tropfen auf einen Löffel. Schwanecke schob seinen dicken Zeigefinger zwischen die verkrampften Lippen des Ohnmächtigen und drückte den Mund auf. Vorsichtig schüttete Deutschmann die Tropfen hinein. Dann massierten sie wieder die Brust und die Herzgegend.

»Soll ich Schnaps besorgen?« fragte Schwanecke.

»Nein, das hat keinen Zweck.«

»Er muß durchkommen«, sagte Schwanecke wieder, »Krüll, dieses Schwein, dieses verfluchte Schwein! Wenn ich den einmal erwische ...«

»Er wird durchkommen - jedenfalls scheint es mir so«, sagte Deutschmann schwitzend, als der Professor regelmäßiger zu atmen und leise zu stöhnen begann. Aber er war immer noch ohnmächtig.

»Na, kommst du nun mit oder nicht?« fragte Schwanecke.

Deutschmann schwieg.

»Willst du wirklich hier verrecken? So wie der da? Auch wenn er durchkommt, wird er irgendwann verrecken - spätestens dann, wenn ihn die Russen umlegen!«

»Halt den Mund!« sagte Deutschmann.

»Jaja, ist schon gut. Meinetwegen verrecke. Mir ist’s gleich.«

Sie arbeiteten schweigend weiter. Als es den Anschein hatte, daß es nichts mehr zu tun gab, deckten sie den Professor mit zwei Decken zu. Dann setzten sie sich zu beiden Seiten des Schlafenden und stierten vor sich hin auf den Boden. Sie hatten sich nichts mehr zu sagen. Oder doch? Hatte Schwanecke am Ende doch recht, fragte sich Deutschmann. War es wirklich so, wie er sagte? Was hielt ihn noch hier zurück? Warum griff er nicht mit beiden Händen zu? Denn es war eine Chance durchzukommen, während hier?

Als Obermeier plötzlich eintrat, erhoben sie sich nicht. Sie bemerkten ihn erst, als er am Bett stand.

»Krüll?« fragte der Oberleutnant.

Deutschmann nickte. »Irgend etwas muß er ja tun.«

Wortlos, mit einem bleichen, böse-verbissenen Gesicht verließ Obermeier das Revier.

In der darauffolgenden Nacht tobte Krüll wie ein wildgewordener Stier im Dorf herum - und dann wieder schlich er bedrückt durch die Straße von Haus zu Haus, aus einer Unterkunft in die andere. Oberleutnant Obermeier hatte ihm wegen des Professors eine fürchterliche Zigarre verpaßt. Aber die Zigarre allein wäre nicht so schlimm gewesen: In seiner langjährigen militärischen Laufbahn hatte er gelernt, die Maßregelungen der Vorgesetzten gleichgültig von sich abzuschütteln wie ein nasser Hund das

Wasser. Doch weitaus unangenehmer war die Tatsache, daß ihm Obermeier befohlen hatte, wieder hinaus in die Gräben zu gehen, um die Arbeit dort zu beaufsichtigen und vor allem die fertiggestellten Grabenstücke auszumessen.

»Sie haben sich ja zu einem Fachmann im Messen entwik-kelt, Oberfeldwebel«, hatte Obermeier zu ihm gesagt. »Oder stimmt es nicht?«

Krüll hatte die Hacken zusammengeschlagen und heiser bestätigt:

»Jawohl, Herr Oberleutnant.«

Und dieses stumpfsinnige Jawohl tat ihm innerlich so weh, daß er aus einer Stimmung in die andere fiel, aus wütendem Toben in verbissenes, ahnungsvolles Schweigen.