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Über den Grabenrand kletterten lautlos die ersten Gestalten. Dann war die erste Gruppe durch. Abstand. Zweite Gruppe. Abstand. Dritte - vierte - fünfte - sechste Gruppe.

»Macht’s gut!« flüsterte Obermeier zu Unteroffizier Kentrop.

»Aber ja!« Kentrop grinste den Oberleutnant an. Seine Zähne leuchteten weiß. Dann verschwand er und seine Leute hinter ihm.

Siebente - achte - neunte Gruppe. Jetzt war Obermeier selbst dran. »Los!« gab er sich den Befehl, sah kurz zurück zu seinen schweigenden, wartenden Leuten, die zusammengedrängt im Graben standen, sagte: »Es wird schon schiefgehen!« und kletterte über den Grabenrand. Vor ihm war Dunkelheit, und er tauchte in ihr unter wie ein flüchtiger, lautloser, greifbarer Schatten.

»Wenn das man gut geht!« murmelte der Leutnant, und dann sagte er zu dem Unteroffizier, der unmittelbar neben ihm stand: »Verdammt will ich sein, wenn ich an deren Stelle sein möchte.«

Zu gleicher Zeit, als die Gruppen der zweiten Kompanie weitverteilt in das Niemandsland zwischen der deutschen und der russischen HKL schlichen, erfolgte ein kurzer Feuerschlag der deutschen Artillerie und ein Scheinangriff im Bereich des Nachbarregiments: die geplante Ablenkung, die die Aufmerksamkeit der Russen an eine andere Stelle lenken sollte. Die Partisanen im Walde von Gorki unter Sergej Denkow wurden alarmiert. Gleich danach zogen sie jenseits der zweiten Kompanie als Bereitschaft an den Waldrand. Der Weg für die dem Wald am nächsten liegende Gruppe der zweiten Kompanie war frei.

Obermeier mit seiner Gruppe, Krüll mit dem Kompanietrupp und Unteroffizier Hefe mit zehn Mann wateten durch den tiefen Schnee im Wald, keuchten durch Verwehungen, schwitzten trotz beißender Kälte, fluchten und gönnten sich keine Ruhepause. Die Gruppenführer blieben ab und zu stehen und sahen auf den Kompaß, um sich nicht zu verirren. Hier die Richtung zu verlieren war gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Sie waren schon durch die russischen Linien hindurchgekommen und konnten jeden Augenblick auf feindliche Einheiten hinter der HKL stoßen, auf Reserven, die in diesen Räumen in Bereitstellungen liegen mußten.

Stunden vergingen, und die Männer waren der völligen Erschöpfung nahe - als sie plötzlich am Waldrand standen.

Obermeier sah auf die Uhr. Es war ein Uhr zwölf.

Vor ihnen lag eine Ebene, durchsetzt mit Buschgruppen und einzelnen Bäumen, dahinter konnte man im fahlen Licht des russischen Winters die dunklen Umrisse eines Dorfes erkennen, und vor ihnen, zwischen dem Waldrand und dem Dorf, standen - riesigen schwarzen Schatten gleich - hinter den Büschen, unter den Bäumen, getarnt mit Zweigen und ganzen Buschgruppen - russische Panzer.

»Meine Fresse«, sagte Schwanecke leise. »Ne ganze Armee! T 34! Wenn die losrollen -!«

»... dann haben wir nicht mal mehr Zeit genug, den Hintern zusammenzukneifen ...«:, beendete Wiedeck.

»Da helfen uns auch alle deine Taschen nicht mehr«, sagte Schwanecke zu Deutschmann und grinste ihn an.

»Haltet die Klappe!« sagte Hefe nervös.

»Mensch, werd’ nur nicht kribbelig«, sagte Schwanecke. »Die Frage ist, was wir jetzt zu tun haben. Gesehen haben wir ja, was wir sehen sollten, oder?«

»Ungefähr«, sagte Wiedeck.

»Also, nichts wie ab«, beschloß Schwanecke. Sein Plan stand fest, jetzt war die Gelegenheit günstig. Auf dem Rückweg durch den Wald konnte er einfach zurückbleiben, unbemerkt verschwinden und dann eine passende Gelegenheit abwarten, um sich den Russen zu ergeben. Die Sache würde nicht ganz leicht auszuführen sein, denn mit einem einzelnen Gefangenen machten die Russen sehr oft keine großen Umstände.

Eine Maschinenpistolengarbe war weitaus einfacher als der Rücktransport nach hinten. Andererseits dürfte es aber bestimmt auch Russen geben, die stolz sein würden, einen Gefangenen zu machen, und sehr froh, ihn zurücktransportieren zu können - möglichst weit hinter die Front. Denn auch die Deutschen schossen nicht mit Erbsen - und sie trafen sehr gut ... Ob ein Deutscher oder Russe, hinter der Front ist es immer sicherer. Aber er hatte ja Zeit. Unter seinem Tarnanzug hatte er eine hübsche Proviantreserve, die er in weiser Voraussicht organisiert hatte, bevor sie losgezogen waren. Er konnte warten, und er war nicht gewillt, sich in unnötige Gefahr zu begeben, jetzt, kurz vor seinem Ziel, am wenigsten.

Mitten in diese Überlegungen stießen aus der Ebene eins -zwei - drei grüne Leuchtkugeln in die Luft und verzauberten den Nachthimmel zu einem riesigen, grünlichen Gewölbe, unter dem die Gesichter der Soldaten eine fahle, grünliche Leichenfarbe annahmen.

Im gleichen Augenblick kam Bewegung in die Stahlkolosse, als wären sie Ameisen, die durch einen Fußtritt aufgescheucht wurden. Ein Heulen und Donnern schwoll an, wurde lauter und durchdringender, füllte die ganze Landschaft aus, die ersten Panzer rollten träge an, mit knirschenden, vereisten Ketten und hämmernden, noch kalten Motoren, die Verkleidungen fielen, die Büsche wurden abgerissen.

Es mußten an die fünfzig oder mehr Panzer gewesen sein. Immer schneller rollten sie am Waldrand entlang, vorbei an den fassungslos starrenden deutschen Soldaten, die sich tief in die Schneemulden duckten und erschrocken den Aufmarsch der Stahlkolosse verfolgten.

»Meine Fresse«, sagte Schwanecke, »jetzt sind wir mitten im Schlamassel!«

»Wie meinst du das?« fragte Deutschmann.

»Siehst du denn nicht, die rollen jetzt bis an den Weg durch den Wald und dann gegen unsere HKL. Wenn sie durch den Wald sind, dann hauen sie unsere HKL kurz und klein. Wir sind mitten in einen Aufmarsch gestolpert.«

»Was sollen wir tun, was sollen wir tun?« fragte Peter Hefe zitternd.

»Jetzt kommt gleich die Infanterie«, sagte Schwanecke behaglich.

»Wieso?«

»Na, hinter den Panzern kommt immer die Infanterie. Wenn die uns hier erwischt, dann .«

»Dann gnade uns Gott«, beendete Wiedeck.

»Also, Kommandant, gib schon einen Befehl!« sagte Schwanecke zu Peter Hefe.

Doch der Unteroffizier starrte nur mit weit aufgerissenen Augen zu den vorüberrollenden Panzern. Er konnte sich nicht rühren, sein Denken war wie ausgeschaltet, er hatte ähnliches noch nie gesehen. Das war Rußland. In Frankreich war es anders, ganz anders. In Frankreich sah man nur ab und zu französische Panzer, die nichts waren im Vergleich zu diesen da, und wenn er sie gesehen hatte, waren sie meist abgeschossen und verbrannt. Aber diese hier! Von ganz fern hörte er Wiedeck sagen:

»Na, los, los!«

Nur schwer löste er seinen Blick von den Stahlkolossen, sprang auf, drehte sich um und begann zu laufen. Die anderen hinter ihm her. Jetzt mußten sie wieder den Wald durchqueren, auf dem Weg, auf dem sie gekommen waren. Das würde leichter sein, da sie auf dem einigermaßen ausgetretenen Pfad gehen konnten. Doch dafür erwartete sie auf der anderen Seite ein fast unüberwindliches Hindernis: Die russischen Panzer würden sie, auf dem Waldweg fahrend, überholen. Auf dem anderen Waldrand würden sie sicher, aus der Bewegung heraus, in einer weitauseinandergezogenen Gefechtsordnung antreten und in dieser Formation die deutsche HKL angreifen. Sie mußten also zwischen den Panzern hindurch, und nicht nur das, auch über die jetzt gewiß vollbesetzte russische HKL hinweg zu den eigenen Linien gelangen. Das war unmöglich. Und doch liefen sie, keuchend, stolpernd, den Weg, den sie gekommen waren, zurück. Was sie auf der anderen Seite des Waldes erwartete, darüber zerbrachen sie sich nicht den Kopf. Noch nicht. Genausowenig wie die anderen Gruppen der zweiten Kompanie, die in der gleichen Lage waren.

Schon vor Morgengrauen waren sie wieder an dem der deutschen HKL zugekehrten Waldrand. Und fast gleichzeitig mit der Gruppe Hefe kamen auch die anderen Gruppen an. Schweratmend, ausgepumpt, warfen sie sich in den Schnee. Es war genau das eingetroffen, was vorauszusehen war: Die russischen Panzer hatten sie überholt und standen in weiter Reihe auf der Ebene zwischen dem Waldrand und der deutschen HKL!