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Mit ein paar Sätzen war er außerhalb des Lichtkegels. Er rannte im Zickzack weiter, hinter sich hörte er das Hämmern des schweren MGs aus dem Panzer.

Ein Loch, dachte er, während ihm das Herz zu zerspringen drohte und ihm der Schweiß über das Gesicht rann, er mußte ein Loch finden ... ein Schützenloch ... einen Granattrichter . . einen Graben.

Auch Wiedeck sah den einsamen Panzer, der als Nachhut zurückgeblieben war. Er warf sich in ein flaches Granatloch und nahm den Kopf herunter. Hier war er einigermaßen sicher -jedenfalls konnte ihn die Panzerbesatzung kaum entdecken. Den ersten Teil des Weges hatte er hinter sich, jetzt war er bereits im ehemaligen Niemandsland zwischen den russischen und deutschen Gräben. Plötzlich fiel etwas auf ihn, ein schwerer Körper preßte ihn in die Erde und umklammerte seine Schulter.

»Geh weg, du Affe!« schrie Wiedeck.

»Ich bin’s, Bartlitz«, keuchte der Unbekannte auf seinem Rucken. »Rück zur Seite ... bist du’s, Wiedeck? Es reicht für uns beide.«

»Mensch, hoffentlich sieht uns der nicht!«

Wenig später fiel eine dritte Gestalt zu den beiden in den Trichter. Sie schnellte heran, wie von einem Katapult geschossen, legte sich flach über die beiden Körper und drückte Wiedecks Kopf mit beiden Händen herab, als dieser nachsehen wollte, wer es war.

»Kopf ‘runter«, zischte eine Stimme.

»Herr Oberleutnant ...«

»Ja, halt die Schnauze!«

»Also wieder zusammen ...«:, murmelte Bartlitz.

»Still!«

Sie lagen eng aneinandergepreßt in der flachen Mulde und

lauschten. Ganz in der Nähe klirrte es heran, donnernd, die Ketten knirschten, der Scheinwerferstrahl aus dem Panzer irrte über sie hinweg, kam zurück - und blieb auf Obermeiers Rük-ken, der flach über das Loch hinausragte, stehen.

»Er hat uns entdeckt«, sagte Obermeier leise.

»Aus -«, schluchzte Wiedeck.

»Noch nicht«, sagte Obermeier. »Er schießt nicht ... er will uns überrollen. Wenn er ganz ‘rankommt .«

Er brach ab, die beiden anderen hatten ihn verstanden.

Jetzt war das Klirren der Panzerketten ganz nah.

»Los«, schrie Obermeier, und alle drei sprangen auf und stoben auseinander. Der Panzer rollte über die Mulde, blieb stehen, drehte sich auf der Stelle. Der Deckel auf dem Turm sprang auf, und ein Kopf sah heraus. Gleich darauf fing das Maschinengewehr zu rattern an.

Der erste, den es erwischte, war Bartlitz. Wie festgenagelt bliebe er plötzlich stehen und sank dann stumm in sich zusammen.

Dann kam Wiedeck an die Reihe. Er fiel aufs Gesicht, seine Arme und Beine zuckten noch eine Weile, sein Körper warf sich in zwei, drei Krämpfen empor - bis er still und reglos liegenblieb.

Es gab keine Deckung. Obermeier rannte und betete. Das Maschinengewehr wirbelte jetzt den Schnee um ihn auf. Er rannte. Und dann hörte das Schießen des MGs auf, und ein krachender Schlag in seiner Nähe warf ihn zur Seite. Er rappelte sich wieder hoch und lief weiter. Und wieder ein Krachen und ein dumpfer Schlag gegen seinen Arm: Die Russen schossen mit der Kanone hinter ihm her. Er war ein schönes, lebendiges Ziel, ein einzelner Mann, der mühsam und schwankend durch den Schnee watete. Eine herrliche Zielscheibe -.

Die dritte Granate war ein Volltreffer.

Berlin:

Wider aller Erwarten hatte Dr. Deutschmanns Aktinstoff gewirkt. Julia Deutschmann erholte sich langsam, ihr Herz arbeitete zusehends besser, der Blutspiegel war weniger katastrophal. Professor Burger und Dr. Wissek verfolgten mit Erstaunen und Unglauben ihre Besserung und schmiedeten bereits Pläne für die Zukunft, Pläne, die sich um Deutschmanns Aktinstoff drehten. Welch einen Segen bedeutete diese Erfindung für die ungezählten Verwundeten mit infizierten Wunden!

Dr. Kukill wich nicht von Julias Seite. Sein abgezehrtes Gesicht war das erste, was Julia sah, als sie für einige Augenblicke aus der tiefen Ohnmacht erwachte. Zuletzt war es ihm auch noch gelungen, mit Hilfe seiner weiten Verbindungen, über die Schweiz, ein neuartiges englisch-amerikanisches Präparat zu beschaffen, ein »Antibiotikum«, wie es genannt wurde, um Julias Behandlung fortzusetzen. Der Aktinstoff war ausgegangen, und in Deutschmanns Haus suchte man umsonst nach Unterlagen, nach denen man neuen herstellen konnte. Deshalb war klar, daß man Deutschmann unverzüglich wieder nach Berlin holen mußte, denn nur er selbst konnte seine Versuche fortsetzen, um schließlich die Fabrikation des »Aktinstoffes« zu sichern. Er und Julia. Aber mit Julia war noch lange nicht zu rechnen; auch wenn es gelang, sie endgültig dem Tode zu entreißen - es konnte immer noch ein Rückschlag eintreten -, war sie für lange Wochen und wahrscheinlich sogar Monate unfähig, das Bett zu verlassen.

Welch ungeahnte Möglichkeiten!

Selbst wenn es noch ein Jahr oder sogar zwei dauern würde, bevor die Massenproduktion des »Aktinstoffes« möglich war, bedeutete dies einen ungeheueren Fortschritt in der Behandlung der infektiösen Krankheiten - vor allem aber kam es den Soldaten zugute. Man dachte in Begriffen, die sich immer wieder und fast ausschließlich um den Krieg drehten, und so war es nur verständlich, daß die ersten Gedanken der Ärzte der Wundbehandlung galten.

Als Julia aufwachte und in das über sie gebeugte Gesicht Dr. Kukills sah, kam in ihre leeren, abwesenden Augen, die wie zwei tiefe, dunkle Brunnen aussahen, erst langsam, nach und nach das Erkennen. Ihre Lippen bewegten sich, ohne daß ein Laut zu hören war. Dr. Kukill beugte sich noch tiefer. Atemlos lauschte er dem Flüstern, das schließlich ganz leise und undeutlich über ihre Lippen kam.

»Was - ist - geschehen - wo - bin - ich - hier ...«

»Sie waren sehr krank«, sagte er begütigend. »Jetzt geht es Ihnen wieder besser.«

»Was - ist - geschehen - mit .«

»Sprechen Sie nicht, Julia. Schlafen Sie. Versuchen Sie zu schlafen -!«

In ihre Augen kehrte jetzt Erinnerung zurück, ganz langsam, nach und nach, sie versuchte sich aufzurichten, aber durch ihren erschreckend abgemagerten Körper lief nur ein langes Zittern.

Sie sagte: »Selbstversuch - ist - ist - es .«

»Ja. Es ist gelungen. Beruhigen Sie sich, bitte -!«

»Werden Sie - werden Sie - Ernst .«

»Ja«, sagte Kukill, »ich werde ihn herausholen. Ich verspreche es Ihnen. Ich - ich habe bereits alle notwendigen Schritte unternommen. Haben Sie keine Angst. Und wenn Sie jetzt schlafen - dann«, er schluckte - »dann sage ich Ihnen etwas Schönes ... es wird Sie freuen .«

»Was ist - es -?«

»Ich habe mit Ihrem Mann gesprochen«, log er, »nein, nein nicht so, wie Sie denken«, beschwichtigte er sie schnell, als er sie zusammenfahren sah, »er ist immer noch in Rußland, ich habe telefoniert. Es geht ihm gut, er hat es mir gesagt, und er -er freut sich natürlich sehr, daß er zurückkommt ...«

»Weiß - er es!«

»Nein.« Und dann schnell, als bereute er seine Lüge: »Ich wollte ihn nicht beunruhigen. Es ist immer noch Zeit, es ihm zu sagen.«

»Bitte ...«, sagte sie, schloß die Augen, und die nächsten Worte waren nur ein undeutliches, schwaches Murmeln, aber dann machte sie die Augen wieder auf und sprach sehr deutlich und klar, während ein kleines, glückliches Lächeln über ihr Gesicht huschte:

»Bitte - rufen Sie ihn noch einmal an - sagen Sie ihm - sagen Sie ihm - ich bin sehr glücklich - sehr glücklich .«

»Ja«, sagte er mit Überwindung, »ja, ich werde anrufen. Ich werde es tun, ich werde es ihm sagen.«

Aber sie hörte ihn schon nicht mehr. Sie schlief ein.

Diesmal ging es schneller. Dr. Kukill hatte wieder seinen Gruppenführer aufgeboten, der mit ihm zu der Fernsprechzentrale des Heeres ging. Schon nach anderthalb Stunden hatten sie die Verbindung nach Orscha. Doch hier blieben sie stecken, und erst nach langem Gerede konnten sie erfahren, daß an der Front alles drunter und drüber ging und daß sich der Divisionsstab bereits zum Aufbruch rüstete. Russen seien durchgebrochen, was, zum Teufel, wollten die in Berlin jetzt mit irgendeinem Deutschmann in irgendeinem Nest, das sicher bereits von den Russen überrollt worden war? Bewährungsbataillon 999? Was soll mit ihm sein? Warum, zum Teufel, konnten die in Berlin keine Ruhe geben? Dieses Bewährungsbataillon bestand nicht mehr. Aufgerieben. Aus. Warum viele Gedanken über seinen Verlust verschwenden - es gab noch ‘ne Menge andere Bataillone, die nicht mehr bestanden! Man hatte jetzt in